Bidens Einfluss auf den Nahostkonflikt: Kleiner Trost
Joe Biden wird die Not der PalästinenserInnen lindern und eingefrorene Zahlungen aktivieren. An der Lage der Menschen wird das nur wenig ändern.
V on zwei entgegengesetzten Startpositionen aus richten sich Deutschland und Israel auf eine neue Normalität der Beziehungen zu den USA ein. Während man in Berlin mit dem frisch vereidigten US-Präsidenten Joe Biden auf eine deutliche Verbesserung des bilateralen Klimas hofft, rechnet die Regierung in Jerusalem mit einer Abkühlung im Weißen Haus. Nie zuvor standen sich die beiden Führungen näher als in den vergangenen vier Jahren. Schnell wird noch der Bau von ein paar Hundert neuen Wohneinheiten im besetzen Palästina ins Rollen gebracht, bevor der neue Chef in Übersee Zeit hat, möglicherweise Protest gegen Israels Siedlungspolitik verlauten zu lassen.
Ex-US-Präsident Donald Trump war die Erfüllung von Benjamin Netanjahus maßlosesten Träumen. Dasselbe Feindbild, dieselben Methoden bilden das Fundament dieser wunderbaren Freundschaft. Trump perfektionierte den von Israels Präsident Netanjahu lange vor ihm praktizierten Populismus, die Verteufelung von KritikerInnen und rechtsstaatlichen Institutionen, das Aufwiegeln der einen gegen die anderen im eigenen Land.
Zu Trumps Zeiten musste Netanjahu keine Zurechtweisungen fürchten. Er konnte unbefangen tun, was er wollte, und wurde dafür noch belohnt, etwa mit der Anerkennung der Golanhöhen als israelischem Hoheitsgebiet. Und mit dem Jahrhundert-Friedensplan „made in USA“, der Israel weite Teile des besetzten Westjordanlandes zuspricht. Beides dürfte Netanjahu wichtige Punkte bei den beiden letzten Parlamentswahlen 2019 und 2020 verschafft haben.
In wenigen Wochen steht die vierte Wahl binnen zweier Jahre an. Netanjahu braucht diesmal nicht mit US-amerikanischer Rückendeckung zu rechnen. Zudem hat das hohe Ansehen Trumps im jüdischen Staat mit der Stürmung des Kapitols einige Kratzer davongetragen. Netanjahu, der sich bei früheren Kampagnen auf Wahlplakaten gern Seite an Seite mit dem Ex-US-Präsidenten präsentierte, tut gut daran, den Namen Trump in den kommenden Wochen nicht mehr allzu oft zu erwähnen. Innenpolitisch macht sich das nicht mehr gut, und auch mit Blick auf die künftige Zusammenarbeit mit dem neuen Chef im Weißen Haus ist Schweigen ratsam.
Susanne Knaul ist 1961 in Berlin geboren, sie hat Ethnologie und Publizistik studiert. Den Friedensprozess beobachtet sie seit 1991, von 1999 bis 2019 war sie als taz-Korrespondentin in Israel.
Israel warnt vor Lockerung der Iran-Sanktionen
Vor allem in der Frage möglicher neuer Verhandlungen mit Teheran wird Netanjahu versuchen, seinen Einfluss auf Biden stark zu machen. Israel warnt vor einer Rückkehr zum Atomvertrag mit Iran und der Lockerung von Sanktionen. Doch Biden will sich zügig mit den Partnern des 2015 unterzeichneten Abkommens beraten. Die IranerInnen zeigen sich ihrerseits nur allzu bereit zu neuen Gesprächen. Für Netanjahu sind das keine guten Nachrichten, hatte Israel mit der Annäherung an die Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Sudan doch gerade einen Etappensieg beim Aufbau einer regionalen Front gegen den Erzfeind verbuchen können.
Die PalästinenserInnen zürnten über die Abkommen ihrer Glaubensbrüder in Abu Dhabi und Manama mit der Besatzungsmacht. Sie fühlten sich verraten und verständlicherweise noch weiter ins Abseits des internationalen Geschehens gedrängt. Von viel größerer Relevanz für sie ist indes der Machtwechsel in den USA und die absehbare Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen.
Biden wird das PLO-Büro in Washington öffnen und das Konsulat der USA in Ost-Jerusalem. Er wird die Hilfszahlungen an die PalästinenserInnen, allen voran an die Flüchtlingsorganisation UNRWA, wieder aufnehmen und auf die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen Israel und der PLO drängen. Trumps Jahrhundertplan dürfte im Keller des Nationalarchivs verschwinden.
Das ist ein Trost für Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der den Trump’schen Plan für das künftige Palästina mit einem löchrigen Schweizer Käse verglich. Viel mehr ist aus Washington dann aber auch nicht zu erwarten. Abbas beeilte sich zwar, dem neuen Chef im Weißen Haus Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Doch ob sich Biden für neue Friedensverhandlungen einsetzen wird, bleibt fraglich. Zu viele seiner Vorgänger haben sich am nahöstlichen Konflikt die Finger verbrannt.
Obama zog sich aus der Region zurück
Selbst der gutmeinende Barack Obama zog sich eiligst aus der Region zurück. Seine berechtigte anfängliche Forderung an Israel, sämtliche Siedlungsaktivitäten in den besetzten Gebieten einzustellen, erwies sich sogar als kontraproduktiv. Die PalästinenserInnen machten den Siedlungsstopp zur Vorbedingung für Verhandlungen mit dem Ergebnis, dass keine mehr stattfanden. Joe Biden wird vorsichtiger sein, den Bau neuer Siedlungen allenfalls kritisieren und Israel vor einer Annexion palästinensischer Gebiete warnen. Die Agenda des neuen US-Präsidenten ist auch ohne den Nahostkonflikt ellenlang.
Überhaupt sind die PalästinenserInnen selbst an der Reihe, Ordnung im eigenen Haus zu schaffen anstatt nur dazusitzen und internationale Spendengelder zu kassieren. Im Moment wäre noch nicht einmal klar, wer Friedensverhandlungen führen sollte. Saeb Erekat, der langjährige Chefunterhändler und PLO-Generalsekretär, erlag im November den Folgen seiner Covid-19-Erkrankung.
Abbas kündigte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Beide sind seit über zehn Jahren überfällig. In Sachen Demokratie haben die PalästinenserInnen wenig Übung, und sie haben äußerst schlechte Erfahrungen damit gemacht. Die letzten Wahlen führten letztendlich zur Teilung und noch mehr Leid.
Trotzdem dürfen sie nicht tatenlos bleiben, sollte Abbas Ausreden finden, warum die Wahlen doch wieder nicht stattfinden. Es ist Zeit, die Nachfolge für den 85-jährigen Präsidenten zu klären. Und die PalästinenserInnen sollten den Fehler aus dem Jahr 2006 nicht wiederholen. Sollten sie wieder mehrheitlich für die islamistische Hamas stimmen, ist ihnen nicht zu helfen.
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