Bremer SPD wählt Landesvorsitzenden: Der Zurückhaltende
Reinhold Wetjen ist der einzige Kandidat bei der Wahl eines neuen Landesvorsitzenden der Bremer SPD. Wofür er steht, ist nicht einfach rauszukriegen.
Außerhalb der Bremer SPD ist Wetjen ein ziemlich unbeschriebenes Blatt. Mit Google findet man fast nichts über ihn. Auf Facebook hat er aktuell Fotos von der Reparatur von Wahlkampfplakaten gepostet. Selbst auf der Internetseite der Partei bleiben die Angaben bestenfalls spärlich.
„Ich möchte keine Interviews und Statements vor der Wahl abgeben, da es nicht zu meiner Person passt und auch nicht die Delegierten beeinflussen sollte, wenn ich schon vor der Wahl ‚werbe‘“, erklärte er auf eine Interview-Anfrage. Wofür er steht, werden die Delegierten vielleicht auf dem Landesparteitag erfahren, sofern sie ihn nicht aus parteiinternen Diskussionen kennen – immerhin ist er 68 Jahre alt und hat einige Jahre der Parteiarbeit auf dem Buckel.
Trotz seiner persönlichen Art, zu der öffentliche Positionierung nicht gehört, will Wetjen die Öffentlichkeitsarbeit der Partei verbessern. „Die Bremer SPD kann noch besser in den Medien vertreten sein“, heißt es in einem Papier zur Parteireform, das seine Handschrift trägt. Die Partei sei in den Stadtteilen präsent und aktiv – aber kein Mensch merke es. Das soll geändert werden – aber wie?
Ein „hauptamtlicher Medienreferent bzw. eine Referentin“ solle eingestellt werden. Bisher war die Pressearbeit der Partei Sache der Landesvorsitzenden und des Geschäftsführers. Das fiel neben der professionellen Medienarbeit der SenatorInnen kaum ins Gewicht: Dem Kandidaten Wetjen war es offenbar zu wenig.
Aufgabe dieser Person soll aber nicht die direkte Pressearbeit sein, sondern interne Schulungen in Medienarbeit und „Planung der Öffentlichkeitsarbeit der Untergliederungen“ durchzuführen. Ein „Medienbeirat“, nach Proporz der Untergliederungen zusammengesetzt, soll „Themen, Maßnahmen und Kampagnen“ vorschlagen.
Das klingt sehr nach Parteibürokratie, Wetjen ist sich dabei aber durchaus bewusst, dass die moderne Arbeitsform die der Projektarbeit ist. Die Parteiarbeit sollte mehr „in Arbeitskreisen und in (zeitlich befristeten) Projektgruppen“ stattfinden, heißt es in seinem Reformpapier.
Da kennt er sich aus. „Campaigner“ steht immerhin auf der SPD-Webseite, die ihn als Beisitzer des Vorstands des Unterbezirks Stadt vorstellt. Das meine Wahlkämpfe, erklärt er.
Seine Lehre als Betriebswirt hat Wetjen einst bei der „Nordsee“ in Bremerhaven gemacht und dann Industriekaufmann studiert. Die kommunalen Bremer Stadtwerke stellten ihn ein, da hat er dann bis zum Jahre 2000 gearbeitet – danach war er einige Jahre bei den Stadtwerken in Düsseldorf. Aus der Parteiarbeit hatte er sich da berufsbedingt weitgehend zurückgezogen.
Wenn er jetzt Landesvorsitzender wird, muss er aber voll wieder einsteigen: Immerhin stehen im September Bundestags- und im Mai 2023 Bürgerschaftswahlen an. Und Wetjen sieht sich nicht nur als Platzhalter beispielsweise für seinen Unterbezirksvorsitzenden Falk Wagner: Der ist dieser Tage gerade Vater geworden und hat andere Prioritäten. Aber nachgesagt wird ihm der Ehrgeiz, für eine deutliche Verjüngung an der Spitze der Bremer SPD zu sorgen.
Wetjens Reformideen sind vielfältig. Die Partei soll „nach außen sichtbarer und im Inneren erlebbarer“ werden, heißt es in seinem Papier, soll mehr mit „Partnern aus der Zivilgesellschaft“ zusammenarbeiten, mehr „junge Menschen und Frauen“ ansprechen und vor allem in den sozialen Medien präsent sein.
Büroflächen als Treffpunkte für Ehrenamtliche
Neben dem Medienreferenten soll es dafür „Stadtteilbüros in mindestens vier Stadtteilen“ – drei gibt es bisher – geben, mit denen eine „Steigerung der Sichtbarkeit der SPD“ gelingen soll. Diese Büroflächen könnten auch als Treffpunkt ehrenamtlichen Gruppen offen stehen. Und das zentrale Parteibüro, derzeit auf einer Büroetage in der Obernstraße untergebracht, soll umziehen, um eine sichtbare „Adresse“ zu werden – eine „wahrnehmbare Anlaufstelle für die Bevölkerung“.
Wetjen ist sich darüber im Klaren, dass solche Prozesse in einer traditionsreichen Partei Zeit brauchen – „Lähmschichten“ nennt er das, was zu überwinden ist, bisweilen. Einmal hat sich Wetjen doch ausgesprochen mutig an die Öffentlichkeit gewandt. Das war 1995, als Henning Scherf seine Koalition mit der CDU schmiedete.
Wetjen bekannte als Parteitagsdelegierter offen, er werde mit „Nein“ gegen den Koalitionsvertrag stimmen. Der taz hatte er damals ein Diskussionspapier zur Begründung vorgelegt, für das er gemeinsam mit Heinz-Gerd Hofschen verantwortlich zeichnete. Der 2019 verstorbene Historiker trat vier Jahre später aus der Partei aus und wechselte in Die Linke.
In dem Protestschreiben monierten die beiden die fehlende sozialdemokratische Handschrift des Koalitionsvertrages. Das Konzept der „Rasenmäherkürzungen“ lehnten die beiden ab und forderten, dass eine selbstbewusste SPD „kein bequemer Partner für die CDU sein“ dürfe. Henning Scherf hat bei dem folgenden Zusammentreffen mit Wetjen abfällig bemerkt, er habe das Papier gesehen, aber nicht gelesen.
Und will jetzt der Landesvorsitzende Wetjen eine selbstbewusste SPD repräsentieren, der dem medienaffinen und dominanten Bürgermeister Andreas Bovenschulte – wenn es nötig ist – ein unbequemer Partner ist? Kaum: Wer vor der Wahl keine entsprechenden Aussagen trifft, kann sich nicht auf ein „Mandat“ der Delegierten berufen. Und wie es der Zufall will, ist Bovenschulte zudem auch Mitglied in dem Ortsverein Altstadt, der Wetjen vorgeschlagen hat.
Wetjen ist eher ein Mann der leisen Töne. Gerade kursiert ein Papier zur Aufwertung der Bahnhofsvorstadt. Die „Wegebeziehungen in die Innenstadt“ sollen attraktiver werden, „insbesondere für Fußgänger“, heißt es da, die Daniel-von-Büren-Straße sollte eine Flaniermeile vom Findorff-Tunnel bis zu den Wallanlagen werden.
Vor allem aber sollte, so Wetjens Papier, die „Barriere Hochstraße gestalterisch überwunden“ werden. Eigentlich fordert der Ortsverein den Abriss der Hochstraße. Aber solange der in den Sternen steht, will Wetjen – pragmatisch – unter dem Flyover eine für Fußgänger attraktive Aufenthaltszone schaffen – mit Außengastronomie, möglicherweise herunterhängenden Pflanzen.
Muss man Druck auf die grüne Bau- und Umweltsenatorin ausüben, um diese Pläne umzusetzen? Eher nicht – die Idee und die Skizzen stammen aus einem alten Papier einer Arbeitsgruppe ihres Ressorts. Die Verwaltung, speziell die Abteilungen für Stadtplanung der Stadtteile, seien unterbesetzt, findet Wetjen. Gäbe es da mehr Stellen, kämen auch gute Ideen für Stadtgestaltung besser voran, hofft er. Kommunale Politik ist für ihn offenbar vor allem Verwaltungshandeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles