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Die sich Entliebenden

„Paul, lieber Paul“, „Meine liebe Ingeborg“: Heute erscheint der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Dokumente der Liebes- und Fremdheitsbeziehung zweier Schriftsteller, die zum Königspaar der Literatur nicht werden konnten

Mit 23 schreibt sie einen wundersüßen Verknalltheitsbrief: „Wir werden die Liebe erfinden“ Deutlich wird in der Korrespondenz eine lebenslange Entliebungsarbeit

VON DIRK KNIPPHALS

Wenn man den Anfang dieser Liebesgeschichte neutral nacherzählt, klingt das zunächst wie weit unter dem literarischen Niveau der beteiligten Hauptfiguren. Junge Philosophiestudentin trifft im Wien der Nachkriegszeit einen Lyriker mit existenzialistisch verschatteten Augen. Es muss sofort zwischen ihnen gefunkt haben. „Der surrealistische Lyriker Paul Celan […] hat sich herrlicherweise in mich verliebt, und das gibt mir bei meiner öden Arbeiterei doch etwas Würze“, schreibt die 21-jährige Ingeborg Bachmann im Mai 1948 an ihre Eltern. Und sie fährt fort: „Mein Zimmer ist momentan ein Mohnfeld, da er mich mit dieser Blumensorte zu überschütten beliebt.“

Schon wenige Wochen später muss der Blumenfreund nach Paris weiterreisen, aber zu ihrem 22. Geburtstag, am 25. Juni, hat Ingeborg Bachmann noch einmal Gelegenheit, über die Affäre ihren Eltern wie über eine Trophäe Bericht zu erstatten: „Von Paul Celan zwei prächtige Bände moderne franz. Malerei mit den letzten Werken von Matisse und Cézanne, ein Band Chesterton (ein berühmter engl. Dichter), Blumen, Zigaretten, ein Gedicht, das mir gehören soll, ein Bild, das ich Euch in den Ferien zeigen kann. (Er fährt morgen nach Paris). Ich war daher gestern, am Geburtstagvorabend noch sehr festlich mit ihm aus, Abendessen und ein wenig Wein trinken.“

So plappernd, so schmonzettenhaft fängt diese Liebes-, Streit-, streckenweise dann auch Freundschafts- und immer wieder Fremdheitsbeziehung an, die diese beiden zentralen Vertreter der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur mit Unterbrechungen ein Leben lang begleiten soll. Man erfährt von diesen Briefstellen hinten, im Kommentarteil des Bandes, der nun im Suhrkamp-Verlag erschienen ist und der alle aneinander adressierten schriftlichen Zeugnisse der beiden Autoren versammelt. Wenn man von da aus vorne im Band zu lesen beginnt, zuckt einem unwillkürlich das Herz zusammen.

Denn der Band beginnt mit „In Ägypten“, aller Wahrscheinlichkeit nach das Gedicht, das ihr gehören soll, es trägt die Widmung „Für Ingeborg“. Celan beschwört darin in biblischer Sprache die Erinnerung an weibliche jüdische Vornamen und bringt sie in ein Verhältnis zu einer „Fremden“: „Du sollst zu Ruth, zu Mirjam und Noemi sagen: Seht, ich schlaf bei ihr! / Du sollst die Fremde neben dir am schönsten schmücken. / Du sollst sie schmücken mit dem Schmerz um Ruth, um Mirjam und Noemi.“ Man muss als diese Fremde nicht unbedingt direkt Ingeborg Bachmann einsetzen. Interpretatorisch ist es durchaus ertragreich, das Gedicht mit der Sprache als der Fremden durchzuspielen. Immerhin, noch Jahre später wird Paul Celan an Ingeborg Bachmann schreiben: „Sooft ichs lese, seh ich Dich in dieses Gedicht treten“. Nicht nur mit Mohnblumen, auch mit dem Schmerz um die ermordeten Juden schmückt er ihr Wiener Studentinnenzimmer. Das ist einer der Momente, bei denen einem sofort evident wird, warum Adorno nach dem Zweiten Weltkrieg so sehr den Riss als das Signum der Moderne propagierte und warum in der ernsten Musik der Zeit Missklänge und Disharmonien so bedeutsam wurden. Auch, vielleicht gerade auch in die Liebe spielt die Erinnerung an den Holocaust hinein.

Er, sechs Jahre älter, hatte beide Eltern im KZ verloren und war als Jude selbst in einem Arbeitslager gewesen. Sie, Tochter eines frühen österreichischen NSDAP-Mitglieds, flüchtete sich als Jugendliche während des Kriegs in die Literatur. Ein Jahr nach Wien wird er ihr schreiben, dass sein „Dunkel“ älter sei als das ihre. Sie wird dem ihre eigenen Dunkelheiten ein Leben lang entgegenhalten. Aber noch in ihrer letzten Erzählung „Drei Wege zum See“ wird sie die Konstellation anhand eines Mann-Frau-Paares in dem Satz spiegeln, dass „er, ein wirklich Exilierter und Verlorener, […] sie, eine Abenteurerin“, in eine „Exilierte“ verwandelt habe.

Im Nachwort des vorliegenden Bandes machen die Herausgeber, gleich vier an der Zahl, viel aus diesem Schweren. Als „symptomatische Schriften, deren Geheimnis im Problem von Schreiben und Autorschaft nach Auschwitz liegt“, werden die Zeugnisse gedeutet. Da ist bestimmt vieles dran. Aber das zunächst einmal wirklich Berückende an dem sich nach der Wiener Begegnung anspinnenden Briefwechsel ist, dass auch die Schmonzette und der süße Kitsch, die wahrscheinlich in jeder realen Liebesbegegnung stecken, in ihm ihre Plätze haben. Sie schreibt ihm hinterher: „Paul, lieber Paul, ich hab Sehnsucht nach Dir und unserem Märchen“ – in einem Brief, den sie freilich nicht abschickt. Weiter unten in dem Brief heißt es: „ich […] möchte Dir die Steine von der Brust schieben […] und Dich singen hören.“ Und nachdem er ihr, zu ihrem 23. Geburtstag, eine Karte geschickt hat, in dem von „Mohn, sehr viel Mohn“ die Rede ist, schreibt sie ihm einen wundersüßen Verknalltheitsbrief: „[…] ich sollte ein Schloss für uns haben und Dich zu mir holen, damit Du mein verwunschener Herr drin sein kannst, wir werden viele Teppiche drin haben und Musik, und die Liebe erfinden.“

Man kennt diese Muster. Und doch sind es gerade solche banalen Momente, die man beim Lesen dieser Briefe geradezu beschützen möchte, vor der Schwere und auch vor den sich allerdings bald durchsetzenden komplizierten Umständen dieser Liebe. Denn auch ein Ton von Vergeblichkeit ist von Anfang an in diesen Briefen. „Die Zeit und vieles ist gegen uns, aber sie soll nicht zerstören dürfen, was wir aus ihr herausretten wollen“, schreibt sie bald.

Interessant ist natürlich dieses „vieles“. Gegen die Liebenden ist jedenfalls nicht nur die Entfernung zwischen Paris und Wien, sondern auch die nicht nur aufeinander zu fokussierende emotionale Bedürftigkeit der beiden. Sie schreibt: „Männer sind irgendwie um mich, aber es bedeutet wenig.“ Und später zieht sie dieselbe Bewegung von der Beunruhigung zur Beschwichtigung noch einmal eine Spur deutlicher: „Du wirst Dir ja denken können, dass die Zeit seit Dir für mich nicht ohne Beziehungen zu Männern vergangen ist […] Aber nichts ist zur Bindung geworden.“ Und er lernt unter anderem Gisèle de Lestrange kennen, die er im Dezember 1952 heiraten wird; der erste Sohn, der allerdings am Tag nach der Geburt stirbt, könnte vom Zeitpunkt her in der Hochzeitsnacht gezeugt worden sein. Mitte 1955 wird der Sohn Eric geboren.

Die Intensität eines Kafka’schen Briefverkehrs erreicht diese Korrespondenz nie; gerade einmal 196 Dokumente in 20 Jahren verzeichnet der Band, da sind aber alle Postkarten, Widmungen und Grußtelegramme mitgerechnet. Das liegt daran, dass inzwischen das Telefon erfunden worden war. Immer wieder tauschen Bachmann und Celan Nummern aus, um miteinander zu telefonieren. Es liegt aber auch an der Dramaturgie dieser Beziehung. Schnell geht es nicht mehr darum, die Möglichkeit der Liebe zu feiern oder über die Distanz aufrechtzuerhalten oder auch nur zu testen. Rückzugsbewegungen nehmen überhand, Missverständnisse sind da und müssen ausgeräumt werden. Verabredungen werden verschoben. Wie in Zeitraffer schält sich beim Lesen dieser Briefe die Bewegung einer Entliebung heraus.

„Ich liebe Dich und will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer“, seufzt sie einmal. Und Ende 1951 schreibt sie: „Lieber Paul, ich weiss, dass Du mich heute nicht mehr liebst“, aber sie hofft da noch auf einem Neuanfang. Mit einiger Verzögerung antwortet er jedoch im Februar 1952 kühl: „Wir wissen genug voneinander, um uns bewusst zu machen, dass nur die Freundschaft zwischen uns möglich bleibt. Das Andere ist unrettbar verloren.“ Niklas Luhmann weist an einer Stelle seiner Studie „Liebe als Passion“ darauf hin, wie „schmal und gefährlich“ die Brücken der Kommunikation zwischen Liebenden gebaut sind. Zu schmal und zu gefährlich für Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Mit Freundschaft werden sie es von da an versuchen, mit wechselndem Erfolg.

Wenn man in dem Band beim Lesen zwischen den Briefen, dem Stellenkommentar, dem Nachwort und der Zeittafel hin und her springt, kann man die emotionalen Dramen, die zwischen und manchmal auch hinter den Zeilen stehen, gut verfolgen. Man muss gedanklich immer wieder Lücken ausfüllen. Aber die Geschichte, die sich da ereignet, ist nicht so ungewöhnlich, dass das nicht ginge. Gerade diese emotionale Entliebungsarbeit muss man allerdings geradezu gegen die Anlage dieses Suhrkamp-Bandes wahrnehmen. Die Herausgeber zielen vor allem auf das, was aus dieser Liebesgeschichte Literatur geworden ist. In dem Nachwort erfährt man viel darüber, wie vor allem Ingeborg Bachmann diese nur einige Wochen lang glückliche Liebe in ihrem schriftstellerischen Werk gespiegelt, verarbeitet, sublimiert hat. Das wohl bekannteste Beispiel ist das Kapitel „Die Geheimnisse der Prinzessin von Kagran“, das Bachmann nach Celans Tod in ihren Roman „Malina“ einfügte. Literaturwissenschaftlich einschlägige Arbeiten liegen längst vor.

Aber so gut wie gar nichts erfährt man über das Fleisch und das Blut dieser Liebe. Ein Kapitel über Bachmann und die Männer wäre im Nachwort genauso hilfreich gewesen wie ein Kapitel über Celan und die Frauen. Dann werden viele reale Details aus den Briefen im Stellenkommentar gar nicht erst aufzuklären versucht. Nur ein Beispiel: Im September 1951 schreibt Ingeborg Bachmann einen dann allerdings nicht abgesandten Brief, in dem sie Paul Celan ankündigt, den Ring, den er ihr offenbar im Jahr zuvor gegeben hatte, offenbar ein Familienerbstück, zurückzugeben. Wörter wie Bitterkeit, Verzweiflung, Enttäuschung, Stolz fallen. Sie ist zutiefst gekränkt. Was hat es mit diesem Ring auf sich? Rechercheergebnisse über solche Realien der Liebesbeziehungen hätten dem Band unbedingt gutgetan.

Es ist keineswegs banausisch, solche Dinge wissen zu wollen. Einem Ende August erscheinenden Buch über Ingeborg Bachmann von Frauke Meyer-Gosau kann man etwa entnehmen, dass die Schriftstellerin eine Sehstärke von minus 13 Dioptrien hatte, zugleich aber zu eitel war, eine Brille zu tragen. Wenn man so etwas weiß, liest man zeitgenössische Beschreibungen über ihren majestätisch schreitenden Gang ganz anders. Sie musste sich langsam bewegen, weil sie die Welt um sie herum durch einen Schleier wahrnahm. Genauso gern hätte man gewusst, wie die Einstellung ihrer Eltern zu Ehe und Familie war, wie die anderen Liebesbeziehungen der Bachmann verliefen und natürlich auch, wie die Ehe Paul Celans konkret aussah.

Im Herbst 1957 entbrennt ihre Leidenschaft noch einmal neu. Sie begegnen sich auf einer Tagung über Literaturkritik in Wuppertal und treffen sich dann in einem Hotel in Köln. Noch einmal muss es gefunkt haben. In der Korrespondenz fängt nun er an zu plappern, auf seine Weise. Er schickt Gedichte, auch das im Zusammenhang mit der Kölner Begegnung entstandene Gedicht „Köln, Am Hof“, aus dem der Titel „Herzzeit“ des Suhrkamp-Bandes stammt („Herzzeit, es stehn / die Geträumten für / die Mitternachtsziffer“), Am Hof lautete die Adresse des Kölner Hotels. Und er drängt, bittet um Antwort, umschmeichelt sie, schreibt federleichte Verliebtheitsbriefe.

Doch nun gibt sie sich im Briefwechsel zurückhaltender. Auf ihren Satz „Du darfst sie und Euer Kind nicht verlassen“ plant er beherzt ein Arrangement zu dritt: „Gisèle weiß, daß ich zu Dir fahren will, sie ist so tapfer.“ Er kommt dann auch wirklich ein paarmal, jeweils für ein paar Tage nach München, wo sie zwischenzeitlich wohnt. Aber auf Dauer stellen können sie auch diese zweite Liebesepisode nicht. Bald zeigen sich im Briefwechsel wieder deutliche Spuren von Entliebungsarbeit. Im Sommer 1958 lernt sie dann Max Frisch kennen, mit dem sie dann für vier Jahre das große Star- und Königspaar der deutschsprachigen Literatur abgeben wird, das sie mit Paul Celan nicht werden konnte.

Danach ringen sie wieder um Freundschaft, wieder klappt das phasenweise besser, phasenweise schlechter. Es entstehen auch Briefe zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange sowie zwischen Paul Celan und Max Frisch, auch sie sind in diesem Band abgedruckt.

Dann ereignet sich die Freundschaftskatastrophe. Eine von ihm als zutiefst antisemitisch empfundene Besprechung seines Gedichtbandes „Sprachgitter“ von Günter Blöcker, die ihn ins Herz seiner Existenz trifft (ein wie die bald darauf von Claire Goll losgetretene sogenannte Plagiats-Affäre zentrales Thema in der Celan-Forschung), schickt er im Oktober 1959 mit einem einzigen Begleitsatz zu ihr: „Liebe Ingeborg, die beiliegende Besprechung kam heute früh – bitte lies sie und sag mir, was Du denkst. Paul.“ Als ihre Reaktion nicht exakt so ausfällt, wie er es sich erwünscht hatte, kündigt er ihre Freundschaft mit großer Geste auf. Wie daraufhin alle Beteiligten, auch Max Frisch ist involviert, zu kitten versuchen, was noch zu kitten ist, liest sich hochdramatisch. Aber wirklich erholen wird sich die Freundschaft nicht mehr. Sie tippt noch zwei Jahre später einen eingehenden Analysebrief in die Schreibmaschine, aber an ihn abschicken wird sie ihn nicht.

Nur noch ein einziges Mal blitzt so etwas wie Leichtigkeit und Zärtlichkeit in diesem Briefwechsel auf, aber das ist eine Leichtigkeit in der Verzweiflung. Im vorletzten Brief dieser Korrespondenz schreibt Paul Celan im September 1963 an Ingeborg Bachmann: „Laß mich doch bitte wissen, wie es Dir geht. Ich habe ein paar nicht ganz erfreuliche Jahre hinter mir“. Das ist eine gewaltige Untertreibung. Einige Monate zuvor war er in einer Psychiatrie stationär behandelt worden (1967 wird er dann seine Frau umzubringen versuchen, und am 20. April 1970 wird er Selbstmord begehen). Und auch sie hatte nach der Trennung von Max Frisch schwere psychische Probleme gehabt, inklusive Klinikaufenthalten in Zürich und Berlin.

Ein Antwortbrief von ihr ist nicht überliefert. Sie haben sich nicht mehr helfen können. Der letzte Brief in dem Band ist 1967 ein recht unverbindlicher Gruß von ihm.

Ingeborg Bachmann, Paul Celan: „Herzzeit. Briefwechsel“. Hg. von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008, 401 Seiten, 24,80 Euro

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