Blogger Protassewitsch auf Twitter: Weiter Winter in Belarus
Der entführte Blogger Roman Protassewitsch wandelt lächelnd durch Minsk und meldet sich auf Twitter zurück. Leider ist das kein Hoffnungssignal.
„Hallo, ich bin jetzt auf Twitter mit einem neuen Account unterwegs. Komme also langsam wieder ins Internet zurück. Wäre nett, wenn ihr mir mal schreiben würdet, bin jetzt immer erreichbar. Schreibt mir oder kommentiert mich, ich werde zeitnah antworten.“ So spricht Twitter-User @protas_by, unter einem Baum irgendwo im Freien stehend und sichtlich gut gelaunt in seine Handykamera.
Derartige Versuche, den eigenen Twitter-Account zu bewerben, gibt es Zehntausende. Nichts Besonderes also, möchte man meinen. Doch hinter @protas_by steht Roman Protassewitsch, der oppositionelle belarussische Journalist, der am 23. Mai bei seinem Flug von Athen nach Litauen von belarussischem Militär über dem Himmel von Belarus nach Minsk entführt wurde.
Protassewitsch wird eine Mitverantwortung für „Massenunruhen“ gegeben, ein Vorwurf, der ihm eine Haftstrafe von 15 Jahren einbringen könnte. Seit dem 25. Juni befinden sich Roman Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega nicht mehr in Hausarrest, können gemeinsam irgendwo in einem Vorort von Minsk in einem von der Polizei bewachten Haus wohnen. Fotos des russischen Fernsehens RT zeigen die beiden in sommerlicher Kleidung durch Minsk flanieren. Und @protas_by antwortet tatsächlich auf alle möglichen und unmöglichen Fragen.
„Wie schaffst du es, so lebensfroh zu sein unter diesen ganzen Foltern?“, fragt ein Nutzer mit dem Namen „Kommissar“. Und Protassewitsch antwortet, er sei nicht gefoltert worden. „Es wäre zumindest dumm, mich zu foltern, beobachtet doch die ganze Welt diese Situation.“ Und eine Tatsiana Burgaud gesteht, sie habe jetzt Flugangst bekommen. „Ich habe jetzt auch Flugangst“, antwortet ihr Protassewitsch. „Und auch wohl noch für lange Zeit:).“
Lukaschenko will spalten
Ist in Belarus der politische Frühling ausgebrochen? Dürfen jetzt politische Gefangene im Hausarrest mit der Freundin ein Zimmer teilen, einen Twitter-Account betreiben und Ausflüge in die Stadt unternehmen?
Leider nein. Es sieht vielmehr eher danach aus, als wollte Diktator Lukaschenko die Opposition spalten, nach dem Motto: „wenn ihr mit den Behörden zusammenarbeitet, geht es euch wie Roman und Sofia, wenn ihr nicht zusammenarbeitet, lernt ihr Besenstile im After und andere Foltermethoden kennen.“
Einer von denen, die von Bedingungen, wie sie Twitter-User Protassewitsch hat, nur träumen kann, ist der politische Gefangene Stepan Latypow. Am 1. Juni hatte er einen öffentlichen Suizidversuch unternommen, sich einen Stift in den Hals gestochen. Danach war er gefallen und hatte noch begonnen, sich die Arme aufzuschneiden.
Oder Polina Scharendo-Panasjuk. Als sie am 7. Juni vor Gericht stand, hatte sie sich zunächst geweigert, beim Einzug der Richter aufzustehen. „Ich stehe doch nicht vor Banditen auf“, hatte sie ihre Entscheidung begründet. Wenige Minuten später war sie jedoch dann doch aufgestanden. „Ich stehe nur deswegen auf, weil ich weiß, dass man mir Gewalt antun kann, so wie in Untersuchungshaft geschehen“, erklärte sie. Die meiste Zeit hatte Scharendo-Panasjuk während des Prozesses demonstrativ in einem Buch gelesen.
Das Prinzip der Macht
„Sie haben Protassewitsch Twitter gegeben, damit man ihn hasst. Das ist auch der Grund, warum die beiden nicht in U-Haft sitzen, sondern frei in der Stadt spazieren gehen können. 500 andere politische Gefangene können das nicht, obwohl viele von ihnen weitaus weniger schwerwiegende Anklagen haben“, erklärt Adaria Guschtyn, Korrespondentin der Plattform Nascha Niva und Ehefrau des Chefredakteurs Jahor Marzinowitsch, auf ihrer Facebook-Seite.
„Die Macht handelt nach einem altbekannten Prinzip: Sie versucht, die Gesellschaft zu spalten, will erreichen, dass wir die Feinde unter uns suchen. Und solange wir uns nicht einig sind, können wir nicht gewinnen.“
Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Posts wurde Jahor Marzinowitsch verhaftet und Nascha Niva von den Behörden gesperrt. Dieses Vorgehen zeigt erneut: Wer in Belarus mit den Behörden zusammenarbeitet, kann sich ungestört in den sozialen Netzen bewegen, staatlichen TV-Stationen Interviews geben. Wer zu dieser Zusammenarbeit nicht bereit ist, bekommt die Repressionen des Staats zu spüren, wie etwa die Journalisten von Nascha Niwa oder dem Internetportal tut.by.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?