Bier aus Einbeck: Keiner braut allein
Die Einbecker Brauerei braute eines der begehrtesten Biere der Hanse-Zeit. Die kleine Brauhaus AG muss mit dem großen Erbe umgehen.
Mit diesem E, geschnitzt, hat man einst die Fässer geschmückt, die im Spätmittelalter weltweit geliefert wurden, für gutes Gold. Fässer mit Einbecker Bier. Das E am Rathaus ist ein Markenzeichen, kein Hoheitszeichen. Noch heute ziert es Etiketten und Flaschen.
„Das ist hier eine Bierstadt“, hatte Imke Weichert vom Stadtmuseum schon am Telefon gesagt, und jetzt schließt Ulrich Meiser von der Brauhaus AG auch noch das Rathaus auf. Immerhin aber hat er den Schlüssel erst beim Standesamt holen müssen. „Ich zeig Ihnen mal was“, sagt er. Das Rathaus mit den markanten Türmen stammt aus dem 16. Jahrhundert, aus der Zeit nach dem großen Brand, aber das Kellergewölbe ist frühe Gotik.
Kühl weht es heraus und die Augen müssen sich ans Dunkel gewöhnen, in denen, Fremdkörper, jägergrüne Plastikkisten stehen: Meiser, auf dessen Visitenkarte außer dem gewichtigen Titel eines Bockbierbotschafters die lustige Kombination „Leiter Recht / PR / Export“ steht, weil in kleinen Unternehmen einer immer mehr Aufgaben übernimmt, als anfangs geplant, sagt: „Wir probieren hier etwas.“
Das Gerücht vom Old Bock
Die Brauerei will nämlich erkunden, was passiert, wenn man Bockbier unter optimalen Bedingungen altern lässt. Früher wäre es sauer geworden, aber seit man es pasteurisiert, kippt es nicht mehr so leicht. Jetzt hofft man, nein, weiß im Grunde schon, dass eine Nachreifung eintritt, ähnlich wie bei Weinen oder Bränden.
„Old Bock“ lautet der Arbeitstitel, und ja, nach fünf Jahren Liegezeit entwickelt das Malz des Winterbiers ein samtig karamelliges Spektrum, südweinartig, Sherry vielleicht. Ein Produkt für den Delikatessenhandel, in dem das Gerücht vom Einbecker Gran Riserva schon die Runde macht. „Ich habe schon Anfragen aus Australien“, sagt Meiser.
Mit Altem Neues machen, so lässt sich das Prinzip und die Herausforderung der Einbecker Brauerei beschreiben. Denn die muss mit einer Tradition umgehen, die für einen 130-Mitarbeiter*innen-Betrieb gewaltig scheint.
Vom Hochmittelalter der Hanse bis zum 30-Jährigen Krieg war Norddeutschland das Zentrum der europäischen Braukunst. Die Hanse ist ein Bündnis, um den Nord- und Ostseeraum mit Bier zu versorgen plus Hering. Einbeck aber ist Herzstück der Bierproduktion, mindestens qualitativ.
Es ist das Bier, das die Lübecker Chorherren trinken, wenn’s was zu feiern gibt – während das heimische dem Pöbel ausgeschenkt wird. Es ist das Bier, das Fürstenhöfe in rauen Mengen ordern – die älteste Urkunde ist eine Rechnung von 1378, die der Celler Vogt Brendehe geschrieben hat.
Aufstand in Braunschweig
Und es ist das Bier, für das man sich schlägt: Im Jahr 1446 kommt es in Braunschweig zum Aufstand. Die Bürger drohen, im Ratskeller einzudringen und die Fässer kleinzuschlagen, wenn nicht die Stadtherren, die den Preis festsetzen, das Einbecker so günstig verkaufen, dass man es sich leisten kann.
Einbecker ist ein Statussymbol. Ein Herrenleben zu führen, heißt in den spätmittelalterlichen Städten des Hanseraums dem Hamburger Mediävisten Stephan Selzer zufolge: „Geld besitzen, in großen Häusern leben, große Pferde reiten, auch im Alltag in Festtagskleidung erscheinen und Einbecker Bier trinken“.
Es hat geregnet und der Wind bläst böig aus Ost. Vielleicht liegt deshalb keine Hefewolke über der Stadt und kein süßlich-lastendes Malzaroma dringt in alle Poren, obwohl doch die Brauerei nur 400 Meter weg ist vom Marktplatz. Fast ein wenig irritierend, das Fehlen des Geruchs.
Aber dafür ist die Biertradition ja sonst wahrnehmbar: in der Anlage, in der Bauweise, an den Es und in allen Winkeln. Die immensen Hoftore der spätgotischen Fachwerkhäuser etwa, ihre merkwürdigen Dächer mit den löchrigen Sandstein-Gauben, die es so nur hier gibt, der Kanal, der das Wasser von der Ilme nach Einbeck abzweigt. Das alles dient dem einen Zweck: dem Brauen, dem Hopfentrocknen, dem Betrieb von vier Malzmühlen.
Fassreifen aus Weidenruten
„Das war alles durchorganisiert“, sagt Imke Weichert im Stadtmuseum. Sie hat ihren Hund mitgebracht. Der heißt Edgar, was ein Glück ist, denn es gibt ja diese Eulenspiegel-Geschichte, die in Einbeck spielt. Deren Witz besteht darin, dass der Hund Hopf heißt und er daher vom lustigen Gesellen statt des Hopfens gekocht wird, bei lebendigem Leib. Heute lacht man anders.
Der Spaniel weiß davon nichts. Er hat sich friedlich vors Fass gelegt. Es ist das Prunkstück der Sammlung, das älteste erhaltene Deutschlands, mit Fassreifen aus Weidenruten. „Aber die wurden erneuert“, so Weichert. Die Dauben sind komplett original. Ein E hat es nicht. Wie könnte es: Es ist ein Irrläufer des damaligen Recyclingsystems.
Das Bier ging nach Stockholm, Innsbruck, Uppsala oder ins heutige Tallinn. Die leeren Fässer aber wurden, weil teuer, zurückgeholt, erklärt Weichert. „Das hier ist ein Braunschweiger Fass, das der Kutscher offenbar versehentlich nach Einbeck verfrachtet hat.“ Dort hat es dann jemand privat genutzt. „Es ist eingegraben worden und hat als Kloake gedient“, sagt Weichert.
Kommunaler Eigenbetrieb
Zu einem Konzern gehörte die Brauerei nie, auch wenn’s mal knapp davor war, wie in den 90ern, als viele Brauereien aufgekauft wurden. „Wir sind nur wir“, sagt Meiser. Die geringe Größe: für ihn ein Vorteil, denn „da fällt es leichter, mal was auszuprobieren“.
Man hat gerade das erste Bier-Mixgetränk ohne Alkohol und ohne Zuckerzusätze gelauncht: „Das hat sonst keiner“, mit Traubendirektsaft vom Quasi-Nachbarn Becker’s Bester. Und man hat als eine der ersten konventionellen Brauereien auf Membran-Filtrierung umgestellt. Während fast alle Großbrauereien Mikroplastik einsetzen, kann man bei Einbecker sicher sein, kein Polyvinylpolypyrrolidon zu trinken.
Ende des 18. Jahrhunderts übertragen die Bürger ihr Braurecht auf die Stadt, „es wird ein kommunaler Eigenbetrieb“. Seit 1968 gibt es die Einbecker Brauhaus Aktiengesellschaft, börsennotiert, ein maximal langweiliges Wertpapier: Das Allzeit-Tief lag bei 8,40 im Jahr 2012, aktuell steht es 10,50 Euro und im Mai war ein Dreijahres-Hoch von etwas über elf Euro erreicht. Die Aktien sind in Streubesitz – in der Region. Etwas zum Vererben.
Wasser macht krank
Ein bisschen führt diese Unternehmensform fort, was Einbeck im Spätmittelalter den Markterfolg eingebracht hatte: Vorsprung durch Gemeinschaft, der einen Vorsprung durch Technik ermöglicht. Schließlich braut damals jeder, jeder braucht ja Bier, weil Wasser krank macht.
In Einbeck gibt es zu einer Zeit, in der nicht mehr als 7.000 Menschen in der Stadt leben, 700 Häuser mit Braurecht. Fest steht, dass die Stadt irgendwann Braupfannen angeschafft hat, mehrere, und zwar die guten, aus Kupfer, unbezahlbar für den Einzelnen. Wann das war, weiß niemand. „Von Alters her“ ist die Angabe, die sich so in den historischen Quellen findet und „die Archivalien“, sagt Weichert, „sind bei dem großen Brand von 1540 in Flammen aufgegangen“.
Diese großen Kessel, in denen das Malzschrot gekocht wird, damit sich die Stärke in Maltose verwandelt und sich im Wasser löst, werden von September bis April reihum zu den Bürgerhäusern transportiert. Dafür sind die besonders großen Tore da, die das Stadtbild prägen.
Verbot in Hamburg
Einen Tag darf jeder Haushalt mit der Pfanne arbeiten, nicht länger. Es muss gehen wie am Schnürchen. Die Reihenfolge wird ausgelost, „alle Jahre, am Tag Philippi und Jacobi“, also am 1. Mai, und zwar „auf dem Marckplatz, in Gegenwart etlicher zugeorndeten Raths-Personen, durch ein sonderliches darzu gebräuchliches Spiel“, schildert ein Bericht von 1739, „damit nieman dem andern verhinderlich waere“.
Drei Braugänge gibt es. Das erste, würzigste, stärkste, ist für den Verkauf bestimmt. Den Vertrieb übernimmt die Stadt. Es gibt auch eine Art Marketing, wobei manchmal die repressiven Maßnahmen der anderen rückblickend wie Werbung wirken: Zum Beispiel wird in Hamburg an der Stelle des alten Rathauses das Eimbeck’sche Haus errichtet.
Nur dort, in der Kleinen Johannisstraße, Ecke Dornbusch, wird vom 14. bis ins 16. Jahrhundert Einbecker ausgeschenkt. Das liegt aber daran, dass der Senat das Konkurrenzbier überall sonst verbietet. Das Gute ist schwierig zu bekommen.
„Es kann nicht nur Marketing gewesen sein“, sagt Imke Weichert. „Der Erfolg muss auch qualitative Gründe gehabt haben.“ Der Hopfenanteil? Die große Reinheit? Dass es so alkoholhaltig ist?
Industriespionage aus München
In der Literatur wird vermutet, dass eine untergärige Brauweise entwickelt wurde – anspruchsvoll, weil eine bestimmte Temperatur dabei nicht überschritten werden darf, aber plausibel, weil nur im Winterhalbjahr gebraut wird.
Und, weil die Stadt früh für einen Professionalisierungsschub gesorgt hatte: Sie schafft zehn volle Stellen für hauptberufliche Braumeister. Die werden vereidigt, wie Beamte – und müssen schwören, das geheime Bierrezept Einbecks niemandem zu verraten. „Das ist keine Legende“, betont Imke Weichert.
Mehrere Jahrhunderte hält das Geheimnis, und es hält die Preise hoch. Zu hoch: Denn als die bayrischen Herzöge auf Drängen ihrer Finanzberater anfangen, die teuren Importe infrage zu stellen, beginnt das Monopol zu bröckeln.
Im Jahr 1612 gelingt es den Wittelsbachern, einen gewissen Elias Pichler vom Solling ins Alpenvorland zu locken, als neuen Braumeister am neuen Hofbräuhaus.
Nach zwei Jahren hat er es tatsächlich geschafft, die Einbecker Brauweise zu kopieren. Der Schaden durch die Produktpiraterie stellt sich unmittelbar ein: „Da dieses Doppelbier von der gleichen Qualität war wie das echte Einbecker Bier, wurden die weiteren Bestellungen aus dieser Stadt sistiert“, heißt es in einer „Geschichte des bayrischen Biers“ von 1879. Das echte Münchner Bockbier stammt aus Einbeck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels