Bildung im Berliner Doppelhaushalt: Echte Teilhabe kostet mehr
Das neue Programm „Berlin Challenge“ soll Schulen in Brennpunkten auf Erfolgskurs bringen. Aber Grundsatzfragen können nicht mit Geld gelöst werden.
Es gibt eine Dauerbaustelle in der Bildungspolitik, sie heißt Teilhabe. Und auch den durchaus üppigen Bildungshaushalt – Senatorin Sandra Scheeres (SPD) hat den größten Etat aller Senatsverwaltungen – den das Abgeordnetenhaus heute beschließen will, wird nichts daran ändern, was die jüngsten Pisa-Ergebnisse mal wieder mit leider schon gewohnt schockierender Deutlichkeit gezeigt haben: Die Herkunft wird wichtiger, und wenn das Schulsystem irgendwo besser wird, dann darin, Kinder zu selektieren. Hier die, die dank solventem und bildungsfixiertem Elternhaus alle Möglichkeiten haben. Dort die anderen.
Insofern muss sich natürlich gerade eine rot-rot-grüne Koalition wie die im Berliner Abgeordnetenhaus fragen lassen, was sie gegen diese Dauerbaustelle tut. Und ob sie etwas tut.
Die Antwort: Sie tut etwas. Aber nicht alles kann man sich mit Geld kaufen.
Da ist zum Beispiel das nagelneue Programm „Berlin Challenge“. 10 Millionen Euro sind dafür im insgesamt rund 9 Milliarden Euro schweren Bildungshaushalt 20/21 vorgesehen, der damit um rund 1,6 Milliarden Euro üppiger ausfällt als im letzten Doppelhaushalt. Die Zielstellung, so steht es in der Begründung für den Haushaltstitel: „Schulen mit hohem Anteil sozial benachteiligter Schülerinnen und Schüler bei der Schulentwicklung zu unterstützen.“
Das ist freilich kein neues Ziel, dasselbe versucht das sogenannte Bonusprogramm für „Schulen in schwieriger Lage“ schon seit Längerem – mit mäßigem Erfolg. Eine Begleitstudie kam 2017 zu dem Ergebnis, dass sich zwar das Schulklima durch mehr Schulsozialarbeit und ein Budget für Sonderprojekte aller Art meist positiv verändere. Aber tatsächlich änderte sich an den „harten Zahlen“ zu Schulgewalt, Schulabbrechern und auch an den Ergebnissen der Vergleichsarbeiten an einzelnen Schulen vielleicht ein bisschen etwas, unterm Strich aber nichts.
Der Umfang 31.084.490.500 und 32.348.881.800. So viele Euros umfasst der Etat des Landes Berlin für das nächste und das übernächste Jahr. Das sind rund 3 Prozent mehr als im aktuellen Haushaltsjahr. Den größten Posten machen mit rund 17 Milliarden Euro jährlich die Sachausgaben aus, also alles vom Bleistift bis zur Kinderbetreuung und sonstigen Sozialausgaben. Gut 10 Milliarden, also knapp ein Drittel, sind für das Personal des Landes fällig.
Die Investitionen Für die Investitionen – etwa Schulen ausbauen, Brücken reparieren, Wohnungen kaufen – sind im nächsten Jahr 2,4 Milliarden Euro vorgesehen, im übernächsten sogar rund 2,8 Milliarden. Das ist rund eine Milliarde mehr als noch 2018 und damit eine Verdoppelung der Investitionen binnen drei Jahren.
Im Einzelnen Im Ranking der elf Senatsverwaltungen hat das Ressort für Bildung, Jugend und Familie mit über 4,5 Milliarden Euro den größten Einzelhaushalt, gefolgt vom Regierenden Bürgermeister mit dem bei ihm angesiedelten Wissenschaftsressort (mit den Hochschulen und der Charité) und der Innen- und Sportverwaltung mit jeweils 2,5 bis 2,6 Milliarden Euro.
Am 12. Dezember will das Parlament den Haushalt final beschließen. (sta)
Endlich mal handfeste Ergebnisse
Deswegen, sagt die SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić, die die „Challenge“ mit verhandelt hat, solle das neue Programm den Schulen auch verbindliche „Entwicklungsziele“ vorgeben: mehr Entlastungsstunden fürs Kollegium, Geld für Sprachförderung etc. gegen endlich mal handfeste Ergebnisse, das soll der Deal sein.
Zwanzig Schulen in Mitte, Neukölln, Spandau und Marzahn-Hellersdorf sollen sich die 10 Millionen teilen, macht 500.000 Euro pro Schule. Die Schulen können sich freiwillig bewerben, als Sozialindikator denke man an eine Größenordnung von rund 70 Prozent SchülerInnen mit Berlin-Pass, sagt Lasić. Die Millionen sind schön, das Programm kann nicht schaden, wird den Schulen vermutlich sogar helfen. Wird es am Grundproblem etwas ändern, dass unser Schulsystem ein selektives ist? Nein.
Aber da sich weder die Sozialdemokraten noch die Grünen ernsthaft trauen, die Gymnasien zugunsten einer Schule für alle infrage zu stellen, muss man die Schulen, die man hat, mit möglichst viel Geld besser machen und die Nebenwirkungen dieses selektiven Schulsystems lindern.
Lasić sagt, es gebe inzwischen „Inseln, die sich der inklusiven Beschulung entziehen“. Sie meint damit „einige Gymnasien“, aber auch die freien Schulen, die einen wachsenden Anteil der Schulplätze in Berlin ausmachen.
Die echte „Berlin Challenge“ ist also eine politische Frage. Oder anders gesagt: Teilhabe ist teurer als 10 Millionen Euro.
Leser*innenkommentare
Devil's Advocate
Schade, dass der Artikel nicht darlegt, welche tatsächlicjen Probleme aufgrund der Existenz von Gymnasien gesehen werden.