Beziehungen zu Russland: Mit Putin auf Augenhöhe
Eine einseitig auf Konfrontation setzende Politik gegenüber Russland ist nicht erfolgreich. Was es braucht, ist ein neuer Ansatz in der Rüstungskontrolle.
D ie Außenpolitik hat in den bisherigen Debatten zur Bildung einer neuen Bundesregierung nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Dabei sind die wachsenden außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen unverkennbar. Die Beziehungen zu Russland geben dabei Anlass zu besonderer Besorgnis.
Die Schließung der russischen Vertretung bei der Nato am 1. November ist ein vorläufiger Tiefpunkt. Eine friedensgefährdende Konfrontationsspirale muss aufgehalten werden. Hier gilt es, dass sich Deutschland und das westliche Bündnis der bei Überwindung des Kalten Kriegs gemachten Erfahrungen erinnern und diese beherzigen.
Erstens: Eine einseitig auf Konfrontation setzende Politik gegenüber Russland ist nicht erfolgreich. Die Kritik an der von Russland verfolgten autokratischen, demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Politik sowie an den russischen Interventionen in der Ukraine ist zwar richtig, darf aber nicht zur Destabilisierung der militärpolitischen Lage zwischen Nato und Russland führen.
Eine allein auf Abschreckung und Ausgrenzung setzende westliche Politik wird Russland nicht zu einer Umkehr bewegen; vielmehr fördert sie eine aggressive russische Politik der Selbstbehauptung und Aufrüstung mit dem Ziel der Anerkennung als Großmacht auf Augenhöhe und Wahrung des eigenen geopolitischen Einflussbereichs.
war von 2012-2015 Botschafter, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Wien.
Brigadegeneral a. D., war im Verteidigungsministerium sowie in den deutschen Vertretungen bei der Nato und den UN mit sicherheitspolitischen und rüstungskontrollpolitischen Fragen befasst.
Ausgrenzung allein führt zu nichts
Stattdessen müssen die Chancen für Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung aktiv ausgelotet werden. Der sicherheitspolitische Dialog braucht konstruktive Substanz und darf sich nicht in wechselseitigen Anklagen erschöpfen. Zu diesem Zweck sollten unnötige Provokationen wie die Drohung mit einer raschen Nato-Erweiterung um die Ukraine und Georgien unterbleiben. Ein wesentliches Interesse sollte einem Neuansatz in der Rüstungskontrolle gelten.
Die USA tragen wesentlich die Mitverantwortung dafür, dass für die europäische Sicherheit zentrale rüstungskontrollpolitische Vereinbarungen in den letzten 20 Jahren „abgeräumt“ wurden. Das darin zum Ausdruck kommende ignorante Überlegenheitsdenken ist unter den Bedingungen einer veränderten Sicherheitslage heute mehr denn je untragbar.
Zweitens: Dialog, Zusammenarbeit und Entspannung sind Teil des seit 1967 in der Nato geltenden „Harmel-Berichts“. Darin geht es zum einen um eine ausreichend abschreckende militärische Stärke, zum anderen um Beziehungen zu den Staaten des Warschauer Pakts, die Voraussetzung sind, um politische Fragen friedlich zu lösen.
Darum muss es jetzt ein besonderes Anliegen sein, die eklatanten Ausrüstungs- und Fähigkeitsdefizite der Bundeswehr nachhaltig zu beheben und insbesondere das konventionelle Abschreckungsdispositiv der Nato zu stärken. Die Verteidigungsausgaben sollten sich an konkreten Fähigkeitszielen und unseren Beiträgen zur Nato-Streitkräfteplanung orientieren, die unserem Gewicht im Bündnis entsprechen.
Ausrüstungsdefizite der Bundeswehr beheben
Dazu gehört der im Bündnis vereinbarte Anteil der Verteidigungsausgaben von 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Dies sind wir nicht nur der Allianz, sondern auch den deutschen Soldaten schuldig. Die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des im Harmel-Konzept verankerten sicherheitspolitischen Doppelansatzes sollte der neuen Bundesregierung ein zentrales Anliegen sein.
Hierzu bedarf es einer proaktiven Sicherheitspolitik, um im engen Schulterschluss mit den europäischen Partnern den Eskalationsrisiken im Verhältnis zu Russland wirksam begegnen zu können. Die im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP postulierte „Wertebasierung“ der Außenpolitik darf dabei nicht zum Hindernis für eine stärker kooperativ ausgerichtete Sicherheitspolitik gegenüber Russland sein.
Die Feststellung von Egon Bahr ist weiterhin gültig: „Es gibt keine Stabilität in Europa ohne die Beteiligung und Einbindung Russlands.“ Aktuelle Diskussionen unter den Partnern einer möglichen Ampelkoalition über einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe, die Bewaffnung von Drohnen und Konsequenzen der von einer neuen Bundesregierung anvisierten finanz- und klimapolitischen Prioritäten für den Verteidigungshaushalt ziehen unsere sicherheitspolitische Verlässlichkeit in Zweifel und schmälern unsere Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit.
So würde auch die im Sondierungspapier ins Auge gefasste Abrüstungsoffensive eine Schimäre bleiben, sollte Deutschland nicht bereit sein, das Notwendige für die Verteidigung zu leisten. Dies wäre angesichts des offensichtlich gegebenen rüstungskontrollpolitischen Handlungsbedarfs mehr als nur bedauerlich.
In der aktuell kritischen sicherheitspolitischen Lage und im Blick auf das ca. 10-fach größere russische Potenzial an nicht-strategischen Atomwaffen in Europa ist ein klares Bekenntnis Deutschlands zur Fortsetzung der nuklearen Teilhabe erforderlich. Würde diese in Frage gestellt, so würde dies nicht nur von der großen Mehrzahl der europäischen Partner nicht verstanden; es würde auch die strategische Kopplung Europas an die USA, unser Einfluss auf die nukleare Planung des Bündnisses sowie die Bündnisfähigkeit Deutschlands untergraben.
Wir haben gleichwohl ein Interesse daran, dass die nicht-strategischen Nuklearwaffen Russlands und der Nato in die amerikanisch-russischen NewSTART-Abrüstungsgespräche einbezogen werden. Die neue Akzentuierung der Atomwaffen in den Verteidigungspolitiken der Nato und Russlands muss zurückgedrängt werden. Das erfordert allerdings hinreichende konventionelle Verteidigungsfähigkeit der Nato und einen neuen rüstungskontrollpolitischen Impuls.
Vordringlich ist vor allem militärische Vertrauensbildung, darunter insbesondere praktische Maßnahmen der Risikoreduzierung, Transparenz und Rüstungskontrolle an der Kontaktlinie zwischen Nato und Russland in Osteuropa. Die neue Bundesregierung sollte hierzu konkrete Vorschläge entwickeln.
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