Boykottbewegung gegen WM in Katar: Widerständiges Spektakel

Die #BoycottQatar2022-Initiative hat in der Fanszene nicht nur eine Debatte über die WM, sondern auch über die Verbände in Gang gesetzt.

Fans vom FC Freiburg haben im Fanblock ein Plakat im Stadion angebracht: #Boycott Qatar 2022

Klare Zeichen in den Bundesligastadien: Hier zeigen Fans des SC Freiburg ihren Unmut gegen die WM Foto: Tom Weller/dpa

Als wir im Herbst 2020 die Kampagne #BoycottQatar2022 starteten, war uns schon klar, dass wir es mit einem mächtigen Gegner aufnehmen würden. Nicht nur mit dem Emirat Katar, bedeutender und politisch einflussreicher Anteilseigner in der europäischen Wirtschaft sowie im europäischen Spitzenfußball, sondern auch mit der Fifa-Führung um Gianni Infantino.

Wie mächtig und skrupellos der Gegner ist, wissen wir spätestens seit der jüngsten Enthüllung des Schweizer Rundfunks und Fernsehens (SRF) über das „Project Merciless“. Im September 2013 hatte das Emirat die US-Sicherheitsfirma Global Risk Advices beauftragt, die Kritiker der WM in Katar, innerhalb wie außerhalb der Fifa, auszuspähen, um diese zu diskreditieren oder zu manipulieren. Die Firma versprach ihrem Auftraggeber „die weltweite Penetration“ des Diskurses über die WM. Allein diese Operation ließ sich Katar 387 Millionen US-Dollar kosten.

Natürlich wussten wir auch, dass der Mensch käuflich ist. Und vielleicht ist die größte Überraschung, dass am Ende viele Menschen nicht käuflich waren. Dies gilt insbesondere für die kritische Fanszene, die in den letzten Monaten zu einem wichtigen Träger einer Kampagne für die Universalität der Menschenrechte wurde.

Begonnen hatte es mit einer Handvoll Fangruppen, die über jahrelange Erfahrung in Aktionen gegen Rassismus und Homophobie verfügten und nun gemeinsam unter dem Label #BoycottQatar2022 antraten. Das klang für viele zunächst zu provokativ. Auch wurde oft nicht verstanden, um welche Form von Boykott es ging, nämlich einen Fanboykott. Aber die „Provokation“ beendete die Friedhofsruhe rund um das Turnier und störte erfolgreich das Schönreden der Verhältnisse im Austragungsland.

Träger Start der Kampagne

Ohne die „provokative“ Boykottforderung hätte sich die Diskussion über die WM vielleicht in landeskundlichen Betrachtungen und einigen klugen Aufsätzen erschöpft, wie es selbst einige als kritisch bekannte Au­to­r:in­nen vorschlugen. Die Veranstaltungen hätte es in dem Maße kaum gegeben, und wohl auch nicht die vielen kreativen Aktionen der kritischen Fanszene, die sich keineswegs nur den Zuständen im Austragungsland widmeten, sondern auch die Politik der Verbände ins Visier nahmen.

Der Start der Kampagne verlief etwas träge. Beim Nationalteam ist eine kritische Fanszene kaum existent. Die klubgebundene schien zunächst eher uninteressiert. Zu diesem Zeitpunkt war Katar nur bei den Fans des FC Bayern ein Thema, der seit 2011 sein Wintertrainingslager in der Aspire Academy absolviert und sich von Qatar Airways alimentieren lässt.

Anfang 2021, als in Norwegen erste Profivereine zum Boykott aufriefen, nahm die Kampagne etwas an Fahrt auf. Nun kam es auch zum von uns gewünschten Doppelpass mit den Menschenrechtsorganisationen, denen in Sachen Boykott die Hände gebunden waren. Ein Markstein war eine Konferenz im Mai 2022 in Frankfurt, wo unter dem Label „Nicht Unsere WM!“ ein buntes Spektrum aus unterschiedlichsten Fanszenen zusammenfand, um über Fußball und Menschenrechte (mit Amnesty International), den Fußball im Nahen und Mittleren Osten, die Fifa und die Zukunft des Spiels sowie weitere Aktionen zu diskutieren.

Seit dem Beginn der Saison 2022/23 werden die Initiatoren von ihrer Kampagne überrollt. Als Re­fe­ren­t:in­nen dürften sie bislang um die 150 Veranstaltungen besucht haben. Unzählige Exemplare von Aufklebern, Bannern, T-Shirts und Infobroschüren wurden vertrieben.

An den letzten drei Spieltagen vor der WM-Pause gab es kaum ein Stadion im hiesigen Profifußball, in dem nicht gegen die WM demonstriert wurde. Vorausgegangen war ein Aufruf von #BoycottQatar2022, aber zumindest an einigen Orten wurden die oft sehr aufwändigen Aktionen wohl schon früher geplant. Unterm Strich stand die wohl größte Kundgebung pro Menschenrechte, die der deutsche Fußball jemals gesehen hat.

Nach dem Start der WM wird es weitergehen. Fanprojekte und Kneipen füllen ihren Boykott mit Vorträgen oder großen Spielen aus der Konserve, in Gelsenkirchen (#back2bolzen) und anderen Städten wird während der Übertragungen alternativ gekickt, Regionalligisten wie Altona 93 und Preußen Münster, deren Spielbetrieb weiterläuft, werben mit Sondertrikots für Vielfalt und Menschenrechte. Wie die spektakulären Stadionchoreografien können diese unzähligen dezentralen Aktionen dazu beitragen, eine oppositionelle Haltung gegen die entfesselte Kommerzialisierung und Gier im Profifußball zu festigen. Die WM in Katar ist dafür nur ein, allerdings besonders absurdes Beispiel.

Dietrich Schulze-Marmeling ist Mitorganisator der Kampagne #BoycottQatar2022.

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