piwik no script img

Britische TageszeitungNettigkeiten gegen Cash?

Ein Journalist sagt, Google, Uber und Starbucks erkauften sich beim Londoner „Evening Standard“ positive Berichte. Die Zeitung dementiert.

900.000 Stück erscheinen täglich. Kostenlos Foto: Daniel Zylbersztajn

London taz | Fünf Tage die Woche wird der Evening Standard im Zentrum Londons verteilt. Oft sind es sogar die Standard-Leute selbst, die ihn vor den U-Bahn-Haltestellen ausgeben. In den Zügen sammelt das Putzpersonal die Zeitungen dann in großen Plastiktüten zum Recycling auf, denn die meisten Leser*Innen lassen sie nach einmaligem Durchblättern liegen.

Seit 191 Jahren erscheint das Mittagsblatt. Es ist weder eine Qualitätszeitung noch eine, die den überragend liberalen Geist Londons mit ihrem stets konservativ ausgerichteten Stil trifft. Dennoch erscheint sie täglich mit einer Auflage von 900.000 Exemplaren, was auch daran liegen dürfte, dass sie seit 2009 kostenlos ist. Finanziert wird der Standard durch Werbung und seine Besitzer, den russischen Oligarchen Alexander Lebedev und seinen Sohn Evgeny, die die Zeitung im Jahr 2009 übernahmen.

James Cusick, ehemaliger politischer Korrespondent einer anderen Lebedev-Aneignung, der britischen Tageszeitung The Independent, die nach stark gesunkenen Auflagenzahlen seit zwei Jahren nur noch online erscheint, spürt offenbar keine Loyalität zu den Zeitungseigentümern. In einem Bericht auf der Webseite „Open Democracy“ packte er vergangene Woche über die Machenschaften des London Evening Standards aus.

Laut Cusick soll der Standard gerade mit sechs großen Unternehmen, darunter angeblich Google, Uber und Starbucks, einen ganz besonderen Werbedeal abgeschlossen haben. „London 2020“ soll beinhalten, dass die Jour­nalist*Innen der Zeitung Werbetexte über diese Unternehmen verfassen, die als normaler redaktioneller Inhalt erscheinen und nicht als Reklame erkennbar sein sollen. Der Evening Standard druckt schon seit Jahren Werbung, die einen zeitungsidentischen Stil hat. Teilweise verkauft das Blatt sogar seine komplette erste Seite als Anzeigenfläche. Bisher war Werbung aber immer gekennzeichnet.

Uber bestätigt, Google schweigt, Starbucks dementiert

Auf Anfrage der taz wollte Uber nicht kommentieren, ob sie Teil der Kampagne sind. Google ließ die taz-Anfrage unbeantwortet, Starbucks bestätigt zwar, an einem Treffen mit dem Standard teilgenommen zu haben, den finalen Deal jedoch nicht unterzeichnet zu haben.

Auch der Evening Standard dementierte Cusicks Anschuldigungen. „Die Integrität und Unabhängigkeit des Evening Standard ist unbestritten der Kern unserer Arbeit, auch der ‚London 2020‘-Kampagne“, erklärte ein Sprecher der taz. Es sei „nicht der Fall, dass ein kommerzieller Vertrag zu positiven Nachrichten führen würde“.

Man habe aber, wie alle britischen Tageszeitungen, „geschätzte kommerzielle Partner, mit denen wir, zugunsten unserer Leser*Innen“ zusammenarbeiten. Sämtliche kommerzielle Inhalte würden weiter gekennzeichnet. Ein britisches Medienmagazin berichtete, die „London 2020“-Kampagne sehe vor, dass der Standard zusammen mit „Schlüsselpartnern“ Projekte starte, wie etwa zu den Themen saubere Luft und Mietenkrise in London.

Bemerkenswert wäre es vor allem, wenn sich Uber an dem Deal – wie auch immer er konkret aussehen wird – beteiligen würde. Das Unternehmen, das per App Taxidienste anbietet, kämpft in London derzeit um sein Überleben. Die Verkehrsbehörde Londons entzog Uber im September letzten Jahres die Taxilizenz, wegen mangelnder Sicherheitsprüfungen der Uber-Fahrer*Innen und anderer Vergehen. Uber entschuldigte sich und legte Berufung ein. Bis zur Entscheidung darf das Unternehmen in London weiter Wagen zur Verfügung stellen. Sollte die Berufung keinen Erfolg haben, könnten etwa 40.000 Fahrer*Innen regelrecht auf der Straße stehen. Positive Berichterstattung in einer viel gelesenen Londoner Zeitung käme dem Unternehmen also nicht ungelegen.

Wut auch aus der Politik

Richard Sambrook, der ehemalige Leiter von BBC News und heutige Journalismusprofessor, glaubt dem Dementi des Standard nicht. Das, was die Zeitung plane, sei in den Zeitungsstil integrierte Werbung, schrieb er bei Twitter. Sollten Cusicks Behauptungen wahr sein, twitterte auch der Labour-Abgeordnete Tom Copley aus dem Londoner Stadtrat, dann sei das einer Zeitung unwürdig und das Ende des Evening Standard.

Was genau hinter „London 2020“ steckt, wird sich ab Dienstag zeigen. Dann soll die Kampagne starten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • ob jetzt der Herausgeber den Bias vorgibt oder der Werbekunde: Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing. Oder anders: Wer zahlt hat Recht.

     

    Wundert das jemand? Glaubt jemand, das sich Menschen a la Jeff Bezos eine Zeitung wie The Washington Post aus Gutmenschentum kaufen?

     

    Its Capitalism, Baby

    • @danny schneider:

      Oder die Koch-Brüder, die bei der Übernahme des Time Magazine mitmischt haben.

  • Da muss ich lachen. Ein Blick in den Sumpf gefällig?

    CompuTech-Seiten & Intel ;-)