Brecht und Weil an der Staatsoper Berlin: Mode und Luxus feiern Party

Am Ende macht's die Gaderobe: An der Staatsoper inszenieren Boussard, Lemaire und Lacroix die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“.

Hinter den Glitzerfäden steht neongrün der Mond von Alabama am Himmel. Bild: Matthias Baus

Sie sind zurückgekehrt, die Vorhänge aus funkelnden Fäden, die vor vier Jahren schon einmal die Verbrecher dieser Welt in die alles verzeihenden Schleier luxuriöser Pracht gehüllt haben. Das Stück hieß damals „Agrippina“, spielte in Neros Rom und war von Händel. Diesmal heißt es „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, spielt irgendwo in Amerika und ist von Bert Brecht und Kurt Weil.

Der Regisseur Vincent Boussard, der Bühnenbildner Vincent Lemaire und – vor allem – der Haute Couturier Christian Lacroix sind inzwischen ein erprobtes Team, das seine unverwechselbaren Codes für die Inszenierung von Opern entwickelt hat. Boussard erzählt die Geschichten so wie sie geschrieben sind, ohne allzu viel Tiefsinn und ohne jeden Ehrgeiz, uns über den wahren Zustand der Welt und des menschlichen Geschlechts an sich aufzuklären.

Vincent entwirft dazu imaginäre Räume mit symbolischen Requisiten und Lacroix gibt den handelnden Personen Kleider, in denen sie allein schon einen abendfüllenden Auftritt hinlegen könnten. „Ansahen sich die Männer von Mahagonny. Ja, sagten die Männer von Mahagonny“, singt Evelyn Novak als Nutte Jenny am Ende, wenn Gott selbst in die Netzestadt kommt. Dürfen die Männer des Staatsopernchores ihre Anzüge danach mit nach Hause nehmen?

Und Evelin Novak das raumgreifend üppige Hochzeitskleid, das sie tragen darf, um sich Michael König, dem Holzfäller Mohoney anzupreisen? Oder Gabriele Schnaut, die Wagnersängerin in der Rolle der Witwe Begbick, ihre Palliettenrobe? Die Laufstege der Welt ständen ihnen offen.

„Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, Staatsoper Berlin, Schillertheater, nächste Aufführungen: 2., 15., 20., 25.6. sowie 6.7. 2014

Großartig anzuschauen ist das im Schillertheater. Mode und Luxus feiern Party zur Musik von Kurt Weil, die, von Wayne Marshall dirigiert, leider ein wenig blass klingt. Und Gabriele Schnaut kommt mit Wagner ganz sicher besser zurecht, als mit Weils komplizierter, jazziger Ballhaus-Mischung von Zitaten, Parodien und Schlagern. Aber die Garderobe macht's am Ende auch in ihrem Fall.

Alle anderen haben ohnehin ihren Spaß, weil das Konzept dieser Regie sie von der heiligen Pflicht befreit, den großen Dichter Bertolt Brecht auf einer deutschen Bühne zu spielen, angefüllt bis zum Rand mit den ästhetischen und politischen Ballaststoffen, die gewöhnlich dabei erwartet werden. Anders vorgestellt hatte sich Brecht das wahrscheinlich schon, billig, vulgär und sogar proletarisch. Jetzt ist aus der Vorstadt plötzlich die Metropole geworden. Aber das schadet nicht.

Hinter den Glitzerfäden steht neongrün der Mond von Alabama am Himmel. Er leuchtet über einem Theaterstück, das in dieser kostbaren Umgebung zu sich selber kommt. Natürlich ist es eine Satire auf den Kapitalismus. Aber das ist nur die Oberfläche, und hier ganz unwichtig. „Geld macht sinnlich“ ist hier keine Kritik. Wer soviel Geld für Kleider ausgeben kann, muss diesen Satz für eine ziemlich triviale Tatsachenfeststellung halten.

Und wenn einer die Rechnung nicht bezahlen kann, nun ja, in der Wirklichkeit wird man ihn nicht gleich aufhängen, aber abtreten muss der schon. Mit moralischen Fallhöhen ist in keinem Fall zu rechnen, weder im Kapitalismus noch im Theater dieses befreiten Brecht. Er hat mit Kurt Weil zusammen kein Drama geschrieben, und schon gar kein Lehrstück der politischen Propaganda, sondern eine nur lose zusammen hängende Folge von Szenen.

Oft sind sie grotesk überzeichnet wie in einem Slapstick-Film, manchmal aber auch so still und anrührend wie das Lied vom Kranich und der Wolke, das längst zum Kanon der großen deutschen Liebeslyrik gehört. Nichts und niemand wird in diesen singulären Gesamtkunstwerken verurteilt. Sie gehorchen ausschließlich ihren inneren, formalen Regeln.

Die Staatsoper fügt ihnen eine weitere Ebene gut brechtischer Verfremdung hinzu. „Glotzt nicht so revolutionär“, scheint das französisch-belgische Trio sagen zu wollen. Und wenn am Ende der Fadenvorhang endgültig fällt und das Licht ausgeht, dann sind wieder alle Fragen offen. Endlich sind sie wieder offen, möchte man sagen, aber es hat nicht allen gefallen in der Premiere. Ein paar vernehmliche, entschlossene Buhs waren auch zu hören, als die drei Regisseure auf die Bühne kamen.

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