Bolsonaro-Skandalvideo in Brasilien freigegeben: „Nicht meine Familie ficken“
Das Video einer Kabinettssitzung sorgt in Brasilien für Aufregung. Der rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro wird sein Amt wohl trotzdem behalten.
Hintergrund der Debatte sind die Anschuldigungen von Sérgio Moro. Vor vier Wochen trat der Justizminister und ehemalige Starrichter mit einer schweren Anklage von seinem Regierungsamt zurück. Der Grund: Bolsonaro habe versucht, einen Vertrauten als Chef der Bundespolizei einzusetzen, um an geheime Informationen über Ermittlungen gegen seine Söhne zu gelangen.
In der zweistündigen Kabinettssitzung erklärte der rechtsradikale Politiker unter anderem, dass er versucht hatte, Sicherheitsleute in Rio de Janeiro auszutauschen. Es wird davon ausgegangen, dass er mit „Sicherheitsleuten“ die Bundespolizei meinte. „Ich werde nicht darauf warten, dass sie meine Familie oder Freunde ficken“, brüllt Bolsonaro daraufhin in dem Video.
Der Präsident Brasiliens streitet ab, von der Bundespolizei gesprochen zu haben und wies noch am Freitagabend die Anschuldigungen zurück. Ex-Minister Moro erklärte hingegen, dass „die Wahrheit“ dargestellt wurde. Auch andere Politiker*innen sehen in dem Clip einen Beweis für die Schuld Bolsonaros. Eine politische Einflussnahme auf die Bundespolizei ist eine Straftat und könnte Konsequenzen für den Präsidenten haben.
„Die Verbrecher“ des Obersten Gerichtshofes
Und: Das Video zeigt noch mehr. Ein cholerischer Bolsonaro wirft mit obszönen Schimpfworten um sich und beleidigt in einem Rundumschlag Medien und politische Gegner. Die Gouverneure von São Paulo und Rio de Janeiro würden laut Bolsonaro aus ideologischen Gründen strikte Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 durchsetzen. Brasilien hat mittlerweile die zweithöchsten Infektionszahlen weltweit, die Weltgesundheitsorganisation erklärte Lateinamerika und Brasilien zum neuen Epizentrum der Pandemie.
Neben Bolsonaro meldeten sich in der Sitzung auch mehrere Minister*innen zu Wort. Bildungsminister Abraham Weintraub etwa forderte, die „Verbrecher“ des Obersten Gerichtshofes ins Gefängnis zu werfen. Auch die evangelikale Familienministerin Damares Alves sprach sich dafür aus, Gouverneur*innen und Bürgermeister*innen zu verhaften. Und Umweltminister Ricardo Salles empfahl, den derzeitigen medialen Fokus auf das Coronavirus zu nutzen, um die Umweltschutzgesetze ohne Zustimmung des Kongresses zu verändern, sodass man in der Amazonasfrage endlich „vorankomme“.
Viele werten die Aussagen Bolsonaros und der Minister*innen als „antidemokratisch“. „Diese Barbaren stürzen die Republik ins Chaos“, erklären brasilianische Oppositionspolitiker*innen in einem Schreiben. Die Regierung missachte die Gesetze und Institutionen und ignoriere die Verfassung.
Am Donnerstag hatten Oppositionsparteien, Organisationen und Einzelpersonen einen kollektiven Antrag auf Amtsenthebung gegen Präsident Bolsonaro eingereicht. Mehr als 30 Anträge auf Amtsenthebung liegen bereits bei Rodrigo Maia, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, vor. Bisher wurden sie aber nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Das könnte sich, so hofft die Opposition, mit dem veröffentlichten Video nun ändern.
Bolsonaros Fanboys halten weiter zu ihm
Allerdings könnte die Aufzeichnung das „Jetzt-erst-Recht“-Verhalten seiner Anhänger*innen nur noch weiter befeuern. Bolsonaros Frontalangriffe treffen den Nerv seiner radikalisierten Anhängerschaft. Es sind jene Brasilianer*innen, die für traditionelle Medien kaum noch empfänglich sind, Informationen fast ausschließlich über die sozialen Medien beziehen und Bolsonaro trotz zahlreicher Skandale und Krisen die Treue halten.
Auch Umfragen zeigen, dass Bolsonaro kaum an Popularität verliert, ihn auch weiterhin rund 30 Prozent der Bevölkerung unterstützen. Zudem ist Bolsonaro taktische Bündnisse mit Abgeordneten des Mitte-Rechts-Blocks im Parlament eingegangen. Ein Amtsenthebungsverfahren ist trotz des Videos unwahrscheinlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich