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Bremen will Kohlendioxid verpressenEin überkritischer Beitrag zum Klimaschutz

Groß in die Kohlendioxid-Verpressung einsteigen will Bremens Energieversorger SWB. Der Senat feiert und fördert das. Die Risiken redet er klein.

Im Energiehafen von Øygarden wird flüssiges in überkritisches CO2 verwandelt. Dann jagt man's via Pipeline in den Meeresgrund Foto: Ruben Soltveldt/Northern Lights

Als Vorreiter soll sich Bremen nach den Plänen des örtlichen Energie- und Wasserversorgers SWB AG und dem Willen der Landesregierung auf dem Feld der CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) profilieren. Bei denen werden Kohlendioxid-Abgase aufgefangen, verflüssigt und dann unterirdisch eingelagert – in diesem Fall im Nordsee-Grund. Ziel ist es, so Bremens CO2-Ausstoß zu verringern.

Der Umweltverband BUND hält das Verfahren allerdings für riskant und wenig erfolgversprechend. „Wir bezweifeln stark, ob und wann diese Technik wirklich nennenswert die Klimabilanz Bremens verbessern kann“, so der Bremer BUND-Landesvorsitzende Klaus Prietzel. Als „große negative Folge“ dieser Maßnahmen fürchtet er, dass sie wichtige Investitionen in Klimaschutz und in Projekte zur natürlichen CO2-Bindung, in Renaturierung und Aufforstung bremsen würden. Deshalb lehne der BUND CCS grundsätzlich ab. „Wir halten das für einen Irrweg.“

Der rot-grün-rote Senat gibt sich dagegen als stolzer Förderer der deutschlandweit ersten Anlage, die ab 2031 in industriellem Maßstab CO2 abscheiden, auffangen und dann per Schiff in Richtung Endlagerstätte verfrachten soll. Sie trägt den Namen Brewaccs.

Laut Plan will man den Bau Anfang 2028 in Auftrag geben. Installiert werden soll die Anlage am Mittelkalorik-Kraftwerk (MKK) der SWB. Dort wird Müll zur Energiegewinnung verbrannt, die Abgase gelten also als unvermeidlich, und das Kraftwerk liegt im Industriehafen. Eine Pipeline durch Niedersachsen benötigt das Vorhaben also nicht: Das verflüssigte Abgas soll direkt aufs Schiff verfrachtet werden. „In Bremen entsteht so ein Leuchtturmprojekt“, lobt die Landesregierung das Projekt.

Versprochen wird ein sicheres Endlager, aber das lässt sich durch nichts belegen

Klaus Prietzel, BUND Bremen

Von den kalkulierten Kosten in Höhe von bis zu 170 Millionen Euro schießt Bremen laut Senatsbeschluss von Dienstag neun Millionen zu. Der Einsatz von Landesmitteln ist die Voraussetzung dafür, dass die SWB auch den beim Bunedswirtschaftsministerium beantragten Zuschuss von weiteren 21 Millionen erhält. Die Wirtschaftsdeputation hat den Plan am Mittwochnachmittag abgesegnet.

Im Schnitt bewirken öffentliche Zuschüsse in Höhe von 52 Euro pro Jahr eine Tonne Kohlendioxid-Reduktion. Nach den politischen Maßstäben der CO2-Bilanzierung, bei der CCS von Biomasse als Negativ-Emission sogar anderthalbfach angerechnet wird, und auf den Förderzeitraum von fünf Jahren gerechnet, zahlt die Öffentliche Hand für Brewaccs nur zwölf, die Freie Hansestadt Bremen sogar nur 3,70 Euro pro Tonne. Denn die Anlage könne, so die Erwartung des Senats, eine Einsparung von jährlich 297.360 Tonnen Kohlendioxid bewirken.

Mit dem Einsparen ist das allerdings so eine Sache. Denn die Rauchgase fallen bei der Müllverbrennung weiterhin an. Nur werden von den 330.400 Tonnen Kohlendioxid jährlich knapp 300.000 nicht direkt in die Atmosphäre abgegeben. Man fängt je 150.000 Tonnen biogenes, also aus der Verbrennung organischer Abfälle stammendes, und fossiles CO2 ein.

Das Monopol der Erdölkonzerne

Dann sollen sie verflüssigt, verschifft und schließlich in überkritisches CO2 verwandelt werden. In diesem speziellen Aggregatzustand hat es sowohl die Eigenschaften von Gas als auch einer Flüssigkeit, und lässt sich in den tiefen Nordseegrund einspritzen.

Wohin genau ist nach Angaben der SWB noch nicht klar: „Wir stehen mit mehreren internationalen Anbietern im Austausch, die über zertifizierte CO Speicherkapazitäten in ehemaligen Öl- und Gasfeldern verfügen“, teilt SWB-Sprecher Niklas Oberbach der taz auf Anfrage mit.

Mehrere ist eher so ein Spruch. Gegenwärtig ist das Northern Lights JV in Norwegen der einzige kommerzielle Anbieter für Lagerstätten in der Nordsee. Dabei handelt es sich um ein Joint-Venture der großen europäischen CO2-Verursacher Equinor (Norwegen), Shell (Großbritannien) und Totalenergies (Frankreich).

Und auch der Quasi-Monopolist steht noch ziemlich am Anfang des Geschäftsfeldes: Als Ende August die Lagerstätte Aurora Reservoir an der norwegischen Westküste den Betrieb aufnahm, nannte Northern Lights-Geschäftsführer Tim Heijn das einen „exciting milestone“.

Naja, Metaphern halt. Gemeint war, dass nach jahrelangem Planungsvorlauf die eigene Abgas-Flotte endlich von Industriestandorten in Norwegen und Dänemark aus Kurs Øygarden aufgenommen hat. Vom dortigen Energiehafen wird ihre Fracht dann durch eine kilometerlange Unterwasserpipeline in die Bohrlöcher in 2.600 Meter Tiefe geschossen. „Wir haben nun das allererste CO sicher in das Reservoir injiziert und gespeichert“, so Heijn im Sommer. Zumindest ist das die Hoffnung.

Allerdings: Was mit dem Wasser passiert, das durchs komprimierte Kohlendioxid verdrängt wird, ist ungewiss. Dieses Formationswasser weist eine deutlich höhere Salzkonzentration auf, als das der höheren Meeres-Etagen. Möglicherweise sind Giftstoffe und Schwermetalle in ihm gelöst.

Ein märchenhafter Wirkungsgrad

Dass es die Meeresumwelt, einschließlich der als natürliche CO2-Senke wichtigen Seegraswiesen beeinträchtigt, ist wahrscheinlich. Auch weiß niemand, wie sich Leckagen dauerhaft vermeiden lassen. „Die Parallele zur Atomkraft ist sehr deutlich“, so Prietzel angesichts dieser ungeklärten Fragen. „Versprochen wird ein sicheres Endlager, aber das lässt sich durch nichts belegen.“

„Komplett utopisch“ nennt der Bremer BUND-Vorsitzende auch die von Senat und SWB veranschlagte Abscheiderate von über 90 Prozent. Tatsächlich gibt es weltweit keine Abscheide-Anlage, die einen solchen Wirkungsgrad erreicht.

Die im Juni eröffnete, weltweit größte CCS-Anlage am Heidelberg Zementwerk im norwegischen Bevik – das Referenzprojekt für Northern Light – schafft gerade einmal 400.000 Tonnen, also rund die Hälfte der Emissionen der Fabrik. Nicht nur die Fachpresse hat sie dafür weltweit gefeiert.

Dem Umweltbundesamt (UBA) zufolge wird mit Forschungsprojekten derzeit untersucht, ob jemals ein Wert von 85 Prozent erreichbar sein wird – und wie hoch der Energieaufwand dafür wäre. Das in Lakewood, Ohio, angesiedelte Institute for Energy Economics and Financial Analysis hat 2024 die Effizienz der 13 größten CCS-Projekte der Welt untersucht.

Unausgereift und unverzichtbar

Ergebnis: Die meisten seien gescheitert oder hätten ihre Ziele um 20 bis 50 Prozent verfehlt. Nur drei hätten nominell die Erwartungen erfüllt. Blöderweise sei es bei einem von ihnen dann zu einer geologischen Störung gekommen. Ein weiteres habe nach 18 Monaten Betrieb einen neuen Speicherort finden müssen. Das verändert natürlich die Kostenstruktur.

Die Bremer Pläne sind angesichts dessen verblüffend optimistisch. So geht man davon aus, dass der für das Abscheiden des CO2 benötigte Dampf vollständig vom MKK erzeugt wird. Die Abwärme soll dann sowohl für interne Prozesse genutzt als auch ins Fernwärmenetz eingespeist werden.

Die weiteren Verfahrensschritte sparen Senat und SWB in ihrer Betrachtung aus: Vor allem die komplizierten Wechsel der Aggregatzustände durch Druck und Kälte und der Transport via Schiff und Pipeline sind energetisch aufwändig. „Dafür müsste man mindestens 15 bis 20 Prozent der im MKK erzeugten Energie aufwenden“, schätzt Prietzel.

Auch hier stützen die Daten des UBA seine Kritik: „Der Einsatz der ⁠CCS⁠-Technik erhöht den Verbrauch der begrenzt verfügbaren fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent“, heißt es in dessen aktueller Handreichung zum Thema. Gleichzeitig empfiehlt es aber, die Technologie weiter zu erforschen. Und auch Weltklimarat und die großen nationalen Studien zur Treibhausgasneutralität von 2021 halten CCS für unverzichtbar, um die Klimaziele zu erreichen.

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