Bremen erhöht Gastro-Tarife: Mehr als nur Trinkgeld

Bremen will den Mindestlohn in der Gastrobranche um 72 Cent erhöhen. Das soll auch für Teilzeit- und geringfügig Angestellte gelten – ein bundesweites Novum.

Kneipentische draußen, von oben gesehen

Guten Appetit und Prost!– aber wovon sollen eigentlich die Servicekräfte satt werden? Foto: dpa

BREMEN taz | Die Füße schmerzen vom Laufen, die Arme vom Tragen der vollen Tabletts, der Kopf von den Extrawünschen der Gäste, die sich alle gemerkt werden müssen. Selten weiß man am Morgen, wie lang der Tag werden wird. Lang, das steht fest. Im Gastrogewerbe zu arbeiten ist hart. Doch in Bremen soll sich die harte Arbeit jetzt etwas mehr lohnen: Der Mindestlohn in Hotels und Gastronomiestätten soll von 8,84 auf 9,56 Euro erhöht werden. Für ArbeitnehmerInnen mit einer Fachausbildung liegt die Mindestgrenze bald bei 11,51 Euro. Der neu ausgehandelte Tarifvertrag soll für Festangestellte, Auszubildende, Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte gleichermaßen gelten – ein bundesweites Novum.

„Für das Gastgewerbe gab es zwar schon einen Entgelttarifvertrag, aber der galt nur für die Betriebe, die im Arbeitgeberverband sind“, sagt Nathalie Sander von der Arbeitnehmerkammer in Bremen. Der Tarifausschuss stimmte dem Antrag des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) auf Allgemeinverbindlichkeit des Tarifvertrags zu – und wird damit ausgeweitet auf die ganze Branche.

Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Martin Günthner (SPD), muss den Tarifvertrag im Hotel- und Gaststättengewerbe in Bremen noch formell für allgemeinverbindlich erklären.

„Die Allgemeinverbindlichkeit des Entgelttarifvertrages wird ein großer Schritt für die Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe sein“, sagt Günthner in einer Mitteilung des Senats. Für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeute die neue Regelung deutlich höhere Löhne und Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen.

Die Verbesserungen durch den neuen Tarifvertrag betreffen rund 20.000 Beschäftigte im Land Bremen. Bisher nicht tarifvertraglich gebundene ArbeitnehmerInnen haben ebenfalls Anspruch auf die tariflich vereinbarten Leistungen.

Oft nur Mindestlohn

Bisher lag das Durchschnittseinkommen eines Vollzeitbeschäftigten im Gastgewerbe bei 2.080 Euro brutto im Monat. Im Branchenvergleich verdienten GastroarbeiterInnen damit mit Abstand am wenigsten. Einer Befragung der Arbeitnehmerkammer von 2017 zufolge verdient fast jeder dritte Beschäftigte im Gastrogewerbe nur den bisherigen Mindestlohn, einige sogar noch weniger. „Bevor sie gar keinen Job haben, nehmen viele im Gastgewerbe lieber einen Job an, der schlecht bezahlt ist“, sagt Sanders. „Das macht deutlich, wie groß der Druck ist.“

Doch selbst mit einer Vollzeitbeschäftigung im Gastrogewerbe lässt sich selten eine Existenz sichern. Um über die Runden zu kommen, müssen 13 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Branche zusätzlich vom Staat unterstützt werden.

Fast drei Viertel der ArbeitnehmerInnen arbeiten zum Niedriglohn, also knapp oberhalb oder unterhalb der Armutsgrenze. Selbst im Bereich der Wach- und Sicherheitsdienstleistungen oder der Leiharbeit seien die Umstände besser, heißt es in einer Mitteilung der Arbeitnehmerkammer.

Kaum jemand will nach Sylt

Trotzdem wächst die Gastro­branche in Bremen. Seit 2008 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze um fast 50 Prozent gestiegen. Außerdem gibt es im Gastgewerbe etliche MinijobberInnen, zum Beispiel StudentInnen oder SchülerInnen.

Anderorts dagegen, beispielsweise auf Sylt, fehlen durch die prekären Beschäftigungsbedingungen um die 300 Arbeitskräfte für die aktuelle Saison im Hotel- und Gastronomiegewerbe – die Jobs sind zu unattraktiv.

Wenigstens in Bremen soll sich daran nun einiges ändern. „Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ist ein wichtiger Meilenstein, um Lohndumping zu verhindern und die Branche attraktiver für Fachkräfte zu machen“, sagt Ingo Schierenbeck, der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen.

Und er hofft, dass sich die Entscheidung auch auf andere Bundesländer und auf Tätigkeitsfelder jenseits des Gastronomiegewerbes auswirkt: „Das kann eine Blaupause für andere Branchen sein, in denen die Gehaltsstrukturen ein existenzsicherndes Einkommen nicht mehr gewährleisten.“

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