Blockade an Pariser Universität: Protest gegen Gazakrieg an Sorbonne
Aus den USA nach Frankreich: In den kommenden Tagen sind propalästinensische Aktionen auch an weiteren Universitäten Frankreichs geplant.
In der vergangenen Woche war das Gebäude an der Rue Saint-Guillaume bereits von einigen Dutzend Studierenden besetzt und die Straße von einigen hundert Demonstrant*innen belagert worden. Noch bevor die Polizei ihre Drohung einer gewaltsamen Räumung wahr machen konnte, einigten sich die Protestierenden mit der Sciences-Po auf einen freiwilligen Abzug gegen das Versprechen, dass bis Donnerstag eine große und für alle offene Debatte über den Konflikt organisiert werde. Die Direktion hatte sich bereiterklärt, ihre Partnerschaften mit Universitäten oder Organisationen zu überprüfen, welche „den israelischen Staat unterstützen“.
„Sciences-Po beugt sich dem Druck der Islamo-Gauchisten“, hieß es auf der Titelseite der Montagsausgabe von Le Figaro, und viele andere Medien äußerten sich ähnlich empört über den Kompromiss zwischen der Hochschuldirektion, dem Comité Palestine und der linken Partei LFI, die als Drahtzieher der Aktionen gilt. Auch Premierminister Gabriel Attal hatte die Besetzung als „peinliches und schockierendes Spektakel“ verurteilt, welches auf das Konto einer „von politischen Kräften wie La France insoumise bewegten Minderheit“ gehen.
Niemals habe es in Frankreich „ein Recht zu blockieren“ gegeben. Aber eine Art Tradition existiert: Vor allem im Mai 1968 und danach wurden immer wieder Universitäten besetzt oder es wurden von gewerkschaftlichen Streikenden, Lkw-Fahrern oder Landwirten Straßen blockiert.
Proteste weiten sich aus
Noch haben die Proteste gegen Israels Krieg in Gaza als Antwort auf den Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 nicht das Ausmaß wie an US-amerikanischen Universitäten angenommen. Aber die Solidaritätskampagne mit Palästina weitet sich aus, nicht zuletzt weil staatliche Behörden, Institutionen und ein Teil der Medien mit dem Versuch der Kriminalisierung reagiert. Wegen Strafanzeigen wird sich demnächst die Justiz damit befassen müssen. Es geht um die Frage, ob die Solidarität mit einer leidenden Bevölkerung in Gaza und der Protest gegen einen als Genozid charakterisierten Rachefeldzug oder eine als „Apartheid“ verurteilte Kolonisierungspolitik der Regierung Netanjahu als antisemitisch oder gar Verherrlichung des Hamas-Terrors eingestuft und strafrechtlich verurteilt werden soll.
Wegen dieser Anschuldigung haben sowohl die LFI-Fraktionschefin in der Nationalversammlung, Mathilde Panot, wie die LFI-Kandidatin bei den EU-Wahlen – die in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien geborene Juristin Rima Hassan – für Dienstag eine polizeiliche Vorladung erhalten. Beide hatten sich mit der Besetzung von Sciences-Po solidarisiert.
Panot hatte sich anfänglich geweigert, den Überfall der Hamas am 7. Oktober als „Terror“ zu benennen und hatte von „Kriegsverbrechen des bewaffneten Arms“ der Palästinenser gesprochen. Rima Hassan, die in ihrem Wahlkampf die Solidarität mit Palästina zum zentralen Thema macht, war von den Demonstrierenden in der Rue Saint-Guillaume mit Beifall bedacht worden, als sie den Demonstrierenden zu rief: „Ihr seid die Ehre unseres Landes!“ Sie verlangt einen „sofortigen Waffenstillstand“ und bezeichnet die „weder zu rechtfertigenden noch legitimen“ Bombardierungen des Gazastreifens durch die israelische Armee als „Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Weitere propalästinensische Aktionen sind laut Libération in den kommenden Tagen an den Universitäten von Grenoble, Rennes, Lille und Lyon geplant. Die größte Gewerkschaft der Studierenden, die Unef, ruft zu einem „Aufstand gegen die Repression und für den Frieden in Gaza“ auf. Das bisher eher isolierte Beispiel von Sciences-Po müsse Schule machen, meint Unef-Sprecherin Eléonore Schmitt: „Diese Mobilisierung hat eine Bresche geschlagen. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um zu zeigen, dass die Jugend sich bewegt.“
Spaltung in der französischen Linken
Die Frage der Unterstützung Israels, der Solidarität mit Palästina und die klare Abgrenzung vom Terrorismus und vom Antisemitismus spaltet heute mehr denn je die französische Linke. Manche ihrer prominenten Wortführer reden nicht mehr miteinander. Bei einem Galadinner aus Anlass des 120-jährigen Bestehens der kommunistischen Zeitung L’Humanité am 20. April mussten der LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon und der Sozialist Jérôme Guedj an entgegengesetzten Plätzen am Tisch platziert werden, berichtet La Tribune du Dimanche.
Guedj beschuldigt LFI, den Nahost-Konflikt zu einer „identitären Debatte“ im Sinn einer Entkolonisierungsideologie aus wahlpolitischen Interessen zu instrumentalisieren. Man könne links und gegen Netanjahu sein, ohne deswegen zu einem Boykott der ganzen israelischen Gesellschaft aufzurufen. Die von LFI betriebene Polarisierung sei „ein Gift“ für die Linke in Frankreich. Mélenchon dagegen wirft Sozialisten und Grünen vor, nicht klar von einem Genozid in Gaza zu reden und sich so mitschuldig zu machen.
Und der ehemalige Präsidentschaftskandidat der vereinigten Linken Nupes goss Öl ins Feuer: Als an der Universität Lille eine Palästina-Veranstaltung, an der er als Hauptredner auftreten sollte, verboten wurde, verglich Mélenchon den Uni-Präsidenten mit Adolf Eichmann, der ebenfalls argumentiert habe, er respektiere bloß die geltenden Gesetze.
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