Brasilianische Kultur unter Bolsonaro: Küssen verboten
Seit der Wahl des rechten Präsidenten stehen Künstler unter Dauerbeschuss. Die Förderung wird eingeschränkt, es wird zensiert und offen gedroht.
Der Prémio Camões, benannt nach dem portugiesischen Nationalependichter Luís de Camões, ist der wichtigste portugiesischsprachige Literaturpreis. Er wird seit 1989 von Portugal und Brasilien gemeinsam vergeben. Es gibt eine von beiden Regierungen unterzeichnete Urkunde und 100.000 Euro Preisgeld. Im Mai 2019 wurde der brasilianische (Song-)Dichter und Autor Chico Buarque als diesjähriger Preisträger des Prémio Camões bekanntgegeben.
Nun verkündete vor wenigen Wochen der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, der für Künstler*innen im Allgemeinen und Chico Buarque im Besonderen wenig übrig hat, er könne „nicht versprechen“, dass er besagte Urkunde auch unterzeichnen werde.
Darauf ließ Chico Buarque trotzig verlauten, er betrachte die Weigerung Bolsonaros, die Vergabe des prestigeträchtigen Preises mittels Unterschrift zu bestätigen, als eine persönliche Ehre. In dem Fall, so Bolsonaro, wolle er den Künstler „nicht traurig machen“, indem er jetzt doch unterschreibe.
Derlei Äußerungen des ganz im Sinne seines Spitznamens „Tropen-Trump“ agierenden Jair Bolsonaro ließen sich leicht als eitel-kindisches Aufplustern abtun, als Kratzfuß des Hahnes, der steifen Schrittes den vermeintlich Rangniederen umkreist. Letztlich ist Bolsonaros Unterschrift in diesem Fall nur eine Formalie. Der brasilianische Anteil des Preisgeldes wurde bereits ausgezahlt, und die portugiesische Regierung versichert, den Preis kommendes Jahr in einer offiziellen Zeremonie in Portugal überreichen zu wollen.
Ministerium drängt Film aus Festivalprogramm
Andere Angriffe der Regierung Bolsonaro auf die Kulturszene bereiten indes mehr Sorgen. Wieder ist auch Chico Buarque betroffen, der schon während der Militärdiktatur in Brasilien 1964 bis 1985 zu den meistzensierten Künstlern gehörte. Anfang Oktober sollte der Film „Chico: Artista Brasileiro“ des Regisseurs Miguel Faria Junior beim Festival Cine de Brasil in Uruguay laufen.
Dann aber mischt sich das brasilianische Außenministerium über seine Botschaft in Montevideo ein und verlangt von der veranstaltenden Produktionsfirma das Streichen des Films aus dem Programm. Der Aufforderung wird tatsächlich Folge geleistet und Miguel Faria darüber informiert, dass seine biografische Doku „zensiert“ wurde. Im Interview mit dem Magazin Fórum zeigt sich der Regisseur „schockiert, aber nicht überrascht“. Der Aufschrei im In- und Ausland ist groß.
Am Ende beschwichtigt die brasilianische Botschaft: Man habe schließlich nur helfen und Empfehlungen aussprechen wollen. Der Veranstalter nimmt den Film wieder ins Programm. Dennoch darf man den Vorgang nicht kleinreden, ist der Fall doch symptomatisch für die oftmals schleichende, aber immer sichtbarere Bedrohung, der sich die kulturellen Szenen in Brasilien ausgesetzt sehen. Noch ist nicht im Detail klar, wohin die Reise geht, aber die Luft wird deutlich dünner.
Die Situation der Kulturschaffenden und Intellektuellen in Brasilien hat sich schon vor Bolsonaros Amtsantritt verschlechtert. Sein Vorgänger Michel Temer hatte versucht, das Kulturministerium abzuschaffen, sich dann aber dem allgemeinen Protest beugen müssen. Anders als sein Nachfolger, der die Auflösung des unerwünschten Ministeriums als eine seiner ersten Amtshandlungen vollzog.
Mehrfach wurde das Goethe-Institut in Brasilien seit 2016 verklagt – es habe sich in von ihm gezeigten Ausstellungen und Performances der Blasphemie und Pädophilie schuldig gemacht. Schon in diesen Prä-Bolsonaro-Jahren spürt man das Erstarken der Evangelikalen, die für Bolsonaro so wichtig werden und fortan den pseudomoralischen Kurs im Land bestimmen sollen.
Unter Dauerbeschuss
Seit Bolsonaros Wahl zum Präsidenten aber befinden sich Kultur und Bildung unter Dauerbeschuss. Die Regierung Bolsonaro verfolgt offensichtlich eine Agenda, und diese stellt sich – man kann das so zugespitzt formulieren – zunehmend antizivilisatorisch dar. Ein erster großer Schlag erfolgte zu Anfang 2019, als das sogenannte Lei Rouanet – seit 1991 zur Förderung kultureller Investitionen in Kraft – einer wesentlichen Gesetzesänderung unterzogen wurde.
Das Rouanet-Gesetz stellt die wichtigste Fördermöglichkeit für Kulturschaffende in Brasilien dar. Es sieht vor, dass Unternehmen und Privatpersonen einen Teil ihrer Steuerschuld in Kulturprojekte stecken können.
Nun aber wurden sowohl Förderdeckelungen für Einzelprojekte als auch erhebliche Begrenzungen der möglichen Gesamtfördersummen pro Organisation eingeführt. Theater, Museen, Orchester, Musicalproduktionen, Performancegruppen, die lebendige Tanzszene des Landes sowie Sambaschulen und damit die für die kulturelle Identität Brasiliens so wichtige Vielfalt der Karnevalsumzüge – alle sind von den Kürzungen betroffen, viele in ihrer Existenz bedroht.
Auch bestimmte Personengruppen sollen nun von der Förderung ausgenommen sein: „Diese Art von ‚Künstlern‘ wird sich nicht mehr am Rouanet-Gesetz bereichern“, droht Bolsonaro im März 2019 auf Twitter, und er meint damit gerade jene Künstler*innen, die die Entwicklungen seit seinem Amtsantritt kritisch kommentieren und die er gern als „kulturmarxistisch indoktrinierte Kriminelle“ stigmatisiert.
Ebenfalls seit Monaten heftigen Angriffen ausgesetzt sieht sich die Filmförderagentur Ancine (Agência Nacional do Cinema). Um fast die Hälfte soll die Fördersumme im Jahr 2020 im audiovisuellen Bereich gekürzt werden. Der brasilianische Film hat in den letzten Jahren an Innovation und Internationalisierung enorm gewonnen, dem brasilianischen Kino geht es eigentlich gut. Doch die bereits erfolgten und angekündigten Kürzungen und zunehmenden inhaltlichen Kontrollen bedrohen die Filmschaffenden, die in besonderem Maße abhängig von öffentlichen Geldern sind.
So klagte der Regisseur und Autor Kleber Mendonça Filho, dessen Film „Bacurau“ dieses Jahr in Cannes den Preis der Jury gewann, gegenüber Le Monde: „Alles, was mit der Welt der Ideen zu tun hat, wird lächerlich und klein gemacht und zerstört […]. Das Geld, das für die Kultur vorgesehen war, wurde gekürzt, Künstler werden kriminalisiert.“
Krude Fördervergabe
Im Juli 2019 kündigt Bolsonaro eine „Neuformulierung oder Auflösung“ der Ancine an und fordert ideologische „Filter“, die künftig bei der Vergabe von Förderungen zum Einsatz kommen sollen. Wenig überraschend sind es insbesondere Filme, die thematisch den Bereichen und Bewegungen LGBTQ, Feminismus und Negritude zugehörig sind, die unter Restriktionen zu leiden haben. So wie im Fall der Produzentin Anna Zepa, der die Ancine die bereits zugesagten Unterkunfts- und Reisekosten zum BFI London Film Festival, auf dem ihr Film über einen lesbischen Flirt gezeigt werden sollte, kurzfristig strich.
Dazu passt auch der „Skandal“, den der harmlose Superheldencomic „Vingadores: Cruzada das Crianças“ (Rächer: Der Kreuzzug der Kinder) Anfang September auf der Buchmesse in Rio auslöste. Hier wurden die Organisatoren der Messe aufgefordert, den Comic zu entfernen, da er Kindern pornografische Inhalte zugänglich mache. Stein des Anstoßes war ein einziges Panel, das den Kuss zwischen zwei Männern zeigt.
Ein Klima, in dem der Hass gegen Kulturschaffende als „Parasiten des Systems“ geschürt wird, befördert nicht nur die Selbstzensur, sondern führt auch dazu, dass einige aufgrund von konkreten Angriffen bereits das Land verlassen haben. Lautstarker Widerstand gegen Bolsonaro hält sich trotzdem bisher in Grenzen. Zwar gibt es Proteste und vereinzelte Aktionen, aber insgesamt herrsche, so der brasilianische Schriftsteller Luiz Ruffato, eher eine Art „lähmende Fassungslosigkeit“.
Nur allmählich scheint die Zurückhaltung aufzubrechen. Mitte Oktober wurde in São Paulo ein Theaterfestival mit dem Titel „Verão Sem Censura“ („Sommer ohne Zensur“) angekündigt, welches sich als Reaktion gegen die „Kriminalisierung der Künstler“ und als „Akt des Widerstands“ sieht.
Anfang 2020 sollen mehrere Stücke gezeigt werden, die im vergangenen Jahr zensiert wurden oder laut Ankündigung noch zensiert werden, darunter mehrere mit politischem und LGBTQ-Inhalt. Die Durchführung dieses Festivals sollte besonders aufmerksam verfolgt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“