Bremer Fanbetreuer über Stadionkultur: „Auch Ultras gehören kritisiert“
Thomas Hafke leitete 30 Jahre das Bremer Fanprojekt, nun wurde ihm gekündigt.
taz: Herr Hafke, wie geht es Ihnen?
Thomas Hafke: Naja, den Umständen entsprechend.
Warum?
Ich bin das erste Mal arbeitslos. Das ist sehr unangenehm. Gespräche mit dem Arbeitsamt, der ganze Behördenkram. Ohne Arbeit fehlt Struktur, alles ist schwammig. Manchmal weiß ich gar nicht, welcher Wochentag ist.
Das Fanprojekt, wo sie seit 1988 arbeiteten, hat Ihnen zum 1. April gekündigt. Warum?
Es gab immer Konflikte bei Teambesprechungen. Ich habe gewisse Dinge anders gesehen als meine Kollegen und sie warfen mir vor, dass ich den Kontakt zu den Ultras verloren hätte. Und dann gab es da noch die Geschichte nach dem Abschiedsspiel für Torsten Frings vor fünf Jahren und die Frage, wie man mit Gewalt von linken Ultras umgeht.
Was war da los?
Nach der Partie trauten sich ein paar Neonazis von der Fangruppe Farge Nord in die Räume des Fanprojekts, die wollten sich da wohl ein Bier holen. Antifaschistische Ultras haben das mitbekommen und die Rechten dann im Ostkurvensaal attackiert – obwohl ich immer gesagt habe: „Das könnt ihr nicht machen, da kann wer weiß was passieren! Sagt mir Bescheid, wenn Nazis kommen. Ich bin der Hausherr im Ostkurvensaal und ich schmeiß die auch raus, habe ich kein Problem mit.“ Aber trotzdem griffen sie die Rechten an.
Warum war das ein Problem für Ihre Arbeit?
Es ist fast jemand umgekommen und zwar ein Unbeteiligter, den ich als Besucher mit in den Ostkurvensaal genommen hatte. Ich hatte nach einer Aktion für Werder-Fans mit Behinderung einen Rollstuhlfahrer in den Ostkurvensaal eingeladen. Dort habe ich uns hinterm Tresen zwei Bier eingeschenkt. Als ich mit dem Rücken zum Raum stand, hörte ich auf einmal Unruhe. Als ich zum Tumult ging, war schon alles geschehen: Der Rollstuhlfahrer lag auf dem Boden und hat sich nicht mehr gerührt. Zum Glück waren Sanitäter in der Nähe. Die haben ihn ins Foyer gezogen und mit Elektroschocks wiederbelebt. Er hatte bei der Hauerei wohl einen Stehtisch an den Kopf bekommen, ich habe das nicht gesehen, sah ihn nur dort liegen. Er kam nach der Reanimation ins Krankenhaus und lag noch über Nacht im Koma. Am nächsten Tag wachte er zum Glück wieder auf. Das war echt Horror. Ich fragte mich, ob ich überhaupt noch weiterarbeiten kann, wenn er womöglich gestorben wäre.
55, ist Sozialwissenschaftler und langjähriger Mitarbeiter des Fanprojekts Bremen. Arbeitete 30 Jahre lang in der Fanarbeit, organisierte Fan-Austauschs nach Israel, Frankreich und England und schrieb seine Diplomarbeit über den sozialen Wandel im Fußball.
Wie ging die Situation im Ostkurvensaal weiter?
Es kamen Ordner in den Saal, die inzwischen mitbekommen hatten, dass es eine Schlägerei gab. Die sind reingerannt wie die Bescheuerten. Das Ganze artete in eine richtige Saalschlacht aus. Ein Ordner holte noch wie irre seinen Gürtel hervor und wickelte sich den ums Handgelenk, um damit zuzuschlagen. Die Ultras haben auch ausgeteilt – es war ein einziges Chaos.
Wie wurde daraus ein interner Konflikt im Fanprojekt?
Ich habe am nächsten Tag den Verletzten im Krankenhaus besucht und bin danach zu den szenekundigen Polizeibeamten, den SKBs, gegangen, weil ich mit denen reden wollte. Die machten daraus aber gleich ein Verhör. Ich dachte, ich komme da eh nicht drumherum und habe eine Aussage gemacht. Das war natürlich für viele Ultras, aber auch Kollegen ein Problem: ein Mitarbeiter beim Fanprojekt, der bei der Polizei aussagt.
Glauben Sie, dass das Fanprojekt zu konfliktscheu gegenüber Ultras ist?
Das Fanprojekt äußert sich aus „arbeitsrechtlichen Gründen“ nicht zur Kündigung von Thomas Hafke. Vorstand Uwe Jahn sagte, es gäbe jederzeit eine kritische Distanz zu Gewalt und zur Fanszene.
Ein Ultra sagte der taz, dass Hafke für viele zu öffentlich und zu vorwürflich mit dem Geschehen nach dem Frings-Spiel umgegangen sei. Im Laufe der Zeit habe er bei vielen Ultras Kredit verspielt.
Ja, zur sozialen Arbeit gehört auch, Ultras zu kritisieren, und einzelnen auch mal ein Hausverbot zu erteilen. Wenn Ultras gewalttätig sind, musst du Grenzen setzen. Es ist ja nicht so, dass die alle nur nette, alternative Linke sind. Das hat man auch bei der Prügelei an der „Schänke“ im vergangenen Dezember gesehen. Das war eine ähnliche Situation wie damals nach dem Frings-Spiel: Natürlich waren da auch ein paar Essener Hooligans in der Kneipe, die wissen, wie man sich kloppt und das geil finden. Für die anderen Gäste ist das aber natürlich scheiße – da hätte wer weiß was passieren können. Und spätestens dann muss man Stellung gegen diejenigen beziehen, die das gemacht haben. Ich kenne keine Stellungnahme vom Fanprojekt.
Das Fanprojekt hat die Polizei kritisiert, weil diese wohl die rechten Hools nach dem Spiel aus den Augen verloren hatten.
Die Polizei kann ja nicht immer vor den Ultras laufen und Hooligans wegräumen. Es stimmt einfach nicht, dass immer nur die Polizei schuld ist. Da macht man es sich einfach. Das Feindbild ist eh groß genug, das sollte man als Fanprojekt nicht auch noch fördern. Man kann nicht nur offene Briefe gegen die Polizei schreiben.
War das Verhältnis zur Polizei denn schon mal besser?
Es wäre schön, wenn es wieder einen Dialog gäbe. Aber das sehe ich mittlerweile nicht mehr. Damals nach dem Ostkurven-Überfall, als Nazi-Hooligans junge linke Ultras überfallen hatten, kniete sich der bei der Polizei zuständige Rainer Zottmann richtig rein, um in den Dialog zu kommen. Inzwischen gibt es von Seiten der Polizei leider eine ganz andere Strategie, es gibt neue SKBs, die überhaupt keine Zugeständnisse mehr machen. Die alten haben sich auf Deals eingelassen, so nach dem Motto: Ihr dürft diesen Weg hier langgehen, aber dafür müsst ihr am Bahnhof ruhig sein. Die neuen SKBs sind eigentlich nur noch auf Investigation und Repression aus.
Wie hat sich die Fanarbeit im Laufe der Zeit verändert?
Politische Bildung hat mit den Jahren zugenommen. Früher gab es weniger Interesse daran von Seiten der Fans, aber mit dem Aufkommen der Ultras und der Spaltung der Fanszene 2006 kristallisierten sich in Bremen immer mehr Gruppen heraus, die sich als politisch verstanden und die rechte Hooligans aus der Kurve drängten. Ich habe dann die Anti-Diskriminierungs-AG mit Fans gegründet und da haben wir uns mit allen Diskriminierungsformen beschäftigt und sogar Fans anderer Vereine fortgebildet. Selbst die Ordner in unserem Stadion haben wir geschult und ihnen rechte Symbolik beigebracht, damit die wissen, wie die Nazi-Marke Thor-Steinar aussieht.
Wie Nazi-Klamotten aussehen, war aber im Fanprojekt nicht immer wichtig. Die Nazi-Band Kategorie C durfte dort sogar mal auf der Weihnachtsfeier spielen. Wieso?
Wir haben natürlich auch Fehler gemacht. Die Antifa hatte natürlich vollkommen recht mit ihrer Kritik an akzeptierender Jugendarbeit. Der Vorwurf lautete ja, dass man Glatzen gestreichelt hatte – aber das geht genauso wenig mit Ultras, die gewaltbereit sind. Natürlich muss man die vor Nazis schützen, keine Frage. Aber man sollte sie nicht noch schützen, wenn sie Scheiße gebaut haben. Aber richtig akzeptierende Jugendarbeit haben wir im Bremer Fanprojekt auch nie gemacht. Uns gab es ja schon vorher.
Sind Sie Werder-Fan?
Nein. Allerdings bin ich keine 500 Meter vom Stadion geboren und aufgewachsen. Als Kind bin ich öfter zur zweiten Halbzeit ins Weserstadion, wenn sie die Tore geöffnet hatten. Aber irgendwann habe ich mich weniger für Fußball als für Mädchen und Politik interessiert. Für Letzteres habe ich an der Schule damals von Nazis und Grauen Wölfen richtig aufs Maul gekriegt, weil ein Lehrer mich vor der Klasse „Kommunist“ nannte.
Wie kamen Sie dann zurück zum Weserstadion?
Ich habe 1985 Sozialwissenschaften studiert, mich mit Soziologie und Sozialpsychologie beschäftigt. Als 1987 die DVU ins Bremer Parlament kam, fand ich das interessant, und fragte mich, wer die auf einmal wählt. Ein Kommilitone meinte: Probiere es mal im Fanprojekt – die arbeiten mit solchen Leuten. Ich kannte keine rechten Skins und habe dann ein Praktikum im Fanprojekt gemacht. Ich fand die Arbeit sehr spannend und kam gut mit Fans zurecht. Später schrieb ich meine Diplomarbeit über Hooligans und den sozialen Wandel im Fußball.
Welche Konzepte verfolgten Sie als Sozialwissenschaftler in der Fanarbeit?
Aufsuchende Arbeit, die offene Tür, Gruppenarbeit, politische Bildung, und ganz wichtig: „Sitzen ist für’n Arsch.“ Der DFB-Präsident Neuberger wollte Ende der Achtziger nach der Katastrophe von Hillsborough die Stehplätze abschaffen. Auch im Weserstadion war die Abschaffung schon geplant. Wir haben die Fans alarmiert – die sind vom Glauben abgefallen. Dann entwickelten wir ein Alternativmodell mit Stehplätzen und Räumen für Fans im Stadion, sind damit bundesweit auf Tour gegangen und haben auch in anderen Fanszenen Anklang gefunden. Schließlich gab es eine Riesendemo von Fußballfans verschiedener Vereine vor der DFB-Zentrale in Frankfurt und die Stehplätze blieben erhalten.
Und die Tiefpunkte?
Für mich die WM 1998, als deutsche Hooligans einen französischen Polizisten fast totschlugen. Ich war als Fan-Arbeiter vor Ort in Lens. Die deutschen Hooligans sind über die Hauptstraße marschiert und grölten: „Wir sind wieder einmarschiert.“ Dann haben sie draußen an Cafés Stühle, Tische und Leute weggetreten. Als die Polizei eingriff, war sie überrascht von der Masse der Hooligans und hat sich zurückgezogen. Außer Daniel Nivel. Der blieb stehen. Die Hools haben ihm den Schädel eingeschlagen. Ich brach die Fanarbeit für die WM ab, konnte nicht weitermachen. Frankreich ist meine zweite Heimat.
Waren Sie selbst Gewalt ausgesetzt?
Ich wurde von Nazis attackiert. Die haben mich immer mal wieder terrorisiert. Ich habe eine Backpfeife von einem Standarte-Mitglied vor dem OstKurvenSaal einstecken müssen und hatte einige Male eine drohende Faust vor dem Gesicht. „Hafke, wir kriegen dich!“-Sprüche waren auch keine Seltenheit. Es gab auch mal Steckbriefe, die mich als „Antifa-Gewalttäter“ bezeichneten.
Würden Sie rückblickend nochmal den gleichen Beruf wählen?
Beim Fußball erlebst du natürlich unglaublich viel. Ich war mit Werder-Fans auf Welt- und Europameisterschaften. Wir sind auch mal zu einem Länderspiel nach Holland gefahren, wo ich erst mit zahnlosen und randalierenden Skinheads aus dem Osten in der Kurve stand, nur um anschließend vom niederländischen Fußballverband in die Königliche Loge eingeladen zu werden, wo ich den holländischen Kronprinzen mit einem Bediensteten verwechselte und ihn nach dem Weg fragte. Diese Spannweite zeigt sehr schön, was meinen Beruf ausgemacht hat.
Schon eine Idee, wie es jetzt weitergehen könnte?
Ja, ich habe meine freie Zeit genutzt, um ein Konzept zu schreiben. Es geht darum, mit Jugendlichen zum Thema Antisemitismus zu arbeiten. Derzeit such ich nach einem Träger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich