Bremer Gerichsturteil zum Gehwegparken: Freie Bahn vor der eigenen Haustür
Wegen zugeparkter Gehwege hatten Anwohner:innen gegen die Verkehrsbehörde geklagt. Ein Gericht entschied, dass sie ein Recht auf freie Wege haben.
Am Dienstag veröffentlichte das Verwaltungsgericht die Urteilsbegründung. Konkret hat es die Verkehrsbehörde darin verpflichtet, erneut über einen Antrag von Anwohner:innen zu entscheiden. Schon 2018 wollten Anwohner:innen dreier Straßen in zentral gelegenen Bremer Stadtteilen mit dem Antrag erreichen, dass die Behörde „geeignete und wirksame Maßnahmen gegen das regelmäßige Gehwegparken“ ergreift. So steht es in dem Urteil. Die Kläger:innen fühlten sich beeinträchtigt: nebeneinander gehen oder Kinder in ihren Straßen Rad fahren zu lassen, sei nicht möglich gewesen.
Mitte 2019 lehnte die Verkehrsbehörde den Antrag der Anwohner:innen ab. Ein Widerspruch bewirkte nichts. Daher erhoben sie schließlich Klage.
In der Ablehnung der Verkehrsbehörde habe es geheißen, Polizei und Ordnungsamt seien zuständig – und diese könnten nach freiem Ermessen entscheiden, welcher Ordnungswidrigkeit sie nachgehen. Auf dem Gehweg parken ist laut Straßenverkehrsordnung (StVO) so eine Ordnungswidrigkeit. Das Gericht teilte am Dienstag mit, dass dieser Verweis nicht in Ordnung sei: Denn „die Ordnungsbehörden“ schritten „in den betroffenen Wohnstraßen in der Regel nicht ein“ – womit sie die Kläger:innen „faktisch rechtsschutzlos“ zurück ließen.
Juristisches Neuland
Gegen das Innenressort, das für Polizei und Ordnungsamt zuständig ist, hätten die Anwohner:innen lieber geklagt, sagten sie im November. Doch wenn dieses nicht handele, müsse es eben jemand anderes tun. Weil es in der StVO heißt „Zuständig zur Ausführung dieser Verordnung sind, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Straßenverkehrsbehörde“, fiel die Wahl auf die Verkehrssenatorin.
Das Gericht hat diese nun zum Handeln verpflichtet. Was genau sie tut, ist ihr jedoch überlassen. Ideen gibt es genug: Schilder aufstellen, Informationen in Briefkästen verteilen, abschleppen lassen. Für Kontrollen und Bußgelder dagegen ist das Innenressort verantwortlich.
„Das Besondere an dem Urteil ist, dass das Gericht überhaupt dieses subjektive Recht festgestellt hat“, sagt Carsten Bauer, Sprecher des Verwaltungsgerichts. Und das auf öffentlichem Grund. „Es wäre nicht erstaunlich gewesen, wenn die Kammer das anders gesehen hätte.“ Bislang sei die Frage, ob Anwohner:innen ein Recht darauf haben, dass gegen Parken auf dem Gehweg vorgegangen wird, in der Rechtsprechung nicht diskutiert worden.
„Wenn das so akzeptiert wird, gilt das sicherlich auch in anderen Straßen“, sagt Bauer weiter. Nach seiner Einschätzung sei es durchaus denkbar, diese Entscheidung auch auf andere zugeparkte Gehwege, die von Menschen genutzt werden, die dort aber nicht wohnen, anzuwenden.
Kein Recht auf einen Parkplatz
Beide Parteien haben nun einen Monat Zeit, um Berufung einzulegen. Noch ist unklar, ob das Verkehrsressort davon Gebrauch macht. Man müsse das Urteil intern und mit dem Innenressort besprechen, sagt Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne). Sie bezeichnet es als „Meilenstein für die Verkehrswende“.
Inhaltlich steht es ihrer Politik nicht entgegen: „Bisher war unser Kurs, mit Maßnahmen wie Bewohnerparken, Carsharing-Angeboten, Ausbau des Umweltverbundes den Parkdruck in den Quartieren sukzessive abzubauen.“ Das Urteil erzwinge nun konsequenteres und schnelleres Handeln.
Aufgesetztes Parken „weiter systematisch dulden“, gehe jetzt nicht mehr, freuen sich auch die Kläger:innen. Die Rechte des Fußverkehrs würden mit der Begründung nicht nur in Bremen gestärkt, sondern bundesweit, schreibt eine von ihnen der taz.
Laut BUND Bremen werde mit dem Urteil zudem deutlich, „dass es kein Recht auf einen Parkplatz vor der eigenen Haustür gibt, nicht einmal ein Recht auf einen Parkplatz im öffentlichen Raum“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül