Bilanz des Mietendeckels in Berlin: Es ist angerichtet
Wenige Anzeigen zur Mietabsenkung, laut einem Immobilienportal aber sinkende Mieten: was der Mietendeckel in Berlin bisher bewirkt hat.
Seit am 23. November 2020 die zweite Stufe des „Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen“ (MietenWoG) – kurz Mietendeckel – in Kraft trat, müssen Mieten, die über der Deckelungsgrenze liegen, gesenkt werden. Ob dies tatsächlich geschieht, weiß jedoch niemand – und laut Katrin Dietl, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, kann es auch niemand kontrollieren, da keine Behörde die Konditionen einzelner Mietverträge kenne.
So ist die Mietsenkung eine Sache zwischen Vermieter und Mieter: Erstere müssten von sich aus die Miete senken. Wenn das nicht geschieht, der Mieter aber meint, Anspruch auf Mietsenkung zu haben, muss er (oder sie) selbst aktiv werden – ein Aspekt des MietenWoG, den viele Befürworter des Gesetzes durchaus kritisch sehen.
Einfach selber die Miete zu senken, sei jedoch nicht ratsam, sagt der Mieterverein – besser stellt man eine „Anzeige zur Mietabsenkung“ bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Bis 20. Januar haben dies 1.277 BerlinerInnen getan. Das klingt nicht viel, schließlich müssten nach Schätzung von SenStadt auf Basis des Berliner Mietspiegels rund 340.000 Haushalte vom Deckel profitiert haben, der Berliner Mieterverein kommt sogar auf 365.000.
Geschäftsführer Reiner Wild geht davon aus, dass viele Vermieter ihrer Pflicht zur Mietsenkung bislang nicht gefolgt sind: „Wir wissen aus unserer Beratung, dass gerade Klein- und Einzelvermieter das nicht machen.“ Auch bei Großvermietern gebe es schwarze Schafe. „Eine Menge Vermieter setzen auf die Unkenntnis der Mieter“, so Wild. Häufig müssten Mieter auch um die Ausstattungsmerkmale ihrer Wohnung streiten, denn „hochwertige“ Bodenbeläge oder Sanitäreinrichtungen ermöglichen Vermietern einen Aufschlag auf die erlaubte Miete.
Klagen von Vermieterorganisationen wie Haus und Grund, bei den gedeckelten Preisen könne man kaum noch notwendige Instandsetzungsarbeiten bezahlen, weist Wild zurück. Zwar begrenze der Deckel in der Tat die Renditen der Wohnungswirtschaft, das sei ja auch „erwünscht“. Aber: „Wir dürfen nicht vergessen, dass in den letzten 10 Jahren die Immobilienvermögen auch durch die Mieterhöhungen massiv angestiegen sind. Hier einen ‚Cut‘ einzuführen, dürfte die Wirtschaftlichkeit nicht gefährden.“ Zudem seien ab 2022 ja moderate Mieterhöhungen erlaubt. Vermieter, die sich durch den Deckel unzumutbar belastet sehen, können bei der Investitionsbank Berlin einen Härtefallantrag stellen. Bisher wurden laut IBB 981 Härtefallanträge gestellt.
So oder so ist es angeraten, die eingesparte Miete erstmal nicht auszugeben. Sollte der Mietendeckel vom Verfassungsgericht gekippt werden, werden Vermieter vermutlich den Senkungsbetrag rückwirkend nachfordern. Knifflig wird es dann für die rund 20.000 BezieherInnen von Wohngeld. Die müssen, wenn der Mietendeckel ihre Wohnkosten um mehr als 15 Prozent reduziert, beim Wohnungsamt einen „Minderungsantrag“ stellen – und einen erneuten Antrag auf Erhöhung, falls der Deckel in Karlsruhe fällt.
Auch die weiteren Auswirkungen des Deckels auf den Wohnungs- und Immobilienmarkt bleiben abzuwarten. Portale der Immobilienwirtschaft weisen seit Monaten darauf hin, das Gesetz führe zu einer Flut von Umwandlungen von Miet- in Eigentumswohnungen. Tatsächlich scheint dies – ebenso wie der anhaltende Preisboom beim Eigentum – eher ein bundesweites Problem zu sein, wie eine Studie im Auftrag der Grünen im Dezember feststellte.
Anders sieht es bei den aktuellen Mietpreisen aus. Eine Prognose des Portals Immowelt sagte am Mittwoch für dieses Jahr ein Minus von 5 Prozent bei den Angebotsmieten in Berlin voraus – entgegen dem bundesweiten Trend in Großstädten. Nachdem sie bereits 2020 um acht Prozent gesunken seien, sollen sich die Mietpreise bis zum Jahresende im Schnitt bei 8,70 Euro pro Quadratmeter einpendeln. Allerdings zeigen sich laut der Analyse auch negative Nebenwirkungen des Gesetzes: So sei der Anteil an günstigeren Bestandswohnungen am gesamten Angebot stark zurückgegangen, während der Anteil an nicht regulierten teuren Neubauwohnungen steige.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Im Gespräch Gretchen Dutschke-Klotz
„Jesus hat wirklich sozialistische Sachen gesagt“