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Brandenburg lädt zur Landpartie einOffene Stalltore und offene Fragen

Bauernhöfe und Käsereien laden am 11. und 12. Juni zum Schauen und Kosten ein. Ein Problem sind die Lieferketten zwischen Berlin und Brandenburg.

Bio? Konventionell angebauter Raps? So oder so schön anzuschauen. Auf zur Brandenburger Landpartie! Foto: dpa/Patrick Pleul

POTSDAM taz | Am Wochenende werden fast 150 landwirtschaftliche Betriebe rund um Berlin ihre Ställe öffnen, Feldführungen durchführen und Einblicke in die Käseherstellung gewähren. In Freyenstein dürfen Kinder Hochlandrinder streicheln, in Elisenau gibt es Erdbeeren zum selber ernten. Andere Betriebe demonstrieren, wie sie aus Gülle Energie gewinnen oder Rollrasen herstellen. Vielerorts laden Strohburgen zum Toben ein, es gibt Kaffee und Kuchen, Korbflechter und Kunstschmiede. Organisiert wird die Brandenburger Landpartie vom Verband ProAgro, der die Zusammenarbeit von Erzeugern, Verarbeitern und Abnehmern in Berlin-Brandenburg fördert.

Das Interesse an einer regionalen Versorgung ist durch Pandemie und Krieg deutlich gewachsen, belegt ein Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums. 82 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen dieser Aspekt beim Essen wichtig sei. „Wir brauchen eine robuste, wenig importabhängige, regionale Land- und Ernährungswirtschaft, die Artenvielfalt, die natürlichen Lebensgrundlagen und unser Klima achtet und bewahrt“, fordert Brandenburgs Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz Axel Vogel.

Die Realität sieht allerdings anders aus. Nur etwa 15 Prozent der Lebensmittel, die in Berlin konsumiert werden, stammen aus Brandenburg. Dabei würden Äcker und Felder in einem Radius von gut 100 Kilometern ausreichen, um die Hauptstadt mit Lebensmitteln zu versorgen, hat das Zentrum für Agrarlandschaftsforschung in Müncheberg ausgerechnet. Das meiste, was in Brandenburg produziert wird, landet jedoch auf dem Weltmarkt. Die Polititk hat das Thema Ernährungssicherheit in den vergangenen Jahrzehnten Weltkonzernen überlassen.

So kommt der allergrößte Teil der Lebensmittel bereits stark verarbeitet in den Läden an: Wer Smarties oder S.Pellegrino, Maggi-Brühwürfel, Wagner-Pizza oder Thomy-Senf in den Einkaufswagen packt, macht Nestlé ein bisschen reicher. 85 Prozent des Lebensmittelverkaufs läuft über die großen Supermarktketten Edeka, Aldi, Lidl und Rewe – und die werden aus Zentrallagern beliefert.

„Deutlicher Nachholbedarf“

Zwar ist es ProAgro gelungen, dass Rewe ein Regionalfleisch-Programm mit der Eberswalder Wurst GmbH aufgebaut hat. Doch dominiert wird der Fleischmarkt gegenwärtig von Großkonzernen wie Tönnies und Wiesenhof, die extremen Preisdruck auf die Mastbetriebe ausüben.

Beim kostenlosen Essen für Berliner Grund­schü­le­r*in­nen sind bisher nur Biozutaten vorgeschrieben – woher sie kommen, ist egal

„Auf politischer Ebene gibt es deutlichen Nachholbedarf, was die Zusammenarbeit von Brandenburg und Berlin angeht“, sagt Kristin Mäurer von Pro Agro. Das Landwirtschaftsministerium in Potsdam hat im Januar rot-weiße Regionalsiegel eingeführt, die sowohl konventionell als auch ökologisch wirtschaftende Betriebe nutzen dürfen. „Berlin könnte die Entwicklung vorantreiben, indem bei der Ausschreibung von Kantinenleistungen die Regionalität der Zutaten verlangt wird“, so Mäurer. Beim kostenlosen Essen für Berliner Grund­schü­le­r*in­nen sind bisher nur Biozutaten vorgeschrieben – woher sie kommen, ist egal.

Markus Kamrad, Berliner Staatssekretär für Verbraucherschutz und Umwelt, bezeichnete das Brandenburger Qualitätssiegel kürzlich als „sehr guten Einstieg“. Allerdings müsste Brandenburg auch in der Lage sein, größere Mengen zu liefern.

Bei der vom Ernährungsrat Berlin vor einigen Jahren initiierten Regio-Woche für Schulessen hatte sich gezeigt, dass es in ganz Brandenburg keinen Kartoffelschälbetrieb gab. Das hat sich zwar geändert. Doch die Stadt-Land-Verbindungen sind noch schwach. Dabei ist Berlins Bedarf nach regionalen Produkten risieg, Brandenburgs Lieferpotenzial auch. Entwickeln lassen sie sich nur gemeinsam.

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