Bezüge im Ruhestand: Gleichbehandlung umschifft
Arbeitsrechtsanwalt befürchtet, dass Arbeitern und Angestellten städtischer Behörden und Betriebe Zuzahlungen zur Altersversorgung vorenthalten werden.
HAMBURG taz | Enthält Hamburg womöglich im großem Stil ehemaligen Angestellten und Arbeitern Bezüge zur Altersversorgung im Ruhestand vor, zu deren Zahlung die Stadt nach höchstrichterlicher Rechtssprechung verpflichtet wäre? Diesen Verdacht äußert der Arbeitsrechtler Holger Thieß gegenüber der taz. „Sollte sich dies bestätigen, läge ein klarer Fall von gesetzeswidriger Ungleichbehandlung vor“, sagt er.
Inge Schmidt* war plietsch und ist nun zufrieden. Ende Januar zahlte das Personalamt per Vergleich vor dem Arbeitsgericht der ehemaligen Angestellten der Finanzbehörde 5.000 Euro nach, weil der Anteil der Stadt zu ihrer Altersversorgung falsch berechnet worden war. Denn 2007 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) verfassungsrechtliche Bedenken an der Satzung für staatliche Zuzahlungen zur Altersversorgung des Bundes und der Länder geäußert – somit auch am Hamburgischen Zusatzversorgungsgesetz (HambZVG).
Dieses war 2003 vom Schwarz-Schill-FDP-Senat geändert und die Ruhestands-Aspiranten waren in zwei Kategorien eingeteilt worden: in eine „rentennahe“ und eine „rentenferne“ Gruppe – diejenigen, die erst nach dem Juli 1948 geboren sind. Während die „rentennahen“ Ruheständler gut versorgt wurden, konnten die „rentenfernen“ durch eine komplizierte Formel aus Betriebszugehörigkeit und individuellen Komponenten nicht auf einen Geldregen im Alter rechnen.
Die Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) von 2001 regelt die Zusatzversorgung von Arbeitern und Angestellten in Behörden oder städtischen Betrieben. Das HambZVG (Hamburgische Zusatzversorgungsgesetz) wurde 2003 vom Schwarz-Schill-FDP-Senat den VBL-Vorgaben angepasst. Verfassungsrechtliche Bedenken an der VBL-Satzung äußerte 2007 der Bundesgerichtshof, denn für Beschäftigte "rentenferner Jahrgänge", die vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden, gebe es Benachteiligungen. Geändert wurde das HambZVG vom SPD-Senat aber erst 2013. Beschäftigte, die vor 2013 in den Ruhestand gegangen sind, werden offenkundig trotz der BGH-Korrektur von 2007 nicht berücksichtigt.
Inge Schmidt konnte von dem BGH-Urteil profitieren. Sie gehörte zur Gruppe der Rentenfernen, war mit 26 Jahren in den öffentlichen Dienst der Hansestadt eingetreten und hatte bei ihrem Ausscheiden im September 2008 erst 33 Dienstjahre absolviert. „Die vorgesehene Korrekturberechnung ergab, dass ein monatlicher Zuschlag von rund 20 Euro nachzuzahlen war“, sagt ihr Anwalt Thieß. Unter Hochrechnung ihrer Ansprüche habe sich seine Mandantin im Prozess mit einer Nachzahlung von 5.000 Euro zufrieden gegeben.
Doch jetzt wittern Schmidt und Thieß eine Ungerechtigkeit. „Zwar hatte das Personalamt eine Nachberechnung für alle Bediensteten angekündigt. Eine solche ist aber offensichtlich bis zum heutigen Tag unterblieben“, sagt Thieß.
2013 hatte der SPD-Mehrheitssenat das Gesetz den Vorgaben des BGH zwar angepasst. Doch für diejenigen, die nicht interveniert hatten und vor 2013 in den Ruhestand gegangen sind, wurden die Zahlungen nach dem Paragrafen 31 des HambZVG offenkundig nicht korrigiert. „Eine rückwirkende Neuberechnung aller Versorgungsfälle ist nicht vorgesehen“, sagt die Sprecherin des Personalamts, Bettina Lentz. „Die Änderung des Paragraphen 31 HmbZVG erfolgte nicht rückwirkend, sondern erst mit Inkrafttreten des Gesetzes“, sagt Lentz. Die Mitarbeiterin der Finanzbehörde habe sich schon vor Jahren – weit vor dem Inkrafttreten des geänderten HambZVG an das Personalamt gewandt, erläutert Lentz. „Deswegen ist hier der Vergleich geschlossen worden.“
Er halte es für verwerflich, wenn einer Vielzahl von Bediensteten die Erhöhung vorenthalten bleibe, erwidert Thieß. „Aus meiner Sicht ist die Rechtsauffassung des Personalamts unhaltbar.“ Thieß’ Ansicht nach wären alle „rentenfernen“ Jahrgänge, die zwischen 2008 und 2013 in den Ruhestand gegangen sind, zu überprüfen. Thieß plant nun, gerade die Betriebsräte städtischer Betriebe, die im städtischen Arbeitgeberverband „Arbeitsrechtliche Vereinigung“ (AVH) organisiert sind, über den Sachverhalt zu informieren.
*Name geändert
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