Bleiberechtsregelung der Großen Koalition: Stichtag Silvester 2009

Vielen droht zum Jahresende der Rückfall in die Duldung, denn zum 31.12. wollen die Behörden Geld sehen. Bleiben darf nur, wer über ein ausreichendes Einkommen verfügt.

Aktion "Hiergeblieben" für ein besseres Bleiberecht. Bild: Julia Seeliger - Lizenz: CC-BY

Mohammed al-Sabri* sorgt sich. Sein Gebrauchtwagenhandel läuft schlecht. Seit einigen Monaten macht das Geschäft Verluste, deshalb beziehen al-Sabri und seine Familie inzwischen ergänzende Sozialhilfe.

Und das könnte sie Ende des Jahres ihre Aufenthaltserlaubnis kosten. Denn die al-Sabris, die vor elf Jahren aus dem Libanon nach Berlin flohen, fallen unter die Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge, die Ende des Jahres ausläuft.

Weil die Eltern den Lebensunterhalt für sich und ihre vier minderjährigen Kinder nicht vollständig selbst bestreiten konnten, erhielt die Familie vor zwei Jahren nur eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe. Können die al-Sabris auch bis zum Jahresende kein ausreichendes Einkommen nachweisen, fallen sie zurück in die Duldung, die alle sechs Monate verlängert werden muss. Die Angst vor einer Abschiebung, die die Familie jahrelang begleitete, wäre wieder da.

Die Regelung: Im Jahr 2006 beschloss die Innenministerkonferenz eine Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete, die im Jahr darauf von der Bundesregierung übernommen wurde. Demnach sollten Einzelpersonen, die sich zu einem bestimmten Stichtag mindestens acht Jahre, und Familien, die sich mindestens sechs Jahre in Deutschland aufhielten, ihren Lebensunterhalt selbst bestritten und Sprachkenntnisse und ausreichenden Wohnraum nachweisen konnten, ein Bleiberecht kriegen.

Die Zahlen: Von den etwa 110.000 langjährig Geduldeten, die sich damals in Deutschland aufhielten, haben nur knapp 63.000 eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, die Hälfte von ihnen lediglich auf Probe. Können sie bis zum 31. Dezember dieses Jahres ihren Lebensunterhalt nicht weitgehend selbst bestreiten, fallen sie zurück in die Duldung.

Die Duldung: Geduldete Flüchtlinge haben keine Aufenthaltserlaubnis. Ihre Abschiebung wird lediglich ausgesetzt, weil aus bestimmten, oft humanitären Gründen die Rückkehr ins Herkunftsland nicht möglich ist. Die Flüchtlinge müssen ihre Duldung regelmäßig verlängern lassen, dürfen zumeist nicht arbeiten und sich nicht frei bewegen. Sie erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die niedriger liegen als Hartz IV.

Die Bleiberechtsregelung, wie sie 2007 von der großen Koalition beschlossen wurde, sollte ein altes Problem der Flüchtlingspolitik lösen: Was tun mit Flüchtlingen, deren Asylantrag nicht anerkannt wird, die aber – zumeist aus humanitären Gründen – nicht abgeschoben werden können? Sie sollten die Chance auf eine gesicherte Zukunft in Deutschland bekommen, versprach damals die Bundesregierung. Mit Kettenduldungen sollte Schluss sein.

Doch von den Betroffenen hat nur ein kleiner Teil von der Bleiberechtslösung profitiert. Von den gut 110.000 langjährig Geduldeten haben nur 63.000 eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, die Hälfte davon wiederum nur auf Probe. Wie die al-Sabris müssen sie bis Ende des Jahres eine Arbeit nachweisen, mit der sie ein ausreichendes Einkommen verdienen. Können sie das nicht, droht der Rückfall in die Duldung.

Es sei denn, es gibt eine Anschlussregelung. Dass dies dringend nötig ist, sehen inzwischen selbst die Hardliner in der Union ein. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, zeitgerecht eine "angemessene Regelung" zu finden. Darüber berät nun ab Mittwoch in Bremen die Innenministerkonferenz – doch die Vorstellungen von Union- und SPD-Innenministern liegen weit auseinander.

Die Linie für die Unionsminister gibt der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) vor. "Eine schlichte Verlängerung dieser Regelung kommt nicht in Betracht," schreibt er in einem Brief an seine Kollegen. Schünemann will die gesetzliche Regelung lediglich für ein Jahr und nur für die Betroffenen verlängern, bei denen "die berechtigte Aussicht" besteht, dass sie künftig ihren Lebensunterhalt eigenständig sichern können. Wer danach noch immer keinen Job hat, soll in die Duldung zurückfallen – und wenn möglich abgeschoben werden.

"Wir wissen alle, dass das so nicht funktioniert", sagt dagegen der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD). "Wir werden den Großteil der Betroffenen hierbehalten, und die meisten von ihnen sind auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar." Deshalb mache es keinen Sinn, die Regelung einfach um ein Jahr zu verlängern. "Wir brauchen eine Dauerlösung", sagte Körting der taz.

Nach Vorstellung der SPD-Innenminister sollen deshalb alle, die sich nachweislich um Arbeit bemühen, eine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wer keine Arbeit hat, soll sich ehrenamtlich engagieren. "Das ist wichtig für die gesellschaftliche Akzeptanz", so Körting.

Den Flüchtlingsinitiativen geht das nicht weit genug. Denn zehntausende langjährig Geduldete würden gar nicht unter die Bleiberechtregelung fallen, weil der Einreisestichtag starr festgelegt sei und es sehr viele Ausschlussgründe gebe. "Wir brauchen eine Regelung, die Kettenduldungen wirklich ein Ende setzt", sagt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. "Und dazu brauchen wir einen Neuanfang."

Sinnvoll wäre aus seiner Sicht, wenn die Innenministerkonferenz die Regelung verlängern würde, um den betroffenen die Unsicherheit zu nehmen. Dann müsste der Bundestag eine umfassendere Lösung beschließen und in ein Gesetz gießen. Ähnlich sehen das auch Grüne und Linke, Kirchen und Wohlfahrtsverbände, die sich seit langem für eine sinnvolle Altfallregelung einsetzen. Doch eine politische Mehrheit im Bundestag ist dafür nicht in Sicht.

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