piwik no script img

Bremen verbietet Betteln in AußengastroCappuccino ohne Elend

Bremens rot-grün-rote Koalition verbietet Bettlern das Ansprechen von Gästen in der Außengastronomie. Nur passives Betteln bleibt erlaubt.

Weiterhin erlaubt: Still den Becher hinhalten Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Die Bremer Stadtbürgerschaft hat am Dienstag „aufdringliches und aggressives Betteln“ verboten. Darunter fällt auch das Ansprechen von Leuten, die im Außenbereich von Restaurants und Cafés auf dem Bürgersteig sitzen.

Missbräuchliche Formen des Bettelns minderten die Aufenthaltsqualität für Bürger wie Besucher, heißt in einem Gesetzentwurf des rot-grün-roten Senats, auf dem der Beschluss der Stadtbürgerschaft fußt. Sie wirkten sich nicht nur auf den Wohlfühlcharakter der Stadt, sondern auch auf die touristischen Betriebe sowie „das subjektive Sicherheitsempfinden der Menschen“ aus.

Bürgerschaft und Stadtbürgerschaft überschneiden sich in dem Zwei-Städte-Land. Die meisten Abgeordneten gehören sowohl dem Landtag als auch dem Kommunalparlament an. In beiden herrscht eine rot-grün-rote Mehrheit.

Unter aufdringlichem und aggressivem Betteln versteht der Gesetzentwurf neben dem Betteln im Freien auch das Betteln in Bussen und Bahnen sowie das Sichhinsetzen oder -stellen auf dem Gehweg. Unzulässig ist es demnach, Personen aufdringlich anzusprechen, zu beschimpfen, zu verfolgen, an der Kleidung zu ziehen oder von Passant zu Passant zu gehen. Stilles, passives Betteln, etwa mit einem Schild, sei dagegen „grundsätzlich zu tolerieren“, heißt es in den Erläuterungen zum Gesetzentwurf.

Senat verweist auf Beschwerden aus der Bevölkerung

Der Senat begründet seine Initiative damit, dass aufdringliche und aggressive Formen des Bettelns in den vergangenen Jahren in Bremen deutlich zugenommen hätten, wie Polizei und Ordnungsdienst festgestellt hätten. Zudem häuften sich Beschwerden aus der Bevölkerung. Solche seien vielfach an Regierungsfraktionen herangetragen worden, sagt Michael Labetzke von der grünen Bürgerschaftsfraktion. „Allein auf dem Weg vom Bahnhof zur Bürgerschaft werde ich ein- bis zweimal angesprochen“, sagt Labetzke. Es gehe lediglich darum, übermäßiges Betteln einzudämmen.

Die SPD-Fraktion äußerte sich am Mittwoch nicht. Die Abgeordneten seien zu sehr durch die laufende Bürgerschaftssitzung in Beschlag genommen. Auch die Linksfraktion ließ eine Bitte um Stellungnahme unbeantwortet.

Der Grünen-Abgeordnete Labetzke erinnert der taz gegenüber an die schwierige wirtschaftliche Lage der Gastronomie. Wenn jemand eine Konzession bezahle, um Tische und Stühle draußen aufstellen zu dürfen, nehme er das Hausrecht wahr. Das Gesetz stellt es den Wirten frei, Betteln zu erlauben.

„Aus unserer Sicht sind die neuen Regelungen nicht zu Ende gedacht“, sagt Anke Mirsch vom Verein für Innere Mission Bremen. Die Menschen würden trotzdem betteln, weil sie darauf angewiesen seien oder sich andere Strategien ausdenken, auf die dann wieder reagiert werden müsse. Wenn Betteln bestraft werde, sei das ein hoher und unsinniger Aufwand, weil die Menschen die Strafe in der Regel nicht bezahlen könnten. Stattdessen sollten den Menschen Alternativen wie niederschwellige Jobs angeboten werden.

Das rot-grün-rote Bündnis habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, versichert der Abgeordnete Labetzke. Im Übrigen müsse die jetzige Regelung ja nicht das Ende bedeuten. „Wir gucken uns das erst mal an und schauen, wie es wirkt.“

Gesellschaft für Freiheitsrechte will klagen

Möglicherweise werden die Bremer Verfassungsorgane dies nicht allein entscheiden. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat angekündigt, gegen das Bettelverbot in Hamburger Bussen und Bahnen zu klagen. „Betteln ist grundrechtlich geschützt und ein Verbot kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass Fahrgästen die Konfrontation mit prekären Lebensverhältnissen erspart werden soll“, sagte Mareile Dedekind von der GGF der taz. Das gelte insbesondere, wenn ein Verbot auch stilles Betteln einschließe. Dieses ist in Bremen zwar erlaubt, aber nicht straßenbahntypisch.

In Hamburg weist die Hochbahn seit dem 22. Mai verstärkt auf die Einhaltung ihrer Beförderungsbedingungen hin, zu denen neben einem Verbot, die Schuhe auf die Sitze zu legen oder zu rauchen, auch ein Bettel- und Musizierverbot gehört.

Mehr Bußgelder in Hamburg

Anfragen der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft haben ergeben, dass jährlich insgesamt fünfstellige Bußgelder in U- und S-Bahnen verhängt werden. Im Jahr 2020 wurden 1.240 Bußgelder verhängt und damit 49.640 Euro eingenommen. Im gesamten Jahr haben sich 139 Fahrgäste beschwert. Ein Einzelbußgeld beträgt 40 Euro. Nach einem Rückgang 2021, 2022 stieg die Summe der verhängten Bußgelder 2023 auf knapp 69.000 Euro stark an. Im ersten Halbjahr 2024 waren es schon 53.000 Euro.

„Betteln ist Ausdruck einer extremen Notlage“, sagt Olga Fritzsche von der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft. „Wer hier mit Bußgeldern vorgeht, nimmt das Geld von den Falschen“, sagt Fritzsche. Außerdem sei doch längst bekannt, dass Verdrängung keine sozialen Probleme löse.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wie Rot, Grün oder Rot ihre Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft noch mit einer Politik für mehr soziale Gerechtigkeit alias sozialem Ausgleich zusammenbringen wollen, wissen wohl nur sie selbst. Diese Art der kognitiven Dissonanz bei 'politischen Linken' ist nicht neu. Sie ist reinste Sozialdemokratie und rutscht immer mehr nach rechts. Für die 'politische Linke' nimmt sie existenzbedrohende Ausmaße an: Wer braucht 'linke' Parteien, die die Wirtschaftsliberalen 'rechts' überholen und sich beim 'Tempo-machen' gegenseitig überbieten?

  • Eure Armut kotzt mich an.

  • Hmm, wenn es in Bremen und Hamburg auch nur ansatzweise so zugeht, wie in meinem urbanen Umfeld, dann kann ich das Vorgehen der Parlamente und Behörden schon verstehen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es da ja in der Regel nicht ums überleben, sondern in der Regel um einen „Zusatzverdienst“ geht. Nicht selten auch für extra zu diesem Zweck an Ort und Stelle verbrachte Mitmenschen aus dem südöstlichen Teil der EU.

    • @vieldenker:

      Ich kenne die Situation in Bremen sehr gut, da ich letztes Jahr bei einer Hilfsorganisation, die kostenloses Essen an Bedürftige und Obdachlose u.a. vor dem Hauptbahnhof verteilt, mitgeholfen habe. Dadurch habe ich jener Passanten ansprechende Bettler persönlich kennen gelernt. Und ich habe ihnen NIE Geld oder leere Pfandflaschen gegeben, sondern immer gebeten, doch einfach um 12:00 bei uns vorbei zu kommen (und mit einer grossen Tüte voll Obst, Gemüse, Konserven sowie einer warmen Mahlzeit und einem belegten Brot wieder gehen zu können). Alle sagten "ja, mache ich" - gekommen ist KEINER. Denn diese Klientel braucht GELD um "Steine" (Crack) kaufen zu können!

      Der Personenkreis aus Süd-Ost-EU sitzt dagegen stumm mit Pappschild herum - und belästigt niemanden. Aber da dieser Personenkreis von seinen "Chefs" versklavt ist, sollte man da auch NICHTS spenden, sonst hört diese Sklaverei nie auf.

      • @Achim Schäfer:

        In Berlin reist der letztgenannte Personenkreis im Frühling an, um dann als organisierte Gruppe das lokale Obdachlosenmagazin zu verkaufen. Am Ende des Sommers wird Berlin verlassen.

        Ich habe noch nie verstanden, warum der “Straßenfeger” das mitmacht. So war das ganze ja wohl nie gedacht. Und je mehr Verkäufer es gibt, desto weniger wird verkauft, bzw desto weniger verkauft der einzelne.

      • @Achim Schäfer:

        So ähnlich ist auch meine Erfahrung. Den öfters angebotenen Mittagessengutschein einer naheliegender diakonischen Einrichtung, oder auch Angebote zu Kaffee, Kuchen, Kleidung oder weiterführende Hilfe werden nicht in Anspruch genommen, aber gleichzeitig wird auf die moralische Tränendrüse gedrückt. Von daher kann ich jeden verstehen, den das nervt. Ich bin nicht bereit, betteln als allgemeinen Arbeitsersatz zur Einkommenserzielung zu akzeptieren. Wer so leben möchte, sollte die anbetteln, die diesen Ansatz unterstützen. Ich helfe lieber denen, die es wirklich brauchen.

  • In Zeiten, in denen gut betuchte Hipster 5€ für ihren Mini-Cappuccino zahlen, während Obdachlose vielleicht einmal 5€ in der ganzen Woche haben, ist es mehr als gerecht, wenn Betteln in Cafés aktiv erlaubt bleibt.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Der monatliche Regelsatz bei Sozialhilfe und Bürgergeld beträgt 563 Euro.

      • @Budzylein:

        viele Obdachlose sind nicht im Bürgergeldbezug oder sanktioniert. Entweder können Anträge wegen fehlender Ausweispapiere nicht gestellt werden oder es werden Termine versäumt da man die überhaupt nicht mitbekommt. Folge ist eine 100% Kürzung, oft mit der Begründung das man nicht nachvollziehen kann ob sich der Bezieher noch in der Stadt befindet bzw. noch lebt. Folgen sind nicht nur das kein Einkommen vorhanden ist oder darüber hinaus eine "ruhende" Krankenversicherung. Demzufolge ist auch ein Arztbesuch nicht möglich.

        • @Markus Urban:

          Ihre Aussage, dass kein Arztbesuch möglich sei, stimmt in dieser Allgemeinheit nicht. Wer nicht krankenversichert ist und bedürftig ist, hat einen Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Gesundheitsversorgung entsprechend einem gesetzlich Krankenversicherten. Ist ein in Deutschland lebender Obdachloser hingegen gesetzlich krankenversichert, kann der Leistungsanspruch nur im Falle von Beitragsschulden ruhen; das bedeutet aber nicht, dass keine Leistungen in Anspruch genommen werden können, sondern nur, dass der Leistungsanspruch im Wesentlichen auf die Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände beschränkt ist. Ob die Obdachlosen ihre Rechte kennen, ist allerdings eine andere Frage.