: Bisschen wie Woodstock
Ende der Siebzigerjahre war ich öfter als Tramper unterwegs. Da gab es die so genannte Rotpunktbewegung: Die hatte zunächst ein politisches Anliegen, weil die Fahrpreise beim öffentlichen Nahverkehr drastisch erhöht worden waren. Die roten Punkte wurden dann an Autofahrer verteilt, die bereit waren, Tramper mitzunehmen. In Aachen und Hannover beispielsweise weiteten sich diese Aktionen zu richtigen Streiks aus. Aber auch damals war es schon sehr anstrengend zu trampen.
Es hängt eben sehr von der Tagesverfassung der Fahrer ab, wie leicht man vorankommt – damals wie heute. Nostalgisch sehe ich wirklich nicht auf die Siebzigerjahre zurück. Für mich ist und bleibt das Trampen eine Zwecksache: Man will eben von Punkt A nach B – und fertig. Klar, es war schon eine schöne Zeit damals. Aber deswegen überhöhe ich sie nicht zum Kult.
Für viele ist Trampen ja ein bisschen wie Woodstock. Die Leute kriegen leicht feuchte Augenwinkel, wenn sie davon sprechen. Manchen war dieses Leben ein Familienersatz. Zu Hause klappte es nicht mehr so recht, das war bei mir ganz ähnlich. Die Alten meckerten nur: Pass auf dich auf, und komm nicht auf die falsche Bahn. Da flüchtete man eben auf die Straße und sang revolutionäre Parolen.
Natürlich konnte man auch gut Mädchen kennen lernen beim Trampen. Das ist ein bisschen wie heute auf der Uni. Bei vier Mark, die in Berlin die Einzelfahrt bei der BVG kostet, ist heute wieder ein Limit erreicht. Aber die Leute denken gar nicht daran, so etwas wie eine Rotpunktaktion erneut zu starten. Stattdessen akzeptieren sie stillschweigend jede neue Fahrpreiserhöhung. Oder sie entladen ihre Wut an den Fahrern.
Es wäre schon zu begrüßen, wenn das Trampen wieder ein bisschen aufleben würde. Dann kämen die Autofahrer mal mit anderen Leuten zusammen. Das tut denen ganz gut. Auch aus ökologischer Sicht wäre es natürlich erfreulich.
Ist ja völlig absurd, wie die Leute heute zur Arbeit fahren, jeder allein in seinem Wagen. Da wird sich erst dann was tun, wenn der Staat Anreize schafft. Man müsste solche Fahrgemeinschaften steuerlich begünstigen. Da reicht es nicht, moralische Grundsätze zu predigen. Von hundert hören da vielleicht zwei drauf. Wenn es aber mehr Geld gibt, hören von hundert plötzlich fünfzig!
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