Bildungsforscher über Hauptschulen: "Schulen sind ein harter Standortfaktor"

Der Bildungsforscher Ernst Rösner über den Bedeutungsverlust der Haupt- und Realschulen.

Bald überflüssig? Hauptschulen werden immer leerer. Bild: photocase/clafoutis

Herr Rösner, die Hauptschule hat die Schwindsucht. Wieso eigentlich?

Ernst Rösner: Ganz einfach, weil Eltern ihren Kindern den besten Abschluss ermöglichen wollen. Das ist ja auch völlig richtig in einer Welt, die technisch immer anspruchsvoller wird und in der die einfachen Berufe aussterben. Die Hauptschule bietet eben nur den qualifizierenden Abschluss. In vielen Fällen nicht mal diesen. Daher ist es für Eltern nur noch eine Notfalloption, ihr Kind an der Hauptschule anzumelden. Von wenigen Regionen abgesehen, geht dort niemand mehr freiwillig hin.

Aber warum verschärft sich dieser Prozess so rasant? Selbst in Bayern sind hunderte Hauptschulen zugesperrt worden.

arbeitet am Dortmunder Institut für Schulentwicklung. Der Forscher leitet dort die Abteilung "Qualitätsentwicklung im Bildungswesen".

Die Hauptschule verliert seit 40 Jahren Schüleranteile. Sie hatte mal 70 Prozent eines Jahrgangs, heute gehen teilweise weniger als 10 Prozent dorthin. Der beschleunigte Verfall hat damit zu tun, dass es einfach weniger Kinder gibt. Bei sinkenden Schülerzahlen hat das Gymnasium verständlicherweise die besten Karten, seinen Bestand zu halten - indem es im Revier der Realschulen wildert. Und die Realschulen warben schon immer Hauptschüler ab. Nur, da ist heute nicht mehr viel zu holen.

Die Politik in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg versucht die Hauptschule zu retten.

Meines Erachtens kann man die Hauptschule politisch nicht gegen den Willen der Eltern am Leben erhalten. Das zeigen die letzten Jahre. Egal was die Landesregierungen unternehmen, um die Hauptschule aufzuwerten, Profilschärfungen, Umbenennungen oder sogenannte Fitnessprogramme, die Hauptschule ist eine in der Bevölkerung nicht mehr akzeptierte Schulform. So stand es kürzlich sogar in einem Papier der CSU - intern, versteht sich.

Was kann man also tun?

Man muss den Eltern genau die Möglichkeiten für Abschlüsse bereitstellen, die sie wollen, und zwar wohnortnah.

Was heißt das?

Eine Schule am Ort muss immer auch gymnasiale Standards anbieten. Die Leute wollen den Fuß in der Tür haben, dass ihr Kind das Abitur macht. Manche Bundesländer führen Haupt- und Realschulen zusammen. Meiner Ansicht nach kann man aus zwei Verliererschulen nicht eine Gewinnerschule machen. Schauen Sie nach Schleswig-Holstein - dort wollen die Gemeinden vorzugsweise die Gemeinschaftsschule, die auch das Abitur anbieten kann. Und sie meiden die Regionalschule, die Haupt- und Realschule verbindet.

Kann man Haupt- und Realschüler gemeinsam unterrichten?

Diese Schülerkategorien sind doch ohnehin künstlich, es gibt sie nur in unseren deutschen Köpfen. Aber selbst bei uns gibt es viele Schulen, die mit heterogenen Lerngruppen hervorragende Ergebnisse erzielen.

Wie geht die nordrhein-westfälische Landesregierung mit der Krise um?

Sie hält in eiserner Treue an ihrem Schwur fest, in dieser Legislaturperiode das gegliederte Schulsystem nicht anzutasten. Mit der Verbundsschule hat sie nur einen kleinen Schritt getan, um einzelne Haupt- und Realschulen zusammenzuführen.

Und was machen jetzt die Bürgermeister vor Ort?

Die interessieren sich nicht für Durchhalteparolen für die Hauptschule. Die sagen, wir brauchen eine Schule mit allen Abschlüssen vor Ort. Für die ist die Schule im Dorf ein knallharter Standortfaktor. Ohne Schule keine zuzugsbereiten Familien und keine erfolgreiche Wirtschaft. Meine These ist: In Nordrhein-Westfalen wie auch in Bayern wird den Regierungen ihre Schulpolitik um die Ohren fliegen, weil die Bürgermeister nicht mehr mitspielen. Denen sind die Schulen wichtiger als ihr Parteibuch.

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