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Biografie über einen DeutschtürkenImmer ein Mensch zweiter Klasse

Can Merey beschreibt in „Der ewige Gast“, wie sein Vater vergeblich versucht hat, in Deutschland anzukommen – trotz bester Voraussetzungen.

Wie sieht gelungene Integration aus? Vielleicht so Foto: dpa

Wenn jemand nach 60 Jahren, am Ende eines langen Lebens, resigniert feststellt, dass es ein Fehler war, aus der Türkei nach Deutschland einzuwandern, weil er nie in der deutschen Gesellschaft ankommen ist, muss etwas gewaltig schiefgelaufen sein.

Hat er etwa sein Leben in einer der viel beschworenen Parallelgesellschaften verbracht, kein Deutsch gelernt, nur türkisches Fernsehen geschaut und seine Freizeit in einem dieser Männer-Cafés verbracht, in dem Deutsche praktisch keinen Zutritt haben? Hat er sich in den Islam geflüchtet und womöglich die Scharia dem Grundgesetz vorgezogen?

Doch was ist, wenn all das nicht zutrifft? Tosun Merey, der Mann, um den es in dem Buch „Der ewige Gast“ vor allem geht, kam als Student in den 50er Jahren nach Deutschland. Er stammt aus einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie und seine Anlaufstelle in Deutschland waren nicht die früheren Dorfnachbarn, die vor ihm nach Deutschland gegangen waren, sondern deutsche Geschäftspartner seines Vaters in Bayern.

Er absolvierte erfolgreich die Universität in München, heiratete eine Deutsche aus einem konservativen bayerischen Dorf, arbeitete für große deutsche Firmen und sieht sich doch am Ende seines Lebens als gescheitert. Deutschland hat ihn nicht akzeptiert.

Gescheiterter Versuch eines Abkömmlings

Aufgeschrieben hat die Geschichte von Tosun Merey sein Sohn Can, Journalist und einer der führenden Korrespondenten der Deutschen Presseagentur dpa. Can Merey war lange Jahre für die dpa in Südostasien, hat dann seit 2013 das Nahostbüro mit Sitz in Istanbul geleitet und wird ab Juli Chef des dpa-Büros in Washington. Can Merey ist ein kosmopolitischer Deutscher, der, als er vor fünf Jahren nach Istanbul kam, mit dem Geburtsland seines Vaters so wenig zu tun hatte, dass er noch nicht einmal die Sprache beherrschte.

In diesen fünf Jahren lernte er nicht nur Türkisch, sondern er lernte auch seinen Vater noch einmal ganz neu kennen. Beide Eltern verbrachten in diesen Jahren ebenfalls die meiste Zeit in Istanbul und Vater und Sohn, die sich davor nur wenige Male im Jahr sahen, hatten die Gelegenheit, ausgiebig miteinander zu reden und in vielen Punkten kontrovers zu diskutieren. Auf dieser Grundlage entstand das Buch.

Er absolvierte erfolgreich die Universität in München und heiratete in ein bayerisches Dorf

Can Merey hat auf der einen Seite einen sehr persönlichen Bericht über seine Familie, seinen Vater und sich selbst geschrieben. Gleichzeitig liefert er aber auch eine sehr genaue Analyse der deutsch-türkischen Beziehungen der letzten Jahre, einen Erfahrungsbericht über seine eigene Jugend in Deutschland und beschreibt seine Auseinandersetzung mit der neuen deutschen Rechten.

Es ist ein bemerkenswertes Buch, weil es nicht um die mehr oder weniger bekannten Geschichten einer klassischen „Gastarbeiterfamilie“ geht, sondern um den gescheiterten Versuch eines Abkömmlings der türkischen Oberschicht, in Deutschland heimisch zu werden und den daraus resultierenden Problemen seines Sohnes.

Um die Einbürgerung kämpfen

Es ist ein Bericht darüber, wie schwer Deutschland es einem Menschen macht, der trotz aller gegebenen intellektuellen und materiellen Voraussetzungen, trotz aller Bereitschaft zur kulturellen Anpassung immer der Ausländer, immer ein Mensch zweiter Klasse blieb. Can erfuhr von diesen Gefühlen seines Vaters über einen Umweg.

Es ging um Erdoğan und er verstand zunächst nicht, warum ausgerechnet sein Vater, säkular und welterfahren, sich so für Erdoğan begeisterte. Der Grund dafür, so wurde schnell deutlich, war ein rein psychologischer: „Erdoğan hat mir meinen Stolz und meine Selbstachtung zurückgegeben“, versuchte Tosun seinem Sohn zu erklären, der von Erdoğan und seiner Politik zunehmend entsetzt war.

Vor diesem Hintergrund entfaltet sich Tosuns Geschichte in Deutschland. Das führte dazu, schreibt Can Merey, dass auch er sich seiner türkischen Wurzeln immer deutlicher bewusst wurde.

Tosun, der als Betriebswirt im Verkauf verschiedener deutscher Firmen tätig war, musste immer wieder feststellen, dass seiner Karriere Grenzen gesetzt waren, die nichts mit seiner Leistung zu tun hatten. Er musste lange Jahre um seine Einbürgerung kämpfen und dann erleben, wie ihm wegen eines Fehlers einer deutschen Beamtin die Staatsbürgerschaft fast wieder aberkannt worden wäre. Man ließ es ihn spüren, dass er nicht dazugehörte.

Türkische Herkunft als etwas pittoresk

Das Kontrastprogramm zu Tosun erlebte seine ältere Schwester, die ebenfalls in den 50er Jahren zum Studium die Türkei verlassen hatte und statt nach Deutschland in die USA gegangen war. Anders als Tosun in Deutschland sind seine Schwester und ihre Kinder zu Amerikanern durch und durch geworden.

Als Can seinen Cousin Orhan in einem Vorort von New York besucht, kann er sich vom Unterschied der Einwanderer der zweiten und dritten Generation in Deutschland und den USA aus erster Hand überzeugen. Sein Cousin und dessen Kinder verschwenden keinen Gedanken daran, dass sie wegen ihrer türkischen Wurzeln vielleicht Nachteile erleiden könnten. Seine Tochter, erzählt Orhan, empfindet ihre türkische Herkunft eher als etwas pittoresk.

Davon kann Can in Deutschland nur träumen. Zwar hat er seinen Weg als Journalist gemacht und vielleicht sogar als erster Mitarbeiter mit türkischen Wurzeln bei seiner Einstellung bei dpa einen Vorteil aus seinem Migrationshintergrund gezogen, doch die Kontakte mit der deutschen Wirklichkeit sind immer wieder ernüchternd.

Als er im Berliner Büro für Bundespolitik zuständig ist, wird oft schon sein Name zum Stolperstein. „Kähn Möray, sind Sie Amerikaner?“, wird er häufig gefragt. Wenn sich herausstellt, dass Can ein türkischer Name ist, sind seine Gesprächspartner regelmäßig enttäuscht. „Na, wenigstens sprechen Sie gut Deutsch“, bekommt er dann zu hören.

Wie soll gelungene Integration aussehen?

Das Buch

Can Merey: „Der ewige Gast“. Blessing Verlag, München 2018. 320 Seiten, 17 Euro

Sein Vater erzählt ihm, dass die Eltern sich bei der Namenswahl viel Gedanken gemacht haben, aber, erklärt er: Josef Merey hätte doch noch mehr Fragen aufgeworfen.

Eine der spannendsten Passagen des Buches ist, als Can Merey auf AfD-Politiker und rechtsradikale Blogger zugeht und versucht, sie zu einem Dialog zu bewegen. Ein echtes Gespräch kommt nur mit einem der wenigen türkischen Migranten in der AfD und mit seinem ehemaligen Korrespondentenkollegen in Afghanistan, Paul Hampel, bis vor wenigen Tagen noch Vorsitzender der AfD in Niedersachsen, zustande.

Alle anderen blocken seine Fragen gleich ab und die beiden anderen sind offenbar bereits dabei, sich von der AfD zu verabschieden. Vorstellungen davon, wie eine gelungene Integration aussehen soll, haben aber auch die beiden nicht.

Die heftigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Türkei, zwischen Erdoğan und der Bundesregierung haben es für die Türken in Deutschland, vor allem für diejenigen Deutschtürken, die sich eher als Deutsche denn als Türken verstehen, nicht leichter gemacht.

Die Arroganz von Biodeutschen

Natürlich gibt Erdoğan allen Anlass zur Kritik, aber Can Merey gehört zu den wenigen Autoren, die feststellen, dass die Haltung gegenüber Erdoğan in Deutschland manchmal so emotionale Züge trägt, dass der Verdacht, hier geht es nicht nur um Erdoğan, sondern um einen Hass auf Türken insgesamt, nicht immer von der Hand zu weisen ist.

„Deutschland“, schreibt Merey, hat sich in den letzten Jahren in Sachen Integration zwar langsam, „doch in die richtige Richtung bewegt“. Das, so befürchtet er, ist nun vorbei. „Seit der Verschlechterung der Beziehungen droht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung zu gehen – sowohl vonseiten der Deutschtürken als auch von der Mehrheitsgesellschaft.“

Dabei, schreibt Can Merey zu Recht, gibt es zur „Integration der Deutschtürken aus deutscher Sicht keine Alternative“. Alles andere nütze nur Erdoğan und den Rechtsradikalen.

Das Buch liefert keine Patentrezepte, wie Integration auszusehen hat, aber es eröffnet einen Einblick in das Denken und Fühlen gerade der Deutschtürken, die Teil der deutschen Gesellschaft sein wollen und an der Arroganz und dem unterschwelligen Rassismus nicht nur von explizit Rechten, sondern auch von vielen „normalen Biodeutschen“ scheitern. Sich das selbstkritisch klarzumachen, ist der erste Schritt zur Verbesserung der Verhältnisse.

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8 Kommentare

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  • Einer der bekanntesten deutschen Politiker heißt Cem Özdemir; er wurde schon als Außenminister gehandelt. Die Präsidentin des Baden-Württembergischen Landtags heißt Muhterem Aras. Beide sind Kinder von armen türkischen Einwanderern. Beide wollten es in DEUTSCHLAND zu etwas bringen. Beide WOLLTEN das, und beide brachten es sehr weit, weiter als viele "Bio-Deutsche". - Das ist zureichender, fast vernichtender Kommentar zu Ansichten von Can Merey.

    • 8G
      80336 (Profil gelöscht)
      @Veit feger:

      Sie haben in Ihrem "zureichenden, fast vernichtenden Kommentar" zwei weitere Einwände vergessen: "Es gibt keine Armut, denn es gibt Milliardäre" und "Eine Schwalbe macht bereits einen Sommer".

  • 8G
    80336 (Profil gelöscht)

    So ist es. Die Erfahrung belegt zudem, dass diese Sorte "normaler Biodeutscher" noch nicht einmal im Ansatz zur Selbstkritik fähig. Denn sie wissen ganz genau, was sie tun, es ist ihnen jedoch schnuppe.

    Der Unterschied zwischen einem Vorausurteil und einem Vorurteil ist jener, dass ein Vorausurteil unvermeidbar und selbst bei mäßiger Intelligenz korrigierbar, ein Vorurteil hingegen komplett ignorant und auch noch irreparabel. Das Vorausurteil trifft eine Einzelperson, das Vorurteil hingegen stellt bereits im Vornherein eine Existenz als Einzelperson in Abrede.

    Eine geeignete Therapie gegen diese spezielle Geisteskrankheit wäre, die davon Befallenen vorübergehend in eine Psychiatrie einzuweisen, und zwar solange, bis sie dort glaubhaft nachweisen, dass auf Grundlage ihres deutschen Vornamens unzulässig auf ihre Unfähigkeit zu einem angemessenem Urteil geschlossen wurde.

  • Ich kenne das Buch von Herrn Merey nicht, habe aber im laufe meines Lebens diverse Erfahrungen, speziell in den 1970 und 1980iger Jahren mit türkischen Einwanderern gemacht, die aufzeigen könnten, weshalb eine wirklich Eingliederung nicht funktioniert hat.

     

    Das wäre z.B. das ständige Opferverhalten, schon bei kleinsten täglichen Auseinandersetzungen im öffentlichem Raum.

     

    Es ging um einen Parkplatz, wo nicht sicher war, wer nun der Erste war, der nun davor stand.

    Der türkische Autofahrer fing noch bevor der wahrscheinlich Deutsche aus dem Auto ausstieg an zu rufen, dass der andere Fahrer Ausländerfeindlich sei und das der Grund sei, weshalb er sich nun so aufregen würde. Wohl gemerkt, der "Deutsche" Fahrer hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch nichts gesagt. Als er dann darauf deutete, das der Parkplatz für Behinderte sei und er dort berechtigt sei zu Parken, kam von dem türkischen Mitbürger ein kurzer Ausspruch und er verschwand mit quietschenden Reifen.

     

    Diesen Ausspruch des Türken hörte man im Anfang der 1980iger Jahre sehr oft, " Du blödes Deutsche Arschloch, dich erwische ich auch noch!"

     

    Diese Art von Beleidigungen bei jeder Art von zusammentreffen beider Nationen wird sich wohl die Waage halten, aber schlimm für mich als Zuschauer war, dass dieser türkische Mitbürger bereits die 40 überschritten haben musste.

     

    Unsere gesamte 7 köpfige Familie hatte in den Jahren, auch heute noch mit diversen Einwanderern aus den verschiedensten Ländern zutun, mit denen wir im großen und ganzen gut auskamen, mussten aber auch feststellen, dass ganz besonders die Menschen, mit denen wir aus der Türkei zutun hatten, uns nicht den geringsten Respekt entgegen brachten. Wir waren, wie wir durch einen Griechen mit türkischen Sprachkenntnissen erfuhren, immer die Ungläubigen, denen man keinen Respekt entgegen bringen muss!

     

    Besonders schlimm empfanden wir Kinder diese Missachtung, denn wir hatten viele tägliche Kontakte zu unseren türkischen "Freunden und Nachbarn"!!!

  • Sicherlich ist es kein Trost für die türkisch-stämmigen Betroffenen. Dennoch könnte es für sie interessant sein zu erfahren, dass dieselben Erfahrungen in der letzten Generation auch norddeutsche Bürger machen mussten, die sich "erdreisteten", ihren Wohnsitz in den Süden, bspw. nach Bayern, zu verlegen. Selbst ihre Kinder wurden mit schwer erträglicher Arroganz ausgegrenzt und mussten erfahren, dass auch sie nicht dazu gehören.

    • @anyhow:

      "Deutschland" ist halt weder ein Volk noch eine Nation, sondern ein Gebiet oder bestenfalls ein Staat. Die einzelnen deutschen Völker meinen aber immer, alle müssten so sein wie sie sind, eine Einbildung, die sich besonders dort hartnäckig hält, wo sonst niemand hin will.

       

      Leider mag darüber aber niemand reden, weil die einen das Problem gar nicht sehen, weil es ihnen egal ist, wo jemand herkommt und für die anderen alle Fremde sind, die nicht so sind wie sie. Staatsbürgerlichen Patriotismus wie in den USA gibt es in Deutschland einfach kaum. Das hat hier leider nur sehr wenig Tradition, und Deutschland hatte bisher auch nur sehr wenig Gelegenheit, so etwas herauszubilden. Am ehesten noch die westdeutschen Großstädte und Berlin, aber genau da spaltet sich das Land ja auch gerade.

  • Aus eigener Erfahrung: Stadtverwaltung Frechen bei Köln 1991 bei der Abholung des ersten Personalausweises in der BRD - ein Angestellter sagt zu mir mit einem hochnäsig-verächtlichen Ton: "Für Doppelstaatler gibt es die andere Warteliste". Ich war der einzige in dem Großraumbüro. Und BTW, am meisten wundert mich bis heute, dass der Stadtangestellte schwul war.

    • @agerwiese:

      Wieso? Muß er einem erwarteten Verhalten entsprechen, weil er schwul ist? Und warum das? Weil Schwule auch ausgegrenzt werden? Und das weit mehr als von Biodeutschen gerade von Türken (Muslime).