Biodiversität in der Antarktis: Leben unter der Eisdecke
Unter der Eisschicht im antarktischen Whillans-See leben tausende verschiedener Bakterienarten. Rund 800 Meter ist der Eispanzer dort mächtig.
BREMEN taz | Temperaturen bis zu minus 65 Grad Celsius, eisige Winde, lange Phasen der absoluten Dunkelheit. In der Antarktis herrschen keine Bedingungen, unter denen normalerweise vielfältiges Leben gedeiht. Doch ausgerechnet 800 Meter unter ihrer Eisdecke, im Whillans-See, pulsiert laut einer aktuellen Studie offenbar ein buntes Ökosystem.
Einem internationalen Forscherteam unter Brent Christner von der Louisiana State University ist es mit speziellen Werkzeugen und Schläuchen gelungen, diverse Wasser- und Bodenproben aus dem See zu zapfen.
Ein aufwendiges Unterfangen, denn dabei muss man nicht nur fast einen Kilometer Eis durchbohren. „Die Proben müssen auch heil und vor allem steril den langen Weg nach oben hinter sich bringen“, erklärt Christner.
Bisherige Studien scheiterten vor allem an dem letzten Hygieneaspekt, man konnte am Ende nicht sicher sein, ob die mikrobiotischen Funde tatsächlich aus dem See oder aber von den Forschern und ihren Geräten stammten. Christner und sein Team haben nicht zuletzt deshalb sechs Jahre für die Vorbereitung ihrer Expedition gebraucht, um diesen Unsicherheitsfaktor zuverlässig auszuschließen.
Doch der Aufwand hat sich gelohnt. Man fand in jedem Milliliter des Seewassers 130.000 Zellen, die von 4.000 verschiedenen Mikrobenarten stammten. Das entspricht den Biowerten der normalen Tiefsee.
Unter den winzigen Organismen waren neben Bakterien auch sogenannte Archaeen, Mikroorganismen, die bisher eher dafür bekannt sind, in kochendem Wasser gedeihen zu können.
Bleibt die Frage, wie sich in der Tiefe der unwirtlichen Antarktis solch ein breites Ökosystem entwickeln konnte. Die Antwort besteht einerseits darin, dass ein dicker Eispanzer auch Schutz bietet: Im Whillans-See herrschen Temperaturen von etwa 0 Grad. Und die absolute Dunkelheit ist für die dortigen Mikroorganismen auch kein Problem, sie brauchen kein Licht.
Unter dem Eis konserviert
„Sie ernähren sich gewissermaßen von Steinen“, betont Christner. Oder genauer gesagt von Ammonium- und Methanbröckchen, die sich vor einigen Hunderttausenden Jahren aus organischer Materie bildeten, als die Antarktis noch wärmer und vom Meer überflutet war.
Aufgrund von Analysen der Sedimente vom Boden des Sees vermuten die Forscher, dass sich seine Flora mindestens vor 120.000, möglicherweise aber auch schon vor einer Million Jahren entwickelte. Und sie sah damals schon so aus wie heute. Denn im Whillans-See herrschen seit jeher die gleichen Bedingungen, und wenn sich an der Umwelt nichts ändert, dann gibt es auch kaum eine Evolution.
Das Leben dort unten wird also in 100.000 Jahren wohl noch genauso sein wie heute – es sei denn, das Eis schmilzt irgendwann weg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!