Bremer Bürgerschaftswahl 2019: Grüne wählen Rot
Nach zehn Tagen multilateraler Sondierungen plädiert Bremens Grünen-Vorstand für Koalitionsverhandlungen mit SPD und Die Linke.
Tatsächlich hatten seit zehn Tagen Gespräch das Terrain sowohl für ein Rot-Rot-Grünes Bündnis als auch für eines mit FDP und CDU geklärt: Bei der Landtagswahl am 26. Mai war die CDU mit 26,7 Prozent erstmals stärkste Kraft im kleinsten Bundesland geworden. Die SPD, die seit 73 Jahren den Bürgermeister im Range eines Ministerpräsidenten stellt, hatte nach Verlusten von fast neun Prozent nicht ganz ein Viertel der Stimmen bekommen. Die seit zwölf Jahren mit den Sozialdemokraten regierenden Grünen waren mit 17,44 Prozent auf dem dritten Platz gelandet.
Zwar war die inhaltliche Nähe des Linksbündnisses unübersehbar: Auswertungen von Tools wie dem wahl-o-mat oder dem wahlswiper hatten bis zu 80 Prozent Übereinstimmungen zumal zwischen Linkspartei und Grünen ergeben, die Daten des Portals abgeordnetewatch bestätigen diese Einschätzung auch für die einzelnen Kandidierenden.
Zweifel gab es allerdings daran, ob es eine clevere Idee sei, dem Wahlverlierer SPD die Stange zu halten – und Carsten Sieling zu einer zweiten Amtszeit als Bürgermeister zu verhelfen, über den mittlerweile auch in der eigenen Partei debattiert wird. „Zu Personalfragen der SPD äußern wir uns nicht“, so Schaefer. „Das ist nicht unsere Bionade.“ Man erwarte aber, dass die Sozialdemokraten den internen Streit „klären – und zwar schnell“.
Ein weiteres Hemmnis: Aus der am Freitag 7. Juni offiziell endenden Legislatur hatte man erhebliche atmosphärische Störungen mitgenommen. Durchaus giftig war die Stimmung zwischen den Vorsitzenden der Fraktionen, Björn Tschöpe, Schaefer und der Linken-Spitzenkandidatin Kristina Vogt beim taz-Salon zur Wahl gewesen.
Neustart mit Nachwuchs
Umso mehr hatte man nun bei den Sondierungen auf zwischenmenschliche Zeichen geachtet – so überreichten Schaefer und Linken-Spitzenfrau Kristina Vogt einander vor den trilateralen Gesprächen im Fraktionsbüro der SPD Blumensträuße: Die beiden hatten Anfang Juni Geburtstag. „Es ist wie in einer Beziehung“, sagte Schaefer zur Frage des nach langen Koalitionsjahren geschwundenen, jetzt aber offenbar erneuerten Vertrauens am Mittwochabend. „Man kann sich nach zwölf Jahren trennen – oder es erneut probieren.“ Auf jeden Fall ändere sich etwas in der neuen Konstellation zu dritt. „Es ist Nachwuchs da.“ Ganz schön großer Nachwuchs: Die Linkspartei hatte 11,32 Prozent bei der Bürgerschaftswahl erhalten.
Das Votum des Vorstands sei einmütig gewesen, erläuterte Landesvorstandssprecherin Alexandra Werwath: Fünf Ja-Stimmen, kein Nein, eine Enthaltung. Am Ende hätten die Inhalte den Ausschlag gegeben, hieß es. „Wir sind überzeugt, mit einem solchen Bündnis auch die sozialen Fragen des Landes mit neuem Schwung angehen zu können“, sagte Schaefer. In Fragen von Klimaschutz und Bildung sei man oft auf gleicher Wellenlänge gewesen. „Wir sind in vielen Punkten bei den Sondierungsgesprächen bereits sehr weit gekommen.“ Auch die Schuldenbremse werde von der Linken „mitgetragen“. Die wird am Donnerstag zeitgleich mit den Grünen einen Parteitag abhalten, um über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu entscheiden.
Bremens Grüne sind ein stark linksorientierter Landesverband. Von der Zustimmung der Mitgliederversammlung ist auszugehen. Der Bundespartei dürfte die Bremer Entwicklung willkommen sein: Nachdem rot-rot-grüne Gespräche in Nordrhein-Westfalen 2010 gescheitert waren und 2008 in Hessen zum Ypsilanti-Debakel geführt hatten, könnte der Zweistädtestaat den Beweis antreten, dass die Ökopartei auch im Westen eine Machtoption links der Mitte hat. „Ein solches Bündnis ist etwas neues nicht nur für Bremen“, betonte Schaefer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren