Bilanz zur Entwicklungspolitik: Mehr Geld, mehr Jobs – mehr Show
Im entwicklungspolitischen Bericht zieht Minister Gerd Müller Bilanz. Kritiker ärgern sich über seine „Selbstinszenierung“.
Der Bericht ist eine Art Weißbuch der Entwicklungspolitik und erscheint alle vier Jahre. In ihm zieht Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) eine erste Bilanz zu seiner Amtszeit. Entwicklungspolitik sei wichtiger denn je, die Themen „im Zentrum der Politik“, sagte Müller bei der Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag.
Dem Bericht zufolge hat sich Müllers Ministerium besonders dabei hervorgetan, mit 14 Innovationszentren die Erträge und wirtschaftliche Situation von 800.000 Kleinbauern zu verbessern. Für Bildung und Beschäftigung von Flüchtlingen habe das Ministerium in den vergangenen Jahren 10 Milliarden Euro ausgegeben und mit der „Beschäftigungsinitiative Nahost“ bis Ende 2016 für Jobs für mehr als 60.000 Menschen gesorgt. Der Minister hebt auch seine Bemühungen für einen gerechten Handel hervor – so etwa das Textilbündnis. Das hatte Müller 2014 gegründet, um für bessere Arbeitsbedingungen und ökologische Standards in den Textillieferketten zu sorgen.
Doch von Anfang an gab es Ärger: Das Bündnis startete ohne die größten Unternehmen. Zwar sind mittlerweile auch viele Textilriesen unter den Mitgliedern, doch die Anforderungen gehen Aktivisten nicht weit genug.
Kritik an fehlender Verbindlichkeit
Wenig Verbindlichkeit – deswegen kritisiert der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uwe Kekeritz, das Bündnis als „Geschenk an die Industrie“. Seiner Ansicht nach war die Amtszeit Müllers bisher „geprägt von Selbstdarstellung und medialen Blitzlichtgewittern“.
Leider setzten das Entwicklungsministerium und die Bundesregierung „zu häufig auf freiwillige Lösungen und den guten Willen“, erklärte Bernd Bornhorst, Vorsitzender des Entwicklungs-Dachverbandes Venro. Müller „hat in den vergangenen Jahren wichtige Themen gesetzt, aber bei der Umsetzung hapert es immer wieder“.
Bernd Bornhorst, Venro
Für Aufmerksamkeit hat der Entwicklungsminister tatsächlich gesorgt, nicht zuletzt mit seinem „Marshallplan für Afrika“, den er sich als Errungenschaft in die Bilanz schreibt. Dieses Zukunftskonzept hatte der Minister im Januar vorgestellt.
Im Marshallplan setzt sich Müller unter anderem für „entwicklungsfreundliche Handels- und Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ ein. Als Minister aber stützte er die umstrittenen EPA-Abkommen mit afrikanischen Staaten. „Sie hatten vier Jahre Zeit, die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu stoppen“, warf ihm die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken, Heike Hänsel, vor. „Ein Veto der Bundesregierung auf EU-Ebene hätte gereicht.“
Das große Ziel der Welt ohne Hunger
Ihr Parteikollege Niema Movassat blickt auch auf das große Ziel Hungerbekämpfung mit Skepsis: Müller lege einen Fokus auf Privatkonzerne in der Entwicklungszusammenarbeit. So sei eine Welt ohne Hunger nicht zu schaffen.
Unter anderen Umständen hätte Müller sich wohl besonders für einen Punkt feiern können: Im vergangenen Jahr hat Deutschland erstmals das seit fast 50 Jahren bestehende Ziel erreicht, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Allerdings machen einen großen Teil davon Ausgaben etwa für Unterbringung und Verpflegung aus – im Inland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin