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Bootsunglück auf dem MittelmeerLeichen vor der Küste Libyens

Noch immer werden 150 Migrant*innen vermisst. Überlebende berichten von Toten im Wasser. Und Salvini verschärft die Strafen für Seenotretter.

Verlassenes Schlauchboot im Mittelmeer: Im Juni rettete das Hilfsschiff „Alan Kurdi“ die Insassen Foto: dpa

BERLIN taz | Während Italien noch höhere Strafen für Seenotretter beschließt, hat sich im Mittelmeer vor der libyschen Küste das wohl schwerste Bootsunglück dieses Jahres ereignet: 150 Migrant*innen werden derzeit noch vermisst, wie ein Sprecher der libyschen Küstenwache mitteilte. Dass viele von ihnen ertrunken sind, gilt als wahrscheinlich. Überlebende des Unglücks, die derzeit von der Organisation Ärzte ohne Grenzen versorgt werden, berichteten von Leichen im Wasser.

Um die 300 Menschen sind am Donnerstag in zwei Booten von der libyschen Küstenstadt Al-Khums aus in Richtung Europa aufgebrochen. Als sie in Seenot gerieten, konnten lokale Fischer und die libysche Küstenwache laut Ärzte ohne Grenzen 135 Menschen retten und nach Al-Khums zurück bringen. Dort seien sie medizinisch versorgt worden. Viele von ihnen hätten unter Schock gestanden oder wegen der lange Zeit unter Wasser an Unterkühlung und Sauerstoffmangel gelitten.

Private Rettungsschiffe waren zur Zeit des Unglücks nicht auf dem Mittelmeer unterwegs. Ihnen wird das Retten von Menschenleben dort immer schwerer gemacht. Kurz vor der Tragödie vor der libyschen Küste hat Italien am Donnerstag horrende Strafen für private Seenotretter*innen auf den Weg gebracht: Bis zu eine Milliarde Euro soll zahlen, wer ein Schiff unerlaubt in italienische Hoheitsgewässer lenkt.

Schon seit Juni verhängt Italien in diesen Fällen Strafen von 10.000 bis 50.000 Euro. Kurz danach steuerte Carola Rackete mit der „Sea Watch 3“ auf Lampedusa. Nach Angaben von Sea Watch soll sie dafür 16.666 Euro Strafe zahlen. Dagegen hat Rackete Berufung eingelegt. Die Vereinten Nationen kritisierten Italien daraufhin. Das Recht auf Leben und der Grundsatz der Nichtzurückweisung sollten vor nationalen Rechtsvorschriften immer Vorrang haben, forderte etwa UN-Menschenrechtsexperte Felipe González Morales.

Überlebende kommen in libysche Auffanglager

Der neue Gesetzentwurf über höhere Strafzahlungen geht auf Innenminister Matteo Salvini zurück, der das Retten im Mittelmeer weiter erschweren will. Die Abgeordnetenkammer stimmte diesem mit großer Mehrheit zu, nun muss es noch durch den Senat bestätigt werden. Hier hat die Regierung aus Salvinis rechter Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung allerdings die Mehrheit. Das Dekret besagt weiter, dass Behörden die Schiffe in italienischen Gewässern konfiszieren dürfen.

„Das neue Schiffsunglück zeigt einmal mehr, wie dringend Rettungsschiffe im Mittelmeer benötigt werden“, sagt Florian Westphal, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. Außerdem äußerte er in einer Mitteilung ernsthafte Sorgen um die Überlebenden, die nun in libysche Internierungslager gebracht werden. „Alle Flüchtlinge und Migranten, die in Lagern in Libyen festgehalten werden, müssen dringend und umgehend aus diesen evakuiert werden.“

Laut UNHCR hat die libysche Küstenwache 84 der geretteten Migranten in das bei Tripolis liegende Internierungslager Tadschura gebracht. Dieses liegt in der Nähe des Frontverlaufs zwischen rivalisierenden libyschen Fraktionen. Bei einem Luftangriff Anfang des Monats wurden laut Ärzte ohne Grenzen 60 dort einsitzende Migrant*innen getötet, 70 wurden verletzt. (mit dpa)

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9 Kommentare

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  • Ganz sicher, dass es sich um eine Milliarde und nicht um eine Million handelt? Letzteres entspräche der Strafhöhe, die die spanische sozialistische Regierung schon vor einiger Zeit angesetzt hat.

  • @ RUJEX: Ich habe nie von dummen Wilden gesprochen. Und nur weil ich eine andere Sichtweise habe, brauchen Sie mir nicht andere Erfahrungen mit Menschen, die geflüchtet sind absprechen. Not zu definieren ist schwierig. Ich lebe aber mit Menschen zusammen, die ihre Heimat verlassen haben und weiß, wie schwer das ist.



    Warum die Menschen nicht schwimmen lernen weiß ich nicht. Ich schwimme recht gut aber kann mir vorstellen, dass ich auch im Mittelmeer ertrinken würde, bei den Bedingungen.



    Man kann nicht alle retten aber man muss es doch versuchen. Und das sage ich nicht vom hohen Ross runter sondern mit Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit.

  • 0G
    06831 (Profil gelöscht)

    Sind die Menschen so uninformiert oder werden sie von den Schleppern belogen?



    Die Schlepper informieren auch jetzt noch die Leitstelle der privaten Retter, wenn sie ein Boot auf den Weg schicken.



    Bin gespalten ob die private Rettung sinnvoll ist.Sie können doch nicht alle retten, die unterwegs sind oder?



    Die Menschen brauchen dringend Info und direkte Hilfe vor Ort.

  • @ RUJEX



    Soviel Empathielosigkeit! Nur wenn man sich in einem solchen Zustand befindet, in der man sich nicht in die Lage anderer Menschen versetzen kann oder will, kann man eine Flucht als Glücksspiel bezeichnet.



    Ich würde nicht mein Leben und das Leben meiner Kinder riskieren, würde ich mich nicht in einer aussichtslosen Not befinden und ich kann mir vorstellen, dass es andere Menschen auch nicht tun.



    Es ist traurig, dass so viele Europäer das Gefühl haben, über Menschen in Ausnahmesituationen urteilen zu können.

    • @desoli:

      Ich habe zb oft gehört, dass viele auf dem Mittelmeer traumatisiert wurden, weil sie nicht schwimmen konnten. Sie fast ertrunken wären, beim Übergang vom Schlepper-Schlauchboot ins Boot der Seenotretter. Und erlebten, wie andere es nicht schafften und ertranken.

      Sie wussten, dass sie sich in Seenot begeben werden und nicht schwimmen können. Auf die Idee vorher schwimmen zu lernen, ist aber keiner gekommen - obwohl es sich um verständige Menschen handelte.

      In schā' Allāh - es wird alles gut gehen - dachten sie mit einer fatalistischen Grundhaltung.

      Im Fall derjenigen mit dennen ich arbeiten durfte hat es auch geklappt, bei vielen anderen leider nicht. Sie sind erbärmlich im Angesicht der baldigen Rettung ersoffen, obwohl sie genug Zeit im Rahmen der Vorbereitung der Reise gehabt hätten, dass Schwimmen zu erlernen. Denn auch in der dritten Welt kann man schwimmen lernen und wenn man weiß, dass man sich in Seenot begibt sollte man es auch.

      Ist nun deswegen auch die EU dran schuld, dass die Menschen ertrunken sind?

    • @desoli:

      Ich habe beruflich mit Flüchtlingen gearbeitet. Teil der Arbeit waren ca. 40 Anhörungen beim BAMF von Menschen die übers das Mittelmeer eingereist sind. Ich kenne die Geschichten nicht aus den Medien, sondern von den Menschen. Nach allen Gesprächen, kann ich sagen, dass die Menschen wissen, auf was sie sich einlassen. Es sind keine dummen Wilden, die um ihr Leben rennen.

      Woher kommen Sie zu der Annahme, dass alle Menschen die über das Mittelmeer kommen in Not in ihren Heimatländern waren? Die Realität ist, dass man priviligiert und fit sein muss, um die Reise finanzieren und schaffen zu können. Lesen Sie sich bitte mal ein! Es gibt genug (Fach-) Artikel.

      Ich finde das auch nicht verwerflich. Wenn ich zb. in Conakry (Guinea) leben, der Volksgruppe der Fula angehören würde und feststellen müsste, dass ich keine Chance auf die guten Jobs, wegen meiner Ethnie, habe, würde ich mir auch überlegen auszuwandern. Aber in Not wäre ich deswegen nicht, weil es eben "nur" Diskriminierung und nicht Verfolgung ist. Töten würde mich keiner einfach so, wegen der Ethnie.

      Die Menschen die wirklich in Not sind, sind froh, wenn sie die Grenze passiert und in einem unhumanen Flüchlingslager in der Region landen, in Sicherheit sind und basis versorgt werden. Diese Menschen haben keine Kraft und Ressourcen sich noch mal in Lebensgefahr zu begeben, um einem Traum vom besseren Leben zu jagen. Sie sind froh zu leben.

      Es ist ein Zeichen von Arroganz, Ignoranz und Naivität, dass sie den Menschen, die die Reise antreten, abstreiten eine freie Entscheidung zu treffen. Es sind keine dummen Wilden, die planlos um ihr Leben rennen.

      Ich habe viele erlebt, die nicht wegen Not in der Heimat, sondern der Reisse traumatisiert wurden. Libyen war für alle viel schlimmer, als was die Heimat an Not zu bieten hatte. Libyen ist die Hölle für Flüchtlinge. Und die Menschen wussten das, als sie sich auf die Reise begaben. Sie hofften nur alle, dass sie Glück haben und ihnen nichts passiert.

      • 8G
        83492 (Profil gelöscht)
        @rujex:

        "Die Realität ist, dass man priviligiert und fit sein muss, um die Reise finanzieren und schaffen zu können. Lesen Sie sich bitte mal ein! Es gibt genug (Fach-) Artikel."

        Z.B. [1]. Da steht ziemlich genau das, was Sie auch schreiben. Sind wir wirklich verpflichtet, diese Personengruppe aufzunehmen? Die geringe Anerkennungsquote für Asyl zeigt, dass wir dann sehr viele aufnehmen, die keinen Anspruch haben.

        "Entgegen landläufiger Meinung wird Europa nicht von den Armen der Welt überrannt. Denn für eine Migration sind finanzielle Mittel nötig, über welche die meisten Menschen in den wenig entwickelten Ländern kaum verfügen. Nach der „Migration-hump-Theorie“ werden Wanderungen über größere Distanzen erst wahrscheinlich, wenn das jährliche Bruttoinlandsprodukt pro Kopf auf etwa 2.000 US-Dollar steigt. Bei 7.000 bis 13.000 Dollar erreichen sie ihren Höhepunkt. Das bedeutet aber auch, dass sich Migration durch Entwicklung nicht bremsen lässt. Im Gegenteil fördert sie die Wanderungs-bereitschaft."

        [1] "Europa als Ziel? Die Zukunft der globalen Migration", Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, 2019, ISBN: 978-3-946332-48-0



        www.berlin-institu...ls_Ziel_online.pdf

      • 0G
        06831 (Profil gelöscht)
        @rujex:

        Interessante Infos über ihr Arbeit und ihre Einschätzung dazu.



        Das habe ich auch schon in Gesprächen mit anderen Helfern, keine Ehrenamtlichen, so erfahren.

        Das alles ist keine gute Entwicklung.



        Eigentlich gibt es keine zuverlässigen Infos dazu.

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