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Bremer WahlgesetzDas Volk soll entscheiden

Der Verein „Mehr Demokratie“ hat die nötigen 5.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gegen die „Reform der Reform“ des Bremer Wahlgesetzes gesammelt.

Da kann man schon mal den Überblick verlieren: Stimmzettel zur Bürgerschaftswahl Foto: dpa

BREMEN taz | Wenn es nach dem Verein „Mehr Demokratie“ geht, wird es zum zweiten Mal in Bremen zu einer Volksabstimmung über das Wahlrecht kommen. Denn er will nicht hinnehmen, dass die Parteien die Möglichkeiten der Wähler zurückdrehen, einzelne KandidatInnen direkt zu wählen.

Bereits 2006 hatte der Verein per Volksbegehren das derzeitige Wahlverfahren durchgesetzt. Bei der Wahl 2015 haben es 22 von 83 Kandidaten dank ihrer Personenstimmen geschafft, trotz hinterer Listenplätze in die Bürgerschaft zu kommen. Im vergangenen Februar nun hat die Bürgerschaft eine Reform beschlossen, nach der es nur sieben gewesen wären.

Die Parteien stellen auf den hinteren Plätzen ihrer Listen KandidatInnen auf, die im Wahlkampf zwar „Stimmen ziehen“, die die Parteienzen­tralen aber nicht in der Bürgerschaft sehen wollen. Bei den Grünen ist einer der Kandidaten, der unter MigrantInnen viele Stimmen gezogen hat, nach der Wahl in die CDU gewechselt; Susanne Wendland ist aus der Fraktion ausgetreten. Die Stimmen, die die beiden bekommen haben, sind aber den Grünen zugute gekommen beim Wahlergebnis.

Insbesondere bei der SPD, wo vielen die damalige Wahlrechtsreform nicht gepasst hat, war nach der Wahl 2015 schnell klar, dass das System wieder korrigiert werden sollte. Die große Zahl der Personenstimmen, die Jens Böhrnsen bekommen hatte, so wurde argumentiert, komme dem Spitzenkandidaten nicht zugute, sondern wirke sich zugunsten der hinteren ListenkandidatInnen aus.

2006 hatte „Mehr Demokratie“ das derzeitige Wahlverfahren durchgesetzt

Auch gab es das „Personenstimmen-Paradoxon“ – 2011 schon bei einigen Beiratskandidaten, 2015 bei dem CDU-Politiker Thomas vom Bruch: Wenn seine mageren 1.460 Personenstimmen nicht auf ihn entfallen wären, sondern auf die Liste, dann wäre er als „letzter Listenkandidat“ in die Bürgerschaft gekommen. Diese Stimmen zählten aber für den Block „Personenstimmen“ – und da hatten andere deutlich mehr.

Nun hat die Wahlrechtsreform gewollt, dass die Personenstimmen Gewicht haben, aber die Parteien wollen möglichst viele verdiente Funktionäre in die Bürgerschaft bringen und populärere Vertreter auf aussichtslosen Listenplätzen nur zum Stimmensammeln aufstellen.

So beschloss die Bürgerschaft im vergangenen Februar, dass nach dem Verfahren zur Sitzverteilung künftig zunächst die Personenstimmen zählen sollen und dann erst die Parteistimmen. Das klingt formal, hat aber große Folgen, weil eben die Chancen „hinterer“ ListenkandidatInnen drastisch reduziert werden. Zudem schließe dieses Verfahren ein „Personenstimmen-Paradoxon“ nicht aus, sondern mache es nur unwahrscheinlicher, erklärte das Landeswahlamt im Wahlrechtsausschuss in seiner Stellungnahme.

Anderes Verteilungsverfahren

Das Wahlamt hat ein anderes Verteilungsverfahren vorgeschlagen, das solche Paradoxien ausschließt: Sitze sollten nur noch nach den vergebenen Personenstimmen verteilt werden. Dieses Verfahren wäre auch für die WählerInnen klarer, argumentierte die Expertise des Wahlleiters: Wer viele Stimmen hat, kommt rein. Bei den Wahlen 2015 wären danach sogar 26 KandidatInnen in die Bürgerschaft hineingekommen, die von den Parteien nicht „vorn“ platziert worden waren. Das machte den Vorschlag indiskutabel – die Parteien hatten sich festgelegt.

Der Verein „Mehr Demokratie“ favorisiert aber genau dieses Modell. In den kommenden Tagen wird er die erforderlichen 5.000 Unterschriften für ein neues Volksbegehren dem Landeswahlleiter übergeben. Wenn sie beim Volksbegehren über 25.000 Unterschriften zusammenkriegen, dann könnte es am Wahltag 2019 wieder einmal zur Volksabstimmung kommen.

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