piwik no script img

„Brigitte“-Talk mit Grünen-ChefStark genug für die Regierung

Der grüne Parteichef Robert Habeck tritt in einem Berliner Theater auf. In Zeiten der Erderhitzung empfiehlt er sich für höhere Ämter.

Hat auch Sinn für Unterhaltungsmomente: Robert Habeck Foto: dpa

Berlin taz | Eine der absurdesten Fragen auf diesem Planeten lautet, ob jemand „Kanzler kann“? Kanzler kann man nicht, Kanzler wird man. Wenn man will und kann und von einer Mehrheit des deutschen Bundestags gewählt wird.

Insofern hat der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck im „Brigitte-Talk“ im Berliner Maxim-Gorki-Theater eine scheinbar ausweichende Antwort gegeben, die für Nachrichtenagenturen und Twitter zu komplex ist. Sie lässt aber gleichzeitig an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. „Wir brauchen eine starke Regierung“, sagte Habeck am Donnerstagabend, „und meine Partei versucht, diese Stärke zu entwickeln.“

Nun sind die Grünen weit entfernt davon, die Union als meistgewählte politische Kraft zu überholen, aber darum geht es nicht. Was Habeck an diesem wunderbaren Frühlingsabend in Berlin als Hauptbotschaft in ein an der Oberfläche lockeres und unterhaltendes Gespräch einwob, ohne dass die Brigitte-Redakteurinnen darauf eingingen: Seine Partei ist bereit, inhaltliches Zentrum der nächsten Bundesregierung zu sein.

„Die Lage ist ernst“

Über mögliche Varianten als starker Junior in Schwarz-Grün oder als führende Kraft mit zwei kleineren Koalitionspartnern (Grün-rot-rot, Grün-rot-gelb) wurde nicht gesprochen. Aber die Botschaft war laut und klar: Wir wollen.

Der neueste alte Trick besteht darin, dem Mainstream-Journalismus eine unangemessene Grünen-Begeisterung zu unterstellen, als Beleg musste ein handelsüblicher Stern-Artikel herhalten.

Wenn die Leute das bei der kommenden Bundestagswahl auch wollen. Wenn nicht, dann eben nicht, sagte er mehrfach. Aber man werde nicht schon vorher zurückziehen „aus Angst, dass es schief geht.“ Dafür sei die Lage zu ernst. „Himmel“, rief er und zählte auf: Erderhitzung, Europa „geht vor die Hunde“ undsoweiter.

Es wäre übrigens wohlfeil und falsch, am Gesprächsformat der Frauenzeitschrift Brigitte rumzumäkeln, wie es ein Publikumsgast tat („seichte Fragen“). Die Moderatorinnen Brigitte Huber und Meike Dinklage wissen aus Erfahrung, dass sie die besten Ergebnisse erzielen, wenn sie Leine lassen. So kam beim letzten Mal mit Kanzlerin Merkel die Homo-Ehe auf den Weg.

Selbstverständlich wird längst auch an Habeck, 49, herumgenörgelt. Zuviel in Talkshows, dann auch noch in Geplänkel-Runden, zu wenig klare Aussagen, heißt es. Es mag in Berlin-Mitte so scheinen, als sei er omnipräsent, aber gleichzeitig hat er in der richtigen Welt immer noch einen überschaubaren Bekanntheitsgrad. Sechs Jahre Landesminister, Vize-Ministerpräsident? Das weiß im Süden kaum einer.

Auch Unterhaltungsformate sind wichtig

Es ist nun mal so, dass man sich die meisten Leute im vorpolitischen Bereich und über Unterhaltungsformate erschließen muss. Sogenannte klare Ansagen (ich Kanzler in Alleinregierung, Autos alle elektrisch, totale Gerechtigkeit) sind wegen der Widersprüchlichkeit der Realität selten hilfreich, und in der Opposition sowieso nur symbolische Ware.

Der neueste alte Trick besteht darin, dem Mainstream-Journalismus eine unangemessene Grünen-Begeisterung zu unterstellen, als Beleg musste ein handelsüblicher Stern-Artikel herhalten, der an den Stellen, wo gerade noch „Martin Schulz“ stand, nun die beiden Grünen-Vorsitzenden nennt. Er hat aber den wahren Kern der Sache erfasst, dass nämlich Annalena Baerbock und Habeck im Moment die interessantesten Spitzenpolitiker des Landes sind.

Das sagt selbstverständlich auch etwas über die Konkurrenz (Kramp-Karrenbauer, Nahles, Kipping, Lindner, Gauland) aus. „Sie sehen gesund aus – wie eine Lätta-Reklame“, schrieb Welt-Chef Ulf Poschardt über die neuen Grünen. Das ist nicht fies, sondern offenbar bewundernd, weil Grundlage für einen Erfolg.

Es ist jetzt die Zeit, in der eine jahrzehntelang erfolgreiche Gesellschaft sich zögerlich, aber doch der Frage nähert, wie denn ein Umbruch aussehen könnte, damit der Laden auch für ihre Kinder weiterläuft. Egal, ob die auf der Straße protestieren oder ihren Diesel waschen. Menschen versuchen vorsichtig, sich in und nach einer möglichen Transformation zu sehen.

Die Ambivalenz verteidigen

In so einem Moment bilden die potentiellen künftigen Führungspolitiker auch ikonografisch mögliche Zukünfte ab. Da ist ein Lätta-Lächeln verheißungsvoller als ein verkniffenes, überhebliches oder gar ein Katastrophengesicht. Zumal, wenn man es mit einem Mix verknüpft, der gleichzeitig differenzierende Ernsthaftigkeit des Politischen und entspannte Lockerheit des Alltäglichen abbildet, wie Habeck mit seiner Rhetorik zwischen „Zur Wahrheit gehört auch…“ und „Alter! Hatte ich Schiss“, seinem Denken zwischen Camus und Kuhstall.

Gegen den stärker werdenden Wunsch nach Eindeutigkeit die Ambivalenz der Realität zu verteidigen, das ist ein weiteres Grundmotivs des Abends, durchexerziert etwa an Rudi Dutschke, dem Helden der Befreiungsbewegung von 1968 und Grünen-Wegbereiter, den Habeck als Inspiration nennt und sich gleichzeitig von ihm distanziert wie auch vom „Mao-Quatsch“ der frühen 70er.

Oder wie er Bundeskanzlerin Merkel für ihre Flüchtlingspolitik kritisiert, aber eben für das Nichthandeln, das zu 2015 führte. Um dann für das Lob ihres moralischen Imperativs („Dann ist das nicht mehr mein Land“) den Pathosregler hochzuschieben und den größten Beifall des Abends zu ziehen. Die konkrete politische Forderung nach dem Verbot der Ferkelkastration schien das Berlin Mitte-Publikum deutlich weniger zu rühren.

Auch das gehört zur Wahrheit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Schadeschade - Die Grünen waren einst eine so Innovative , Intelligente , Kreative & Zukunftsorientierte Öko-Partei , die zu wählen und deren Politik zu verfolgen ein Echtes Erlebnis war ...

    Seit Parteivorsitzende/n & Nachwuchs der Grünen ihr Fähnchen jedoch in jeden noch so fragwürdigen , popo- ... öhm , nö ... populistischen Wind hängen der ihnen durch die Haare weht ( Verfassungswidrige Enteignungen , Industrieverträgliche Energiewende , Immer schön Lippenbekenntnisse machen & umgotteswillen jaaa nix davon realisieren , Bloß keine Koalition mit Gleichgesinnten (RRGG) Parteien zum Erlangen von Stimm-Mehrheit im Bundestag - lieber Verbrüderung mit Erzkonservativen Erzfeinden ( CSU & CDU ) - Hauptsache im Mittelpunkt stehen & `gaaanz Oben´ in der Regierung mitspielen zu dürfen , sowie insbes. Absage an sowie Verleugnung & Überbordschmeißen von Ur-Grüne/n Werte/n , Ideen & Personen , etc.pp. ) , wodurch sie bestenfalls noch dem Politischen Niveau Christian Lindner´s das Wasser reichen können , ist das wohl leider vorbei ...

    • @Mr. Fawkes:

      Es ist die ewige Regel: wenn man zu ausgefallen wird, mögen einen einige andere Querulanten, aber man wird nie in den Bereich der Macht kommen, in dem man wenigstens mal ein paar moderatere Änderungen umsetzen könnte.



      Was bringt das dann ausser Beifall einiger weniger?



      Und umgekehrt, wenn man zu beliebig wird, dann werden die Wähler von "klaren Ansagen im Zeitgeist" angezogen wie die Fliegen von der Sch...

      Im Moment stehen die Zeichen gut, dass ureigene grüne Themen in die Mitte der Gesellschaft rücken: Klima, E-Mobilität, Energieerzeugung, um nur mal die zu nennen. Alles uralte Themen, für die die Masse aber lange nicht bereit war.

      Aber auch die kann man nicht mit Extremsforderungen durchbekommen, die meisten Wähler brauchen leider Zeit für Veränderungen, wenn es keinen Schock gibt.