Bremer Kontaktnachverfolgung: Amt nutzt Luca-App keine zehn Mal
Das Gesundheitsamt hat Apps wie Luca bislang kaum genutzt, um die Kontakte einer mit dem Coronavirus infizierten Person nachzuverfolgen.
Aber was, wenn der Code nicht funktioniert, der Akku leer ist, das Internet hakt oder man es schlicht vergisst – einen aber niemand dran erinnert? „Naja, halb so wild“, denkt man sich und nimmt den nächsten Schluck.
Draußen mag das nicht so schlimm sein, aber drinnen in Gastronomie- und Dienstleistungsbetrieben sind Betreiber*innen dazu verpflichtet, Kontaktdaten aufzunehmen – ob per App oder auf dem Papier –, um sie im Fall einer Corona-Infektion an das Gesundheitsamt weitergeben zu können. Dieses habe die Apps Luca und Gast Bremen allerdings bislang „keine zehn Mal“ genutzt, sagt Lukas Fuhrmann, Sprecher der Gesundheitssenatorin. Insgesamt.
Wer beim Kontakte sammeln schludert, verhält sich nicht nur unsolidarisch, sondern kann auch ordentlich zur Kasse gebeten werden: Nach Angaben des Innensenators wird ein Verstoß gegen die Registrierungspflicht mit einem Bußgeld von 100 bis 2.500 Euro bestraft.
Ordnungsdienst prüft stichprobenartig
Doch wie oft wird kontrolliert? Der Ordnungsdienst prüfe „stichprobenartig die Erhebung der Daten zur Kontaktnachverfolgung“, heißt es in der Antwort des Ressorts. Dabei kontrollierten die Einsatzkräfte, wie die Daten erfasst werden, erkundigten sich nach der Bereitschaft der Gäste, mitzuwirken, Listen würden zudem auf Vollständigkeit geprüft. „Vereinzelt“ soll es bereits Bußgelder gegeben haben.
Die Behörden wünschen sich vor allem die Nutzung der Apps statt Zetteln: Die digitale Variante sei für alle Beteiligten einfacher, findet Fuhrmann. Wirt*innen müssten so keine „ewig langen Listen“ führen und bei Bedarf rauskramen, die dank unleserlicher Schrift oder Fantasienamen für das Gesundheitsamt teils nutzlos sind. Durch die Apps seien die Daten „vollständig, wahrscheinlich korrekt“ – und vor allem schnell da.
Nach Angaben der Luca-Betreiber selbst sind in Bremen 2.400 Standorte registriert; also Kneipen, Baumärkte, Kaufhäuser. Wie viele Privatnutzer*innen es in der Stadt gibt, werde nicht erhoben. In der Stadt seien die Apps „viel im Einsatz“, sagt Fuhrmann. Aber: beim Gesundheitsamt eben nicht.
Wenn es dann doch mal dazu kommt, funktioniert es mit der Luca-App so: Per Knopfdruck werden die Kontaktdaten einer infizierten Person aus dem relevanten, also infektiösen, Zeitraum angefragt, „dann schickt der Betreiber die Liste zu“, erklärt Fuhrmann. Das alles funktioniere immer und sei „technisch unproblematisch“.
Sensible Daten zentral gespeichert
Auch beim technischen Support sowie Datenschutzfragen seien die Betreiber „fix“. Letzteres wurde im Frühjahr diskutiert. Bremens Datenschutzbeauftragte Imke Sommer hielt die App für „angreifbar“, weil sie sensible Daten auf einem zentralen Server speichere.
Nicht überall läuft die Nutzung der App reibungslos: Der Tagesspiegel hatte vergangene Woche berichtet, dass „mehrere“ Berliner Gesundheitsämter die App für „nutzlos“ halten und Luca „bei Fragen nicht erreichbar“ sei.
Einen Umweg über Kneipe oder Kino gibt es bei der Abfrage über Luca nicht. Im Gegensatz zur App Gast Bremen: Um über diese an Kontakte zu kommen, müsse das Gesundheitsamt am entsprechenden Ort anrufen, so Fuhrmann. Die Liste komme dann auf digitalem Wege von Restaurant und Co.
Ein Grund für die geringe Nutzung durch das Gesundheitsamt könnte – neben leeren Handyakkus oder Unlust – in den niedrigen Infektionszahlen liegen, so Fuhrmann. „Wenn wir wieder bei 200 lägen, sähe das bestimmt anders aus.“ Ein weiterer Grund: „Die Bereitschaft zur Mitarbeit bei den Infizierten sinkt – und ohne die können wir nicht arbeiten.“
Erinnerungslücken beim Kneipenpublikum
Regelmäßig komme es vor, dass auf die Frage „Wo waren Sie?“ keine Antwort oder vermeintliche Erinnerungslücken folgen. Ob die App vom Gesundheitsamt mehr genutzt würde, wenn dies anders wäre, „ist schwer zu sagen“.
Ein weiterer Grund für die wenige Nutzung sei, dass Kontakte in der Regel das Arbeitsumfeld, Familie und Freund*innen seien, so Fuhrmann weiter. Apps und Listen würden nur relevant, wenn die Person in dem infektiösen Zeitfenster von 48 Stunden vor Test oder Symptombeginn tatsächlich in einer Bar oder Ähnlichem unterwegs war. Das sei vergleichsweise selten.
Die Corona-Warn-App spiele für das Gesundheitsamt „gar keine Rolle“: Sie erfülle nicht die Bedingungen für die Kontaktnachverfolgung, weil sie vollständig anonym arbeite. „Wir wollen die Leute ja aber anrufen und mit ihnen sprechen.“
Dass die Luca-App weiterhin keine Gateway-Lösung hat – also eine Schnittstelle zum Gesundheitsamt, welches so die Daten verschiedener Apps bündeln könnte –, sei für Bremen nicht schlimm. Hier gebe es nur die zwei Apps, „keine 15“, sagt Fuhrmann. In seltenen Fällen müsse das Gesundheitsamt Kontakte von beiden Apps und einer analogen Liste zusammensuchen. Kontaktiert würden immer noch alle, die man erreichen könne, sagt Fuhrmann.
Viertelmillion für die Katz?
Ein gutes System, aber wenig kooperative Infizierte und keine zehn Nutzungen – ob sich die Viertelmillion gelohnt hat, die Bremen an die Betreiberfirma Culture4live für die einjährige Lizenz bezahlt hat? Schwer zu beurteilen, findet Fuhrmann und fragt zurück: „Lohnt es sich schon bei einer verhinderten Infektion oder erst bei 100?“ Das Ziel sei gewesen, verschiedene Lösungen zu schaffen, die viel eingesetzt werden können. „Das haben wir geschafft.“
Verbesserungspotential sieht Fuhrmann dennoch: Oft werde für Gastroplätze drinnen und draußen der gleiche QR-Code verwendet. „Dabei könnte man das theoretisch auf einzelne Bereiche oder sogar Tische runterbrechen.“ Das sei die Stärke der Apps – und würde dem Gesundheitsamt jede Menge Arbeit ersparen.
Vor allem vor dem Hintergrund, dass es inzwischen immer mehr Kontakte pro positiv getesteter Person gebe. „Es sind nicht mehr nur drei, vier“, sagt Fuhrmann, „sondern viel, viel, viel mehr. Logisch, mit einem nahezu wieder normalen Leben.“ Mit Blick auf die steigende Inzidenz und den Herbst ist Fuhrmann sicher: „Die interessante Phase kommt noch.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil