Bildung und Migration: Wenn Neuköllns Eltern Stress machen

In einem gentrifizierten Berliner Kiez treffen an einer Brennpunktschule Eltern mit und ohne Kopftuch aufeinander. Alle wollen nur das Beste.

Die Rütli-Schule hat Neuköllner Bildungsschwierigkeiten bekannt gemacht. Bild: reuters

Der Weg in die Segregation an deutschen Schulen zeigt sich manchmal an interessanten Stellen. Zum Beispiel auf einer Webseite – einer institutionellen. Das am meisten abgefragte Schulmerkmal auf den Internetseiten der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft war im Sommer 2012 die Zusammensetzung der Schülerschaft, ergab eine Auswertung des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Man könnte auch sagen: Der Anteil der Schüler mit Migrationshintergrund.

Eine der Folgen: Laut dem Sachverständigenrat besuchen in deutschen Großstädten fast 70 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund eine segregierte Grundschule, also eine Schule, an der die Kinder nicht deutscher Herkunft in der Mehrheit sind. Bei den Kindern ohne Migrationshintergrund sind es nur rund 17 Prozent. In manchen Berliner Grundschulen liegt der Zuwandereranteil drei Mal so hoch wie der Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in dem jeweiligen Schulbezirk. Eine Situation, die insbesondere in Bezirken vorkommt, die am stärksten von Gentrifiezierungsprozessen betroffen sind.

Viele Eltern ziehen um oder melden ihr Kind bei Verwandten, um der behördlichen Schulzuweisung zu entkommen. Unter ihnen sind auch Eltern mit Migrationshintergrund, die Schulen mit hohem Migrantenanteil meiden. Andere entscheiden sich für einen anderen Weg.

Für die Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 22./23. Februar 2014 hat taz-Bildungsredakteurin Anna Lehmann deutsche Akademikereltern getroffen, die ihre Kinder gezielt an einer Brennpunktschule in Berlin-Neukölln angemeldet haben. Manche, weil die Evangelische Schule, an die sie eigentlich gewollt hätte, sie zunächst ablehnte. Die Eltern gründeten eine Initiative namens „Kiezschule für alle“, sie luden Bildungspolitiker ein, das Fernsehen kam. Was die Initiative übersah: Es gab schon einen anderen Elterntreff. Den hatte ein türkischer Vater ins Leben gerufen. Eine Auseinandersetzung ums gemeinsame Lernen begann. Dabei teilen doch alle dasselbe Ziel: Sie wollen nur das Beste für ihr Kind.

Historisch getrennte Aufträge

Was passiert, wenn Bionade-Eltern und Kopftuchmütter eine Schule retten wollen - allerdings nicht immer gemeinsam? Wie der Wunsch nach Integration wirklich Wirklichkeit wird, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Februar 2014 . Außerdem: Was macht einen Pädophilen aus? Ein Interview mit dem Sexualwissenschaftler Peer Briken. Und: Wie die Westukraine gegen die Machthaber in Kiew kämpft. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Wenn es darum geht solche Konflikte zu lösen oder zu vermeiden, spielen die Lehrer eine besondere Rolle. Es gibt allerdings noch nicht ausreichend gute und funktionierende Konzepte, damit Lehrer die Eltern einbinden können, beklagt die Professorin Nele McElvany vom Institut für Schulentwicklungsforschung IFS an der TU Dortmund gegenüber der taz. „Historisch wurde die Schule als Ort gesehen, der einen eigenen Auftrag hatte, nämlich den Lern- und Bildungsauftrag, während die Erziehung im Elternhaus geschah. Der Auftrag - und damit auch die Arbeit - waren getrennt“, sagt McElvany.

So habe die Schule in Deutschland lange funktioniert. „Dass das gemeinsam auch geht, dass man miteinander reden und gemeinsame Konzepte entwickeln muss, wenn man zusammen agiert, ist für die deutsche pädagogische Landschaft noch vergleichsweise neu“, fügt sie hinzu.

„In der Ausbildung der Lehrer spielt die Elternarbeit eine wirklich geringe Rolle. Das Thema taucht zwar in den Standards der Kultusministerkonferenz für die Lehrerausbildung auf, aber die Zusammenarbeit mit den Eltern ist ein vergleichsweise kleiner Punkt. Umgekehrt ist auch von Seiten der Eltern die Zusammenarbeit mit den Schulen manchmal begrenzt“

Zu wenig Migranten als Lehrer

McElvany plädiert dafür, das Thema in die Lehrerausbildung verstärkt aufzunehmen, „um die angehenden Lehrerinnen und Lehrer dafür zu sensibilisieren, welche Chancen es gibt, wenn sie eng mit den Eltern zusammenarbeiten und möglichst konkrete Konzepte mit ihnen besprechen, statt die Eltern nur als möglichen Störfaktor wahrzunehmen“.

Die Wissenschaftlerin findet es erstaunlich, wie gering der Anteil der Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund immer noch ist. „Natürlich wäre es schön, noch mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund zu haben, auch als Vorbild für die Kinder, aber ich denke nicht, dass man damit alle Probleme löst. Es ist eher eine Frage von allgemeinen Konzepten und von

der Finanzierung. Die Einstellung, wir nehmen ein paar Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund mehr und sie regeln dann alles, ist keine erfolgversprechende Variante.“

Überengagierte Helikopter-Eltern

Was ist, wenn sich Eltern zu sehr engagieren und das zu Konflikten führt? „Das ist eine zentrale Frage: Reicht es, wenn man nebeneinander auf die gleiche Schule geht oder ist das Ziel tatsächlich, miteinander an eine Schule zu gehen? Der zweite Schritt geht weiter: Hat die Schule ein Konzept für ein Miteinander auf allen Ebenen, also für ein Miteinander der Kinder und für ein Miteinander der Eltern?“, sagt McElvany.

Man profitiere von der Unterschiedlichkeit erst, wenn man sich begegnet, gemeinsam etwas macht und sich miteinander austauscht, glaubt die Forscherin.

Sollten deutsche Eltern ihre Kinder gezielt an Schulen mit hohem Migrantenanteil schicken?

„Ja“, findet McElvany, „aber unter der Voraussetzung, dass sich die Schulen mit sinnvollen pädagogischen Konzepten um alle Schulerinnen und Schüler kümmern, sonst wird das nicht funktionieren. Alle können von der Heterogenität der Schülerschaft profitieren, wenn es im Unterricht gelingt, auf diese Heterogenität entsprechend einzugehen. Je heterogener die Schülerschaft, desto heterogener muss auch der Unterricht sein.

In der Neuköllner Schule, die Bildungsredakteurin Anna Lehmann besucht, muss der Streit erst eskalieren, bevor sich die Eltern langsam wieder annähern. Bevor die, die sich gegenseitig Kopftuchmütter und Studenteneltern nennen, sich beginnen zu verständigen.

Was kann man dafür tun, dass die Utopie des gemeinsamen Lernens Wirklichkeit wird? Ist ein zu aktives Engagement der Eltern in den Schulen manchmal sogar schädlich? Und was bringen dabei Begriffe wie „bildungsnah“ und „bildungsfern“? Brauchen wir die überhaupt noch?

Diskutieren Sie mit!

Die Titelgeschichte „Die Helikopter-Eltern von Neukölln“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 22./23. Februar 2014.

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