Blick ins Flüchtlingslager Moria: Mal kein Elend

Handelnde statt Opfer: Mit dem „Moria Monitor“ wollen die Seenotretter Sea-Watch bewusst andere Bilder aus dem griechischen Flüchtlingslager zeigen.

Eine Person fliegt bei einem Spiel in die Luft.

Im Moria Monitor: Ein unbekannteres Bild aus dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Foto: Tessa Kraan/Moria Monitor

Die Bilder irritieren, und das nicht nur wegen dem „Ben & Jerrys“-Eis-Werbelogo unten rechts. Tanzende und betende Menschen unter grünen Olivenbäumen, blauer Himmel, meditierende Frauen und Männer auf bemoosten Felsen, professionell fotografiert, umrahmt in einem freundlichen Sonnengelb.

Der „Moria Monitor“ der NGO Sea-Watch zeigt andere Seiten des Lagers auf der griechischen Insel Lesbos. Seit der vergangenen Woche sind zwei FotografInnen für Sea-Watch in dem Lager unterwegs. Gemeinsam mit BewohnerInnen versuchen sie Bilder zu schaffen, in denen die Menschen „nicht nur Opfer sind, sondern aktiv handelnde Subjekte, die sich organisieren und in der Lage sind, aus der Scheiße das Beste zu machen“, sagt Ruben Neugebauer von Sea-Watch, der selbst lange als Fotograf gearbeitet hat.

Die Fotos werden in kleinen thematischen Einheiten zusammengefasst und mit Erläuterungen versehen. Jeden Tag kommt eine neue dieser Serien, angelehnt an das Format von Instagram-Storys, auf eine eigens eingerichtete Webseite. Am Sonntag etwa ging es dort um Religion. Man erfährt, dass es acht Kirchen allein in der afrikanischen Community gibt, und sieht, wie sich ihre Anhänger zum Gottesdienst versammeln – im Freien oder in einer provisorischen Moschee.

Gewiss: Daneben gibt es auch Bilder von aufgeritzten Unterarmen oder Kindern, die davon berichten, sie verfolge im Traum ein „schwarzer Hund“. Das ist die Serie zu psychischer Gesundheit, veröffentlicht am Dienstag. Und doch ist der Kontrast des „Moria Monitors“ zu dem, was die Öffentlichkeit sonst aus Moria zu sehen bekommen hat, riesig.

Hausen wie in einem Slum

19.000 Menschen leben in dem für 3.000 ausgelegten Containercamp, das ursprünglich ein Internierungslager war. Doch schon lange ist es so überfüllt, dass die meisten Bewohner im Gebüsch rund um das Lager hausen wie in einem Slum.

Der Mangel ist total: Es gibt zu wenig Platz, Essen, Wasser, Toiletten, Zelte, Ärzte, Psychologen, Decken. Wegen Corona herrscht seit Wochen eine Ausgangssperre. Viele halten Moria für das schlimmste Flüchtlingslager Europas, seit Langem machen NGOs politisch Druck, fordern, die Menschen aus dem Elend zu evakuieren. Nach dem Ausbruch der Coronapandemie lief die Kampagne dafür unter dem Schlagwort #leavenoonebehind, „lasst niemanden zurück“. Gemeint war: Alle sollen vor Corona geschützt werden, also muss das Lager aufgelöst werden.

Die Kampagne erfuhr enorme Resonanz, gesellschaftlich und in geringerem Umfang auch politisch: Thüringen etwa beschloss in der vergangenen Woche, 500 besonders schutzwürdige Flüchtlinge, wie Kinder und alleinerziehende Mütter, aus den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln aufzunehmen.

Der „Moria Monitor“ sieht sich als Teil dieser Kampagne, versteht sich als „Fundament für die immer lauter werdende Forderung nach der sofortigen Evakuierung“. Doch dafür zeigt er nicht das Elend, sondern geradezu schöne Bilder aus Moria.

Unterschlägt das nicht den wichtigsten Teil der Realität – die unzumutbare humanitäre Lage? Es sei ein „schwieriges Dilemma“, sagt Neugebauer. „Mit Elendsbildern und Kinderaugen kann man kampagnenmäßig natürlich Druck machen.“ Doch wer ausschließlich zeige, wie die „Menschen von der EU wie Dreck behandelt werden, nimmt ihnen auch die Würde,“ sagt er.

Schlimme Bilder aus Moria habe es schon viele gegeben, „sogar in der Bild-Zeitung, die eine viel größere Reichweite hat“. Die stetige Reproduktion der Elendsbilder aber sei ihrerseits „verkürzt“, denn sie mache unsichtbar, wie die Menschen mit der Lage umgehen, in die die EU sie zwinge. „Die Elendsbilder sind von der Politik genau so gewollt, sonst sähe es da ganz anders aus.“

Das sei eine rassistische Politik, der mit „antirassistischer Kommunikation“ begegnet werden müsse, sagt Neugebauer. Es gehe nicht darum, die Betrachter mit schlimmen Bildern zu erschrecken, sondern „Empathie zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Menschen im Lager als gleichwertig wahrgenommen werden“.

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