Bildungsreform in Polen: Zurück zu den Ostblock-Schulen
Die PiS-Regierung schafft die Mittelschulen ab. Künftig sollen Teenager wieder auf die Grundschule gehen. Dagegen regt sich Protest.
„Wir Lehrer verstehen einfach nicht, warum die Ministerin unser gut funktionierendes Schulsystem zerstört“, sagt Michal Nowak. Eine der Initiatorinnen der Bewegung „Eltern gegen die Schulreform“ empört sich: „Sie wollen meine Töchter mit völlig überflüssigem Bildungsballast vollstopfen. Sie sollen gehorsam sein und auswendig lernen. Ich will aber, dass sie kritisches Denken lernen.“
Derzeit suchen in ganz Polen Grundschulrektoren Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer, wegen der Reform „Die gute Schule“ der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie liquidiert innerhalb der nächsten zwei Jahre alle rund 7.000 Mittelschulen im Lande. Stattdessen sollen die Kinder nun nicht mehr sechs, sondern acht Jahre in die Grundschule gehen, und schon in der neunten Klasse auf die Oberschule oder zur Berufsschule wechseln statt wie bisher erst in der zehnten Klasse.
Auch der Rektor einer Dorfschule im Osten Polens ringt verzweifelt die Hände. „Ich suche dringend Lehrer für Chemie, Physik und Biologie. Zwei Stunden wöchentlich für die siebte Klasse. Aber ich bekomme nur Absagen!“ Er will auf keinen Fall mit Namen genannt werden. „Wenn ich offiziell gefragt würde, wie ich die Bildungsreform finde, würde ich sagen, dass unsere Schule bestens vorbereitet ist. Aber wenn ich ehrlich sein soll: Die Kinder tun mir leid.“
Schulen sind die Spielwiese der Politik
Die Fachlehrer, die nun von der dreijährigen Mittelschule auf die Grund- oder Oberschule wechseln sollen, verlieren dadurch fast alle ihre bisherige Vollzeitstelle. Sie sollen nun an mehreren Grund- oder Oberschulen eine Teilzeitstelle annehmen, ohne dass aber ihr Gehalt angehoben würde. So überlegen sich inzwischen viele, den Lehrerberuf ganz an den Nagel zu hängen und sich nach etwas Neuem umzusehen.
„Ich habe ja auch gar keine Mikroskope für den Biologieunterricht, mir fehlen Chemikalien, Bunsenbrenner und Reagenzgläser. Ich habe nicht mal die Räume“, klagt der Dorfschulrektor. „Wir werden improvisieren“, sagt er. „Aber eigentlich haben unsere Kinder etwas Besseres verdient.“
Schulreformen sind in Polen die Spielwiese jeder neuen Regierung. Auch die Koalition unter dem liberalkonservativen Premier Donald Tusk hatte eine zum Teil hoch umstrittene Schulreform durchgesetzt. So wurden sämtliche Schulbücher der ersten drei Klassen aus dem Verkehr gezogen und durch ein ministeriales Einheitslehrbuch samt Übungsheften ersetzt.
Schülerinnen und Schüler der höheren Klassen sollten mit Schul-Tablets ausgestattet werden und vor allem aus E-Books online lernen. So sollten die enormen Kosten gesenkt werden, die Eltern jedes Jahr für neue Schulbücher ausgeben mussten. Das Problem: Noch gibt es in Polen nicht flächendeckend Internet.
Trotz Erfolgen bei Pisa
Bei der neuesten Schulreform geht es nicht um Schulbücher oder andere kleine Reformen. Diesmal geht es ums große Ganze. Schon kurz nachdem die PiS im Oktober 2015 die Wahlen gewonnen hatte, verdammte die neue Bildungsministerin Anna Zalewska alle Schulreformen ab 1999. Obwohl sich die damals neu gegründete Mittelschule in den Jahren vor der Wahl hervorragend bewährte und hochmoderne Schulgebäude entstanden, müssen die meisten dieser Schulen in den nächsten zwei Jahren schließen.
Dabei sind die Lernerfolge beachtlich. Die oft sehr gut ausgestatteten Mittelschulen sorgten dafür, dass Polens 14-Jährige bei den Pisa-Studien in einigen Fächern heute über dem OECD-Durchschnitt liegen. Dennoch bevorzugt Bildungsministerin Zalewska das Schulmodell aus der Ostblockzeit.
Eltern und Lehrer versuchten, die PiS-Reform aufzuhalten, sammelten über 900.000 Unterschriften für ein Referendum, doch vergeblich. Die PiS-Abgeordneten verabschiedeten mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament die Reform. Seit Montag heißt es deshalb an Polens Schulen: volle Kraft zurück.
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