Bildungsministerin Münch über Haasenburg: „Die Vorwürfe umfassend aufklären“
Ich kann die Heime nicht willkürlich schließen, sagt Brandenburgs Bildungsministerin Münch (SPD). Sie sucht nach belastbaren Gründen, um die Heime zuzumachen.
taz: Frau Münch, Sie haben den Aufnahmestopp für die Haasenburg GmbH bis Ende August befristet. Nimmt die Firma ab September wieder Kinder auf?
Martina Münch: Es gibt dazu noch keine abschließende Entscheidung. Es finden derzeit noch intensive Gespräche statt, unter anderem mit den belegenden Jugendämtern.
Meinen Sie, dass Sie diese Ämter, die seit Jahren die Haasenburg belegen, nun sagen: Diese Einrichtung geht gar nicht?
Darum geht es nicht. Es geht darum, Informationen zu bekommen, wie die kommunalen Jugendämter den Träger erleben, welche Erfahrungen sie gemacht haben und ob ihnen dort besondere Dinge aufgefallen sind.
Die taz hat mit 20 Jugendlichen gesprochen. Alle sagen, die Haasenburg hat ihnen geschadet.
Ich hoffe, dass diese Jugendlichen sich an uns, die Staatsanwaltschaft oder die unabhängige Untersuchungskommission wenden, damit wir klären können, was dort passiert ist. Es entspricht aber übrigens generell den Ergebnissen, die wir von therapeutischen Maßnahmen kennen, dass man nie 100 Prozent Erfolg hat.
Jahrgang 1961, ist Bildungsministerin von Brandenburg. Die Medizinerin stieß im Jahr 1978 zur SPD. Zwei Tage nach der taz-Enthüllung über die Machenschaften der Haasenburg GmbH verkündete Münch die Berufung einer Untersuchungskommission. Später erließ sie einen Belegungsstopp für die Heime der Firma, der bis Ende August gilt. In diesen Tagen entscheidet das Ministerium, ob der Belegungsstopp aufrechterhalten wird. (taz)
Einer der Jungen, der aus dem Heim geflüchtet war, berichtete, sein Arm sei ausgekugelt worden. Das ist jetzt Wochen her. Haben Sie eruiert, ob es stimmt?
Bisher konnten sich nicht alle Vorwürfe zweifelsfrei bestätigen lassen. Hier warten wir auf die staatsanwaltlichen Erkenntnisse.
Das soll ja bei einer Antiaggressionsmaßnahme geschehen sein. Viele Jugendliche berichten uns, dass diese Maßnahmen eben nicht nur zur Gefahrenabwehr durchgeführt werden. Wird es der Haasenburg weiter erlaubt, Jugendliche zu begrenzen?
Nein, Antiaggressionsmaßnahmen sind keine legitimen Erziehungsmaßnahmen. Sie dürfen nur ausnahmsweise eingesetzt werden, wenn Jugendliche sich selbst oder andere gefährden. Wenn sich das anders herausstellt, ist das eine andere Sachlage.
Sie haben eine Kommission eingesetzt und fordern von Kindern Beweise. Gleichzeitig gibt es bereits zahlreiche Ermittlungsverfahren. Wann treffen Sie als Ministerin eine Entscheidung und sagen: Jetzt reicht es mir?
Ich habe nach den ersten konkreten Vorwürfen zu kindeswohlgefährdenden Vorfällen in den Heimen der Haasenburg Anfang Juli Beschäftigungsverbote und einen Belegungsstopp verhängt. Aber wir leben in einem Rechtsstaat. Auch ich als Ministerin muss mich an Recht und Gesetz halten und brauche belastbare Gründe, um eine Jugendhilfeeinrichtung zu schließen – ich kann nicht einfach willkürlich entscheiden, diese Einrichtung zu schließen.
Wieso, die Gründe existieren doch?
Ich muss zunächst nachweisen, dass aktuell in einer Einrichtung die dort untergebrachten Jugendlichen gefährdet sind. Und dann muss ich nachweisen, dass der Träger nicht willens oder nicht in der Lage ist, diese Missstände abzuschaffen. Wenn es Beweise gibt, dass Kinder ohne Grund einer Antiaggressionsmaßnahme ausgesetzt wurden, dann könnte das ein Grund sein.
Wir haben einen Jugendlichen interviewt, der das berichtet, und danach ihr Ministerium befragt. Daraufhin hieß es, sie hätten die Mitarbeiter der Haasenburg befragt, und die hätten das nicht bestätigt. Wie sollen die Kinder das beweisen, die haben ja im Heim keinen Anwalt dabei?
Bereits der konkrete Vorwurf eines Jugendlichen gegen einen Erzieher hat sofortige Konsequenzen. Genau deshalb ist es ja auch zu den aktuellen Beschäftigungsverboten gekommen. Natürlich müssen wir auch den Beschuldigten die Möglichkeit zur Stellungnahme geben.
Als Ministerin könnten Sie ja auf die Idee kommen, dass Begrenzungen und Fixierliegen eben kein adäquates pädagogisches Konzept im Jahr 2013 darstellen.
Von Dingen, die Jahre zurückliegen, kann ich keine aktuelle Entscheidung ableiten. Fixierliegen sind seit Jahren verboten – und waren übrigens auch nie Bestandteil der Genehmigung. Und Begrenzungen sind immer nur die Ultima Ratio bei Fremd- oder Eigengefährdung.
Es gibt so etwas wie den Geist einer Einrichtung.
Genau deshalb haben wir die Untersuchungskommission eingesetzt: Wir wollen wissen, wie sie das Konzept bewerten und wie der pädagogische Alltag in den Einrichtungen der Haasenburg aussieht.
Aber es gibt auch Verantwortung für die Vergangenheit, für jene Jugendlichen, die vor wenigen Jahren diese Dinge erlebten. Um Hilfe und mögliche Entschädigung.
Aber zunächst müssen wir die Vorwürfe möglichst umfassend aufklären. Allerdings glaube ich nicht, dass die Probleme der Jugendlichen nur auf ihre Zeit in dieser Einrichtung zurückgeführt werden können. Die Haasenburg ist für viele nur die letzte Station gewesen.
Die Vorwürfe sind dem Landesjugendamt seit 2006 bekannt. Die Kinder und Jugendlichen berichten über sehr drastische Erlebnisse.
Nur ein Teil der jetzigen Vorwürfe war dem Landesjugendamt bekannt. Bestimmte Dinge, wie der Einsatz von Fixierliegen, die Videoüberwachung oder die umfassende Postkontrolle, waren nie Teil der offiziellen Betriebserlaubnis.
Warum reagiert ein Hamburger Jugendamt nicht, wenn ein Junge berichtet, ihm wird wehgetan?
Da müssen Sie das Hamburger Jugendamt fragen. Begrenzung ist eine extreme Maßnahme, wenn ein Kind um sich schlägt und tritt.
Die Kinder sagen eben, sie hätten nicht geschlagen.
Diesen Vorwürfen gehen wir gerade nach.
Sie erhalten aber nur kurze Meldungen solcher Vorfälle, nicht die vollständigen Protokolle. Diese Meldungen sind in sich rechtfertigend. Lesen Sie diese Protokolle und reden mit den Jugendlichen, ergibt sich ein anderes Bild. Warum fordern Sie nicht regelhaft alle Protokolle an und nehmen Ihre Verantwortung wahr?
Im Einzelfall werden solche Protokolle auch angefordert, und es gibt Gespräche vor Ort.
Die Fixierliegen sind erst 2010 verboten worden. Die gab es aber schon länger. Das Landesjugendamt hat nichts von den Liegen gewusst?
Doch – deswegen wurde der Einsatz von Fixierliegen auch untersagt.
Wie kann es sein, dass das Amt diese Liegen fünf Jahre übersieht?
Das muss mit dem Landesjugendamt geklärt werden, welche Art von Begehungen es dort genau gab. Hier erwarten wir auch Hinweise von der Untersuchungskommission.
Uns liegt ein Dokument vor, in dem die Sorgeberechtigten unterschreiben sollten: „Das Fixierbett wurde besichtigt“.
Dieses Formular kenne ich nicht. Es spielt nur auf der Ebene zwischen der Einrichtung, den kommunalen Jugendämtern und den Sorgeberechtigten eine Rolle. Ich wiederhole es noch mal: Für den Einsatz von Fixierliegen gab es keine Genehmigung.
Die Aufsichtsbehörde kennt diese Erklärungen nicht?
Nein.
Hat Ihre Behörde geschlampt?
Dafür habe ich derzeit keine Hinweise. Das Landesjugendamt ist viel häufiger in der Haasenburg gewesen als in anderen Jugendhilfeeinrichtungen und hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Auflagen erteilt. Man kann beim besten Willen nicht sagen, dass das Landesjugendamt untätig gewesen wäre. Ob aber auch im Rückblick alles immer optimal gelaufen ist, werden wir prüfen und erwarten hier auch eine Einschätzung der Untersuchungskommission. Aber ich muss auch mal anmerken, wenn man Ihre Berichte liest, dann klingt es, als ob die Jugendlichen alle harmlos wären. So ist es doch nicht.
Die Kinder sind nicht wie vielfach dargestellt alle Kriminelle. Sie sind nicht auf Grundlage des Strafgesetzbuches in dieser Einrichtung.
Absolut richtig. Was man aber nicht vergessen darf: Diese Jugendlichen haben meist ein schweres persönliches Schicksal mit Gewalt-, Missbrauchs- und Drogenerfahrungen und sind selbst zum Teil auch straffällig geworden. Jugendliche, die in Einrichtungen wie die Haasenburg kommen, werden in anderen Einrichtungen gar nicht mehr genommen. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass diese Heime ein rechtsfreier Raum sein dürfen. Man muss aber die Möglichkeit haben, die Kinder vor sich selbst zu schützen.
Woher wissen Sie, dass die Selbstgefährdung tatsächlich passiert?
Weil es dazu in den Berichte zahlreiche Indizien und Hinweise gibt.
Die Kinder bräuchten Anwälte, um ihre Interessen durchzusetzen. Die können sie sich in der Regel nicht leisten.
Deswegen gibt es ja die Hotline.
Deren Nummer nur in einer alten Pressemitteilung zu finden ist …
… die man auf der Seite des Ministeriums problemlos findet – ebenso wie die Nummer der Untersuchungskommission.
Die ist nur Montag vormittags erreichbar.
Alle Mitglieder der Kommission sind neben ihrer Tätigkeit dort auch noch berufstätig – man kann aber seine Nummer hinterlassen und wird dann zurückgerufen.
Es handelt sich um traumatisierte Jugendliche.
Sie können sicher sein, dass wir in den kommenden Tagen dazu eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen werden.
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