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Bildungsreform in PolenZurück zu den Ostblock-Schulen

Die PiS-Regierung schafft die Mittelschulen ab. Künftig sollen Teenager wieder auf die Grundschule gehen. Dagegen regt sich Protest.

Widerstand gegen die Schulreform: Protest in Warschau (Archivbild vom 19.11.2016) Foto: dpa

Warschau taz | Große Vorfreude auf die siebte Klasse zeigen in Polen weder Kinder noch Eltern oder Lehrer. Am ersten Schultag am Montag gingen sie zwar morgens in die neue Klasse, doch nicht in die Mittelschule, sondern weiterhin in die Grundschule – so als seien die Kinder sitzen geblieben. Am Nachmittag dann demonstrierten hunderte Lehrer und Eltern vor dem Bildungsministerium im Warschauer Regierungsviertel.

„Wir Lehrer verstehen einfach nicht, warum die Ministerin unser gut funktionierendes Schulsystem zerstört“, sagt Michal Nowak. Eine der Initiatorinnen der Bewegung „Eltern gegen die Schulreform“ empört sich: „Sie wollen meine Töchter mit völlig überflüssigem Bildungsballast vollstopfen. Sie sollen gehorsam sein und auswendig lernen. Ich will aber, dass sie kritisches Denken lernen.“

Derzeit suchen in ganz Polen Grundschulrektoren Lehrer für naturwissenschaftliche Fächer, wegen der Reform „Die gute Schule“ der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie liquidiert innerhalb der nächsten zwei Jahre alle rund 7.000 Mittelschulen im Lande. Stattdessen sollen die Kinder nun nicht mehr sechs, sondern acht Jahre in die Grundschule gehen, und schon in der neunten Klasse auf die Oberschule oder zur Berufsschule wechseln statt wie bisher erst in der zehnten Klasse.

Auch der Rektor einer Dorfschule im Osten Polens ringt verzweifelt die Hände. „Ich suche dringend Lehrer für Chemie, Physik und Biologie. Zwei Stunden wöchentlich für die siebte Klasse. Aber ich bekomme nur Absagen!“ Er will auf keinen Fall mit Namen genannt werden. „Wenn ich offiziell gefragt würde, wie ich die Bildungsreform finde, würde ich sagen, dass unsere Schule bestens vorbereitet ist. Aber wenn ich ehrlich sein soll: Die Kinder tun mir leid.“

Schulen sind die Spielwiese der Politik

Die Fachlehrer, die nun von der dreijährigen Mittelschule auf die Grund- oder Oberschule wechseln sollen, verlieren dadurch fast alle ihre bisherige Vollzeitstelle. Sie sollen nun an mehreren Grund- oder Oberschulen eine Teilzeitstelle annehmen, ohne dass aber ihr Gehalt angehoben würde. So überlegen sich inzwischen viele, den Lehrerberuf ganz an den Nagel zu hängen und sich nach etwas Neuem umzusehen.

„Ich habe ja auch gar keine Mikroskope für den Biologieunterricht, mir fehlen Chemikalien, Bunsenbrenner und Reagenzgläser. Ich habe nicht mal die Räume“, klagt der Dorfschulrektor. „Wir werden improvisieren“, sagt er. „Aber eigentlich haben unsere Kinder etwas Besseres verdient.“

Schulreformen sind in Polen die Spielwiese jeder neuen Regierung. Auch die Koalition unter dem liberalkonservativen Premier Donald Tusk hatte eine zum Teil hoch umstrittene Schulreform durchgesetzt. So wurden sämtliche Schulbücher der ersten drei Klassen aus dem Verkehr gezogen und durch ein ministeriales Einheitslehrbuch samt Übungsheften ersetzt.

Schülerinnen und Schüler der höheren Klassen sollten mit Schul-Tablets ausgestattet werden und vor allem aus E-Books online lernen. So sollten die enormen Kosten gesenkt werden, die Eltern jedes Jahr für neue Schulbücher ausgeben mussten. Das Problem: Noch gibt es in Polen nicht flächendeckend Internet.

Trotz Erfolgen bei Pisa

Bei der neuesten Schulreform geht es nicht um Schulbücher oder andere kleine Reformen. Diesmal geht es ums große Ganze. Schon kurz nachdem die PiS im Oktober 2015 die Wahlen gewonnen hatte, verdammte die neue Bildungsministerin Anna Zalewska alle Schulreformen ab 1999. Obwohl sich die damals neu gegründete Mittelschule in den Jahren vor der Wahl hervorragend bewährte und hochmoderne Schulgebäude entstanden, müssen die meisten dieser Schulen in den nächsten zwei Jahren schließen.

Dabei sind die Lernerfolge beachtlich. Die oft sehr gut ausgestatteten Mittelschulen sorgten dafür, dass Polens 14-Jährige bei den Pisa-Studien in einigen Fächern heute über dem OECD-Durchschnitt liegen. Dennoch bevorzugt Bildungsministerin Zalewska das Schulmodell aus der Ostblockzeit.

Eltern und Lehrer versuchten, die PiS-Reform aufzuhalten, sammelten über 900.000 Unterschriften für ein Referendum, doch vergeblich. Die PiS-Abgeordneten verabschiedeten mit ihrer absoluten Mehrheit im Parlament die Reform. Seit Montag heißt es deshalb an Polens Schulen: volle Kraft zurück.

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8 Kommentare

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  • 4G
    4845 (Profil gelöscht)

    Diese Bildungsreform ist durchaus zu kritisieren, auch wenn Frau Lesser ausgerechnet die wirklich kritischen Punkte dieser Reform völlig außer acht lässt. Dass ausgerechnet die sonst so antikommunistische PiS zurück zur alten - nicht mehr zeitgemäßen - Schulstruktur der Volksrepublik zurückkehrt ist allein vor dem Hintergrund des ideologischen Inhalts der Reform zu verstehn:

     

    1) Allgemein ist zu kritisieren dass fast jeden neue Regierung die Schulen in Polen reformiert. Alle paar Jahre wird refomiert. Es kann doch nicht sein, dass bei jedem Regierungswechseln Chaos in die Schulen getragen wird (diese Kritik richtet sich an alle Parteien)

     

    2) Der neue Lehrplan ist sehr deutlich sehr einseitig nationalistisch und religiös orientiert. Anstatt tkritische und selbstständige Individuen zu erziehen soll der neue Lehrplan folgsame und unkritische Staatsbürger mit nationalistischer Gesinnung hervor bringen (gegen einen demokratischen Patriotismus ist nichts einzuwenden, aber die PiS strebt stattdessen unkritischen Nationalismus an).

     

    3) Es wurden über 9.000 Lehrer entlassen weil diese ideologisch nicht ins das Konzept der PiS passen. Das ist der eindeutige Beweis, dass es bei dieser Reform nicht um die Schüler geht, sondern um eine ideologischer Neuausurichtung der Schule nach Gutdünken des selbstherrlichen Herrn Kaczyński.

  • 3G
    36387 (Profil gelöscht)

    Längeres gemeinsames Lernen in Wohnortnähe?

     

    ... so richtig verstehe ich die Kritik jetzt noch nicht. Vielleicht kann hier Aufklärung betrieben werden.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @36387 (Profil gelöscht):

      Darauf richtet sich ja die Kritik auch gar nicht. Frau Lesser hat hier die Lage völlig falsch geschildert. Die Kritik richtete sich gegen den ideologischen Kern der Reform und die Einführung einer veraltetenden Schulstruktur aus Zeiten des realexistierenden Sozialismus.

    • @36387 (Profil gelöscht):

      Ja. "Frau - Dunkel war der Rede Sinn…"

       

      (was insoweit schillernd paßt - ;)

      als viele Lesser - denen ich im

      Thüringischen begegnet bin -

      Schmied waren!;)

  • Ja, es ist für viele unverständlich warum in der Schule gelernt werden soll. Namen tanzen und widerliche Sachen lieben lernen ist doch viel einfacher.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @Egon Olsen:

      Also die polnischen Schulen vor der Reform mit den deutschen sonderpädagogischen Waldorfschulen gleichzusetzen zeugt von einer absoluten Unkenntnis der Situation in Polen.

  • Sorry, sind wir hier bei einer "Linkszeitung"? Dann würde man doch denken, dass eine gemeinsame Lernzeit eigentlich nicht lang genug sein kann. V.a. für jemanden, der aus einem Land kommt wo sie einer der kürzesten auf der Welt ist - nämlich 4 Jahre. Der Zusammenhang zwischen dieser Zeit und dem Bildungserfolg *unabhängig* vom Elternhaus liegt statistisch auf der Hand.

     

    Dass Frau Lesser jetzt versucht aus der Verlängerung der polnischen Grundschule auf 8 Jahre irgendeinen konservativ-postkommunistischen Kramm zu machen, zeugt von einer gewissen ideologischen Verblendung - aus der konservativen Ecke kann und darf halt nichts gutes kommen. Zumindest in diesem Fall ist das falsch, Frau Lesser.

    • 4G
      4845 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      Ist Ihnen vielleicht in den Sinn gekommen, dass die alten Schulstrukturen aus der Zeit des Kommunismus nicht mehr zeitgemäß sind und nicht mehr den heutigen Herausforderungen an die Jugend gerecht werden?