Biografie des Schriftstellers Aldous Huxley: Sergeant Pepper’s Papa
Zum 125. Geburtstag erscheint eine umfassende neue Biografie des britischen Schriftstellers Aldous Huxley von Uwe Rasch und Gerhard Wagner.
Aldous Huxley gehört gewiss nicht zu jenen Schriftstellern, die irgendwann im Orkus der Literaturgeschichte verschwunden sind. Schließlich fällt sein Name zuverlässig immer dann, sobald Reproduktionsmedizin oder Klonforschung wieder Schlagzeilen machen, stets gemeinsam mit dem Titel seines dystopischen Weltbestsellers von 1932. Was allerdings in Vergessenheit geriet, ist sein Werk jenseits von „Schöne neue Welt“. Als da wären solche Romanklassiker wie „Kontrapunkt des Lebens“ und „Zeit muss enden“ oder bedeutende Essays wie „Do What You Will“.
Ebenfalls kaum noch bekannt ist daher auch die faszinierende Persönlichkeit dieses englischen Schriftstellers, der zwischen 1938 und seinem Todesjahr 1963 siebenmal für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen wurde. Hierzulande sind nun die Huxley-Spezialisten Uwe Rasch und Gerhard Wagner angetreten, den Autor zu seinem 125. Geburtstag mit einer neuen Biografie als „überraschenden Zeitgenossen“ wiederzuentdecken. Das meint das Biografenduo mit Blick auf die Fridays-for-Future-Demos durchaus wörtlich, schließlich sei Huxley nicht nur ein Grenzgänger zwischen Literatur und Wissenschaft gewesen, der unsere heutigen Probleme der Virtualisierung und Dauerablenkung bereits hellsichtig reflektiert habe. Sondern eben auch ein Pionier eines globalökologischen Denkens.
Tatsächlich warnte Huxley in seinen späten Essays eindringlich vor den langfristigen Folgen einer Nutzung von Atomenergie und fossilen Brennstoffen; als früher Kapitalismuskritiker warb er für ein neues, vernetztes Denken. Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatte das Huxley-Bild in der Öffentlichkeit längst eine für seine posthume Wirkung fatale Spaltung erfahren: Denn einerseits wurde der späte Huxley für seine Verehrer mehr und mehr zu einem Weltweisen. Als Gesellschaftskritiker und Humanist war der Schriftsteller schon während der beiden Weltkriege für den Pazifismus eingetreten. In der Nachkriegszeit warnte er wie in unseren Tagen ein Al Gore mit Vorträgen unermüdlich vor dem Ende der Menschheit und wurde zu einem der Mitinitiatoren des kalifornischen Esalen-Instituts, bis heute ein bedeutendes transreligiöses Weisheits- und Meditationszentrum.
Uwe Rasch/Gerhard Wagner: „Aldous Huxley“. wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2019, 320 Seiten, 30 Euro
Andererseits aber sahen viele Kritiker im Nachkriegs-Huxley einen literarisch eher mittelmäßigen Autor, der sich mit seinem vielfältigen Engagement zunehmend in einen Narren verwandelte. So warb er etwa dafür, die „Alexander-Technik“ zur richtigen Körperhaltung auch beim Schuhebinden anzuwenden, und schrieb ein Buch über das Augentraining nach Bates, das die Brille überflüssig machen soll. Gar nicht erst zu reden von seinem Bericht über seine Meskalinexperimente, in dem er Psychedelika als Abkürzung hin zu mystischen Bewusstseinszuständen pries.
Umso lobenswerter daher die Äquidistanz zu Verehrung wie auch zu Spott, die die Huxley-Biografie von Uwe Rasch und Gerhard Wagner ausmacht. Über den in den Sechzigern immens wirkungsvollen Essay „Die Pforten der Wahrnehmung“ urteilen die Biografen, dass Huxley mit ihm zwar nicht zum Urvater der Drogenbefürworter geworden sei, wohl aber „zu ihrem intellektuellen Schutzheiligen“. Als solcher inspirierte seine Schrift bekanntlich die Doors zu ihrem Bandnamen, und die Beatles verewigten den Verfasser in ihrer berühmten Ahnengalerie auf dem Cover ihres Albums „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“: Aldous, die Popikone.
Beharrlich beim Potenzial
Neben Huxleys ökologischem Engagement beeindrucken vor allem zwei Aspekte seines Schriftstellerlebens. Seine lebenslange Arbeit an sich selbst, zu der auch seine Drogenexperimente gehören, ist einer davon. Huxley versuchte beharrlich, sein gesamtes menschliches Potenzial zu verwirklichen. Dabei sehen seine Biografen zwischen seinem lebenslangen Interesse an Bewusstseinstechniken wie Hypnose und Meditation, an gesunder Ernährung oder Alternativmedizin und den frühen Schicksalsschlägen in seinem Leben einen Zusammenhang. Als Kind erlebte er, 1894 als Sohn einer berühmten Intellektuellenfamilie geboren, nicht nur den Krebstod seiner Mutter und den Selbstmord eines Bruders, sondern erlitt 1911 auch eine schwere Augenerkrankung.
Der zweite eindrucksvolle Aspekt an Huxleys Leben ist sein Talent zu Freundschaft und Networking. Verkehrte der junge Huxley in der Bloomsbury Group um Virginia Woolf, so der späte im Hollywood-Jetset, Picknicks mit Charlie Chaplin und Greta Garbo inklusive. Igor Strawinsky zählte ebenso zu seinen Freunden wie der Astronom Edwin Hubble, der indische Philosoph Krishnamurti oder der Skandalautor D. H. Lawrence.
Für Biografen ist ein solch begegnungsintensives Autorendasein Fluch und Segen zugleich. Raschs und Wagners Darstellung ist vorzüglich lesbar und kenntnisreich, gerät aber mitunter zum etwas ermüdenden Protokoll von Kontakten und Reisen. Denn unterwegs war Huxley mit seiner ersten Frau Maria ständig, ob im Bugatti-Sportwagen durch Europa oder auf Weltreise durch Asien und Amerika. Hinzu kommt, dass fast alle persönlichen Dokumente beim Brand seines Anwesens 1961 in den Hollywood Hills vernichtet wurden. Deshalb bleibt über sein Eheleben leider vieles im Bereich der Spekulation, etwa die polyamourösen Experimente, für die das Paar offen gewesen sein soll.
Solche Neigungen hätten jedenfalls zu dem zeitlebens von großem Erfahrungshunger geprägten Schriftsteller gepasst. Davon zeugt nicht zuletzt sein Todestag. Denn seine letzten Momente erlebte der an Kehlkopfkrebs Erkrankte mit maximal geschärftem Bewusstsein und glückselig im LSD-Rausch. Was für ein schönes Beispiel für die Kunst des Sterbens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken