Bibliothek sammelt vielfältige Judaica: Bücher auf der Orgelempore
Die Jüdische Bibliothek Hannover bildet alle Facetten jüdischer Kultur ab. Ihren Hort hat sie in der Synagoge der Liberalen Gemeinde.
Es war eine der ersten Kirchen, die zu einer Synagoge umgebaut wurden, und bald zog das schon länger im Stadtteil ansässige Gemeindezentrum Etz Chaim (Baum des Lebens) samt Kita dorthin um. „Von Anfang an war dort auch eine Bibliothek geplant“, sagt deren Leiterin Alisa Bach. 2012 zogen die ersten Bücher ein.
Aus Nachlässen und Spenden stammen die inzwischen 10.000 Medien, und ganz explizit soll es keine innerjüdische, auch keine rein religiöse Bibliothek sein. „Wir sind eine öffentlich zugängliche Bibliothek, die möglichst alle Facetten der jüdischen Kultur abbilden möchte – sowohl religiöse als auch säkulare“, sagt Bach. Um den weltoffenen Aspekt zu betonen, wählte man nicht die Gemeinde als Betreiberin – die aber den Raum samt Betriebskosten stellt –, sondern gründete einen Trägerverein, die Israel-Jacobson-Gesellschaft.
Der Name war bewusst gewählt: Der in Braunschweig tätige Rabbiner und Bankier Israel Jacobson, Verfechter von Aufklärung und Gleichstellung der Juden, hatte 1801 im nahen Seesen die erste jüdische Reformschule gegründet, samt „Jacobstempel“, der ersten für den reformierten Ritus gebauten, Männer und Frauen gleichberechtigt behandelnden Synagoge. Bis heute gilt Seesen weltweit als Keimzelle des Reformjudentums.
Finanziell eher bescheiden
In dieser liberalen, offenen Tradition sieht sich auch die Jüdische Bibliothek Hannover: Vom Talmud über Kinderliteratur bis zum Kochbuch reicht der Bestand; Schwerpunkte sind deutsch-jüdische Geschichte, Judentum in Niedersachsen, Autobiographien Shoah-Überlebender sowie ins Deutsche übersetzte israelische Literatur. Auch Werke von Philosophen wie Maimonides, Walter Benjamin und Mordechai Kaplan lassen sich finden.
Natürlich biete man auch Standardwerke zu Holocaust, Antisemitismus und Nahostkonflikt, sagt Alisa Bach. Da diese Information aber andernorts gut zugänglich sei, bilde dies keinen Schwerpunkt. Und obwohl die meisten Medien deutschsprachig seien, habe man auch englische, jiddische, hebräische und russischsprachige Judaica.
„Letztere werden aber immer seltener genutzt, weil die jüngeren russischsprachigen Gemeindemitglieder oft besser Deutsch als Russisch lesen“, sagt Bach. Auch die sechs bis acht Kulturveranstaltungen jährlich – Lesungen und Vorträge – fänden inzwischen nur noch auf Deutsch statt.
Finanziell steht das Projekt eher bescheiden da: Die Arbeit verrichten großteils Ehrenamtliche; nur für die Aufsicht während der Öffnungszeiten hat man drei Honorarkräfte angestellt. Mehr lassen die Beiträge der 40 Vereinsmitglieder und die Spenden nicht zu. Und die 3.000 Euro, die die Bibliothek anteilig aus der Landesförderung für den „Vielsprachigen Bibliotheksverbund Babylon“ erhält, gehen in die Digitalisierung, denn man will den gesamten Bestand in einer Online-Datenbank zugänglich machen.
Breit gefächerte Judaica-Sammlung
Das Katalogisieren mussten die Ehrenamtlichen übrigens erst lernen: Alisa Bach etwa, Juristin und Sozialwissenschaftlerin, beendet gerade ihr Studium der Jüdischen Theologie und hat keine Bibliothekarserfahrung. „Da war es sehr hilfreich, dass uns die Stadtbibliothek Hannover ins Katalogisieren eingewiesen hat“, sagt sie.
Wer die Bibliothek nutzt? Bislang – neben Gemeindemitgliedern – SchülerInnen, StudentInnen und die Kinder aus der Gemeinde-Kita nebenan. Und doch wünsche man sich weit mehr als die aktuellen 400 bis 500 Ausleihen pro Jahr. „Aber wir sind nicht so bekannt, und für professionelle Öffentlichkeitsarbeit und die so wichtige Kooperation mit Schulen haben wir leider keine Kapazitäten.“
Was bedauerlich ist: Schließlich ist die Jüdische Bibliothek Hannover – neben derjenigen der Jüdischen Gemeinde Berlin und der Konstanzer Dr.-Erich-Bloch-und-Lebenheim-Bibliothek – deutschlandweit die einzige öffentliche nicht-wissenschaftliche Bibliothek, die so breit zum „jüdischen Blick auf die Welt“ sammelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!