Blogbetreiber über Freak-Rezepte: „Fleischwurst geht immer“
Lukas Diestel sammelt irre Rezepte von chefkoch.de auf dem Blog „Worst of Chefkoch“. Ein Gespräch über Mett am Stock, Wienerle Hawaii und die Faszination des Ekels.
taz am wochenende: Herr Diestel, haben Sie schon mal Chinakohlsalat mit Pfirsich-Leberwurst-Dressing probiert?
Lukas Diestel: Nein.
Und wie sieht es mit Nudelauflauf mit Teewurst aus? Oder Raclette-Salat?
Um Himmels willen, nein.
Genau diese Gerichte finden Sie und Jonathan Löffelbein, wenn Sie die Untiefen von chefkoch.de durchforsten, einer Seite, auf der jeder seine Lieblingsrezepte veröffentlichen kann. Die seltsamsten Einträge veröffentlichen Sie auf Ihrem Tumblr-Blog „Worst of Chefkoch“ und schreiben dazu ironische Kommentare über Machart und Zutatenauswahl. Aber über Menschen, die versuchen, in der Küche ein bisschen kreativ zu sein, macht man sich doch nicht lustig!
Das stimmt. Deswegen achten wir darauf, uns nie persönlich über den Menschen lustig zu machen, sondern nur über das Rezept, das bei chefkoch.de hochgeladen wurde.
Ist das nicht das Gleiche?
Nein, wir wollen niemanden persönlich attackieren. Oft handelt es sich ohnehin um User, die eher viele Rezepte posten. Wenn dann mal eines dabei ist, das sich für uns komisch liest, können die Leute das in der Regel vertragen. Es geht auch gar nicht darum, zu sagen: So darf man nicht kochen. Es soll einfach humorvoll bleiben.
Wie kommt man auf die Idee, solche Rezepte zu sammeln?
Das war Zufall. Einer von uns hatte ein völlig absurdes Gericht auf chefkoch.de gefunden und mit dem anderen geteilt. Wir haben dann angefangen, weiterzusuchen, und sind ziemlich schnell fündig geworden. Bei insgesamt rund 30.000 Rezepten auf chefkoch.de ist das auch nicht schwer. Es hat uns nur gewundert, dass es noch keine Sammlung dieser Abartigkeiten gab. Also haben wir uns gesagt: Gut, dann machen wir es eben. Im Juli 2017 haben wir den ersten Eintrag online gestellt: Weincreme aus der Mikrowelle.
Kann man die kulinarische Hölle denn einteilen?
Eine Kategorie sind die „… mal anders“-Rezepte. Die sind nicht alle schlecht, aber bei dem Begriff werden wir oft aufmerksam. Dann gibt es Rezepte, die mit absurd viel Fleisch arbeiten. Zum Beispiel zwei Kilogramm Gehacktes, dafür aber nur ganz wenig Käse und Sahne. Was auch oft vorkommt, sind Kombinationen aus Fleisch mit ganz viel Obst.
Also ganz nach dem alten Toast-Hawaii-Prinzip?
Das geht ja noch. Es gibt da ganz bizarre Ideen. Zum Beispiel „Wienerle Hawaii“. Dafür werden Wurststücke durch Ananasscheiben gesteckt, dann kommt noch Ketchup und Mayonnaise drauf.
28, lebt in Freiburg und hat Amerikanistik studiert. Er schreibt Kurzgeschichten und nahm im vorigen Jahr am Berliner Literaturwettbewerb Open Mike teil. Gemeinsam mit Jonathan Löffelbein, 26, betreibt er worstofchefkoch.tumblr.com.
Im Mai gehen die beiden auf Tour: 6. Mai, Stuttgart, Merlin Kulturzentrum. 7. Mai, Frankfurt/Main, Brotfabrik. 8. Mai, Karlsruhe, Kulturzentrum Tollhaus. 16. Mai, Berlin, Volksbühne.
Mir scheint, Fleischwurst und Schmelzkäse spielen oft eine Rolle.
Ein Rezept verwendet einen kompletten Fleischwurstring. Der wird in Ecken geschnitten, und die werden mit Senf und Ketchup bestrichen und dann mit Apfelstücken eine halbe Stunde gebacken. Aber das funktionierte halbwegs, ich hätte gedacht, das ist viel ekliger.
Sprechen wir über Ekel …
Das Rezept, das ich persönlich am schlimmsten finde, nennt sich „Nufleika“. Ein Toast, der mit Nutella bestrichen wird, dann kommt Fleischwurst drauf, und alles wird dann noch mit Käse überbacken.
Gibt es denn auch Gerichte, die sich durch eine absurde Zubereitung auszeichnen?
Das ist eine weitere Kategorie. Es gibt zum Beispiel Rezepte, die gar keine Zubereitung haben. Man findet auf chefkoch.de etwa das Rezept für „belegtes Brot“.
Es kann doch nicht alles so schlimm sein. Was sind Ihre persönlichen Lieblingsrezepte?
Wir sind große Freunde von Rezepten, in denen der Titel auch das Rezept abbildet. Das Lieblingsrezept von Jonathan ist Hackfleisch-Kloßteig-Auflauf und besteht tatsächlich daraus, Hackfleisch mit fertigem Kloßteig zu vermengen, dann in den Ofen zu schieben und noch mit Käse zu überbacken. Das ist also ziemlich schnell gemacht. Und ich bin wiederum großer Fan von einem Rezept, das sich ganz einfach Fußballpizza nennt.
Eine Pizza wird mit einem Fußball belegt?
Nein, da wird Pizzateig rechteckig auf ein Blech ausgewalkt. Darauf kommt dann Rahmspinat als Entsprechung für den Rasen. Der Spielfeldrand inklusive 16-Meter-Raum und Mittelkreis wird mit Mozzarellastreifen gekennzeichnet. Als Spieler kommen 22 kleine Würstchen in den Spinat rein. Da finde ich es halt so schön, dass jemandem die Ästhetik des Fußballplatzes so viel wichtiger ist als der Geschmack der Pizza. Die Betonung bei dem Rezept liegt auf „wenig Käse“.
Gibt es Leute, die absichtlich Unappetitliches posten, nur um dann von Ihnen bemerkt zu werden?
Hin und wieder liegt der Verdacht nahe. Es gibt zum Beispiel ein Rezept, das ist einfach nur Mett an einem Stock, das man über dem Lagerfeuer zubereiten soll. Da dachte ich zuerst: Das ist ja wie gemacht für uns. Aber es war erst zwei Tage alt. Wir achten darauf, wann ein Rezept veröffentlicht wurde und wie viele Rezepte der User sonst schon eingestellt hat. Eigentlich nehmen wir nur Rezepte, die schon auf chefkoch.de existierten, bevor es unsere Seite gab, um auf Nummer sicher zu gehen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sie gehen im Mai auf Tour, und es gibt Worst of Chefkoch live.
Ja, wir lesen aus dem Blog, kochen dabei auch Rezepte nach. Wir haben unveröffentlichte Texte dabei, aber genauso Texte, die sich nicht nur aufs Kochen beziehen. Wir machen ja auch Poetry Slam.
Die Seite ist noch nicht mal ein Jahr alt und hat inzwischen unheimlich viele Fans. Wie erklären Sie sich den Erfolg? Ist es die Faszination des Ekels?
Ich glaube, die Leute finden es toll, in den sozialen Netzwerken auch mal Bilder von wirklich hässlichem Essen zu sehen. Essen ist dort ja meist toll ausgeleuchtet, in den schönsten Farben abgebildet. Aber das, was man zu Hause vor sich auf dem Teller hat, sieht nicht so aus. Uns schreiben immer wieder Leute, dass sie sich bei uns auf der Seite rumtreiben, weil sie sich dann nicht ganz so schlecht fühlen, wenn sie sich abends nur einen Teller Nudeln mit Soße kochen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“