„Black History Walks“: Londons „viele Mohren“
Wo findet man im Tower zu London afrikanische Geschichte? Die „Black History Walks“ bieten eine afro-karibische Führung.
Es gibt viele Stadttouren für Geschichtshungrige in London. Die „Black History Walks“ von Tony Warner, der London aus afrozentrischer Perspektive zeigt, ist eine Rarität. Warner will, so sagt er, „geschichtliche Lücken auszufüllen“. Solche Lücken empfinden insbesondere Briten afrikanischer oder afrikanisch-karibischer Familienabstammung, erzählt die britische Psychologin Donna Smart, Mitte 40, die die Tour begleitet: „Über Menschen wie mich erfuhr man kaum etwas in der Schule.“
Warner, dessen Eltern aus den Karibikstaaten Barbados und St. Lucia stammen, sieht England kritisch: „Ein Land, dessen Reichtum und Kultur zwar zu einem großen Teil aus Afrika kam oder durch afrikanischstämmige Menschen mitgeschaffen wurde, deren Anteil daran aber bis heute nicht anerkannt wird.“
Tony Hutchinson ist extra aus dem mittelenglischen Wolverhampton angereist. „Dort hielt der ehemalige Parlamentsabgeordnete Enoch Powell im Jahre 1968 eine Hasspredigt gegen Neueinwanderer, wie meine Eltern“, erzählt er. Das hat Geschichte in England. Nun erfährt der 52-jährige Ingenieur, dass bereits Königin Elizabeth I 1596 verkündete: „England hat zu viele Mohren.“
London Black History Walks Historische Führungen durch St Pauls/Bank, um Trafalgar Square, Notting Hill, Elephant & Castle sowie eine Fitzrovia/Soho Tour. Erwachsene zahlen 7 £, Kinder 3 £. www.blackhistorywalks.co.uk unter der Rubrik "Walks" Buchung per E-Mail über info@blackhistorywalks.co.uk
Die Afrikasterne im London Tower
Warner führt durch die City, dem alten Herzen Londons, bis er vor dem Haus der Goldschmiedegilde anhält. Er stellt der 12-jährigen Ashton, der jüngsten Teilnehmerin, eine Frage: „Wo findet man im London Tower afrikanische Geschichte?“ Als sie und die anderen es nicht wissen, holt Warner aus seiner Tasche eine Abbildung der Krone Elizabeths II, die im Tower aufbewahrt wird, und deutet auf deren zwei größten Diamanten, die zu den größten Diamanten der Welt gehören.
Sie heißen „Afrikasterne“, und kamen 1905 aus dem britisch kontrollierten Teil Südafrikas. Auf einem weiteren Bild sind drei berittene königliche Trompeter aus dem Jahr 1511 zu sehen. In der Mitte John Blanke, ein afrikanischstämmiger Mann, der zum Hofstaat von Katherina von Aragón, der ersten Gattin Henry VIII., gehörte.
Die Gruppe passiert die Polizeiwache der City Police. Als die IRA in London Anschläge verübte, bekam die City Police den Auftrag nach irischen Verdächtigen zu suchen. Später stellte sich heraus, dass die von ihr am meisten angehaltenen Menschen nicht Iren, sondern Menschen schwarzer Hautfarbe waren. „Dem zum Trotz “, so Warner, „wurde hier Jahre später die Vereinigung Schwarzer Polizeibeamter der City Polizei gegründet.
Treffpunkt der Slavenkäufer
Es geht weiter in Richtung der Römermauer. Warner berichtet vom „afrikanischen Kaiser der Römer“, der Septimus Severus (145-211) hieß und halb berberischer, halb römischer Abstammung war. Septimus regierte in England und verstarb hier. Vor den bronzenen Toren der Bank of England erinnert Warner daran, dass „die Münzen der Bank of England Guineas hießen, weil das Münzgold von ebendort herkam“.
Nicht weit entfernt von der Bank steht die Guildhall, die kolossale Zentralhalle der Londoner Gilden. In ihr steht die lebensgroße Statue von William Beckford (1709-1770), der zweimal das Oberhaupt der Guildhall und somit Repräsentant aller Geschäftsinteressen der City of London war. „Was weniger bekannt ist“, sagt Tony Warner, „ist die Tatsache, dass Beckford einer der mächtigsten Sklavenbesitzer war.“ Ironischerweise war es genau hier, im Zentrum der die Apartheid finanzierenden Banken – wie Barclays – wo Nelson Mandela 1996 geehrt wurde.
Lloyds Kaffeehaus, etwas weiter gelegen, war ein Treffpunkt für Geschäftsleute des 17. und 18. Jahrhunderts. Von dort wurde der blutige Handel mit Sklaven aus Afrika, die billigen Zucker und Baumwolle in der Karibik und Amerika produzieren sollten, organisiert. Im Kaffeehaus befindet sich jetzt ein Supermarkt, der Zucker oder Schokolade aus den ehemaligen Kolonien verkauft.
Gleich gegenüber erhebt sich die Londoner Börse . Davor protestieren gerade etwa 100 Demonstranten gegen die Steuerhinterziehung des Finanzviertels, „das seinen Profit in verarmten Ländern macht“.
Geschenkte Beute
Wo gerade alle beim Thema Ausbeutung sind, erwähnt Warner nicht erstattete Reparationszahlungen. „Hier geht es um Diebstahl, Aneignung, verwehrten Zugang und verfälschter Geschichte“, deklariert er. Solche Aussagen brachten ihm schon bösartigen Reaktionen aus der rechten Szene ein.
Sie wollen nicht hören, was Warner zum Beispiel gerade über den Obelisken, vor dem die Gruppe nun steht, sagt: „Kleopatras Nadel stand einst in Ägypten, bis die Briten das Geschenk des ottomanischen Machthabers Mohammad Ali an das Südufer der Themse verfrachteten. Als ob es ein englisches Kulturobjekt wäre, finden sich Imitationen solcher ägyptischer Obelisken überall in England wieder.“ Er zeigt auf das Dach eines nah gelegenen Gebäudes, und tatsächlich auch dort sind mehrere Obelisken zu erkennen.
Die Gesichtszüge des riesigen steinernen Pharaonenkopfes im Britischen Museum sind eindeutig afrikanischstämmig: doch das Museum trennt die ägyptische von der afrikanischen Abteilung. Warner hält das für symbolisch. Vor den Bronzeobjekten aus Benin schildert er, wie die geplünderten Schätze aus dem 17. Jahrhundert hierher kamen.
Vom Russel Square, der idyllisch neben dem British Museum liegt, führt die Tour nun weiter zum Imperial Hotel. Allerdings wurde das schöne Originalgebäude in den 60er Jahren durch einen hässlichen Komplex ausgetauscht. Dieses Hotel verklagte der in England beliebte trinidadische Kricketspieler Learie Constantine, als ihm das Management 1943 darlegte, er könne trotz längerer Buchung nur für eine Nacht bleiben. Der Grund: einflussreiche Gäste aus den USA. Constantines erfolgreiche Klage, die bis zum oberen Gerichtshof ging, wurde zum Vorreiter späterer gesetzlicher Gleichberechtigung. Constantine erhielt den Ritterschlag der Königin. Er wurde zum Baron ernannt und war das erste schwarze Mitglied des 600 Jahre alten englischen Oberhauses.
Die Aktivistin Mary Price
Fünf Minuten weiter westlich führt der Spaziergang zum Senate House, dem neoklassischen Hauptgebäude der Londoner Universität. Auf einer blauen Plakette steht der Name von Mary Prince. Nachdem ihr fünfter Besitzer sie, geb. 1788, nach Jahren der Sklavenarbeit in der Karibik als Haussklavin nach England mitgeschleppt hatte, entfloh sie ihm in London. 1831 publizierte sie ihre Autobiografie, die sie selbst verkaufte. Ihre Biografie trug wesentlich zur Abschaffung der Sklaverei zwei Jahre später bei.
An einer Hauswand am Soho Square findet sich die Plakette einer anderen Frau revolutionärer Eigeninitiative. Mary Jane Seacole (1805–1881) ist einer der wenigen schwarzen Menschen, die heute in England zum allgemeinen Schulstoff gehören. Als der Krimkrieg ausbrach, bot Seacole ihre Dienste als Krankenschwester an, wurde aber abgewiesen. Sie hatte in der Karibik viel über Heilkräuter gelernt. Seacole reiste auf eigene Faust an die Front, wo ihre Leistungen bei der Versorgung verwundeter Soldaten legendär wurden. Sie erhielt mehrere Tapferkeitsmedaillen und wurde 2004 zur „bedeutendsten schwarzen Britin aller Zeiten“ gekürt.
Am anderen Ende des Soho Squares endet die Tour. Warner zeigt der Gruppe noch kurz den Moonlightning Club, eine der wenigen Diskotheken, in der Menschen mit schwarzer Hautfarbe seit den Achtzigerjahren ohne Probleme Zugang haben. So lange ist das noch nicht her.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin