Brennelementefabrik in Lingen: Rosatom fasst im Emsland Fuß
Die niedersächsische Landesregierung veröffentlicht den Antrag für den Ausbau der Brennelementefabrik in Lingen. Rosatom ist daran beteiligt.
Neues Geschäftsfeld sollen hexagonale, also sechseckige Brennelemente werden. Bisher ist ANF auf quadratische Brennelemente spezialisiert. Sechseckige Brennelemente brauchen AKWs russischer Bauart, sogenannte VVER-Reaktoren. Die gibt es in Armenien, Tschechien, der Slowakei, der Ukraine, Bulgarien, Finnland, Iran und China. Ab dem 4. Januar soll der Antrag der ANF zur Genehmigung der Erweiterung in Lingen, dem niedersächsischen Umweltministerium und im Internet ausliegen. Das kündigte das Umweltministerium in Hannover kurz vor Weihnachten an. Bis zum 3. März sind Einsprüche gegen das Vorhaben möglich.
Angesichts der Zusammenarbeit der französischen Framatome mit dem russischen Atomkonzern Rosatom fürchten Kritiker, dass sich Rosatom mithilfe der Firma in die Brennelementefabrik in Lingen einkauft. Vor diesem Hintergrund fordert Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) ein Ende der Atomgeschäfte mit Russland. „Geschäfte mit Putin sollten beendet werden, das gilt auch und gerade für den Atombereich“, sagte der Grünen-Politiker der dpa.
Werden die Geschäfte mit Putins Atomwirtschaft wirklich beendet, wie Meyer fordert? Tatsache ist: Framatome und Rosatom pflegen seit Jahren gute Geschäftsbeziehungen. Dabei geht es auch um die Produktion von Brennelemente für AKWs vom Typ VVER. Bereits im Dezember 2021, so berichtet Rosatom auf seiner Internetseite, habe das Unternehmen mit Framatome eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Bereich Produktion von nuklearem Brennstoff und automatischen Steuerungssystemen unterschrieben.
Kritik von Umweltorganisationen
Der Umweltorganisation „.ausgestrahlt“ liegt ein Schreiben des Bundesumweltministeriums vom 4. September 2023 vor, in dem es heißt: „Framatome hat mit dem russischen Lizenzinhaber für VVER-Brennelemente Verhandlungen über die Lizenzfertigung von VVER-Brennelementen geführt und bereits in dieser Phase die ANF als Fertigungsstandort ausgewählt, woraufhin bei der ANF die Planungen zur Schaffung der technischen Voraussetzungen zur Fertigung von VVER-Brennelementen begonnen wurde.“ Nach Abschluss der Verhandlungen sei zur Abwicklung der Lizenzfertigung die „European Hexagonal Fuels S.A.S.“ mit Sitz in Lyon (Frankreich) gegründet worden.
Seit 2021 gibt es in Lingen eine „European Hexagonal Fuel Vermögensverwaltungs GmbH“ mit Sitz in der Brennelementefabrik, registriert am Amtsgericht Osnabrück. Deren Geschäftsführer, Peter Reimann, ist auch Geschäftsführer von ANF in Lingen. Das heißt: Das Joint Venture zwischen Framatome und Rosatom hat eine offiziell registrierte Außenstelle in Lingen. Darüber hinaus hat das niedersächsische Umweltministerium schon im Frühjahr laut der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung bestätigt, dass Mitarbeiter der Rosatom-Tochter TVEL nach Lingen kommen, also unmittelbar vor Ort arbeiten werden.
UmweltschützerInnen in Niedersachsen und NRW sind verärgert über Christian Meyer: Während sich dieser für ein Ende der atomaren Zusammenarbeit mit Russlands Rosatom ausspricht, wird genau diese Kooperation von der niedersächsischen Landesregierung mit dem unerwartet frühen Auslegen der Unterlagen für das Genehmigungsverfahren forciert, werfen sie ihm vor. „Rosatom ist ein russischer Staatskonzern, der direkt dem Kreml unterstellt und aktiv am Krieg gegen die Ukraine beteiligt ist“, sagt Armin Simon von.ausgestrahlt. „Der Atomriese bündelt den gesamten militärischen und zivilen Atomsektor Russlands, vom Uranbergbau bis zu den Atomwaffen. Mit dem Bau von AKWs in zahlreichen Ländern schafft er jahrzehntelange Abhängigkeiten und setzt so geopolitische Ziele des Kreml um.“
Matthias Eickhoff vom „Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen“ erinnert daran, dass Rosatom nach dem russischen Überfall auf die Ukraine federführend die technische Leitung des militärisch besetzten AKW Saporischschja übernommen hat. „Eine Genehmigung des Ausbaus der Atomfabrik von Lingen unter Mitwirkung des russischen Atomkonzerns Rosatom durch deutsche Behörden legitimiert am Ende auch die Besetzung von Saporischschja, über die alle zu Recht so empört sind“, sagt Eickhoff der taz.
Er kritisiert den „Doppelsprech“ aus dem Umweltministerium in Hannover: „Offiziell ist man ganz gegen die Pläne von Framatome und Rosatom, aber faktisch werden diese gefährlichen Atompläne durch die frühe Auslegung der Unterlagen in der Weihnachtszeit auch vom grünen Umweltminister in Niedersachsen tatkräftig vorangetrieben.“ Für den 20. Januar ist eine Demonstration vor der Brennelementefabrik Lingen angekündigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland