Bezahlbares Wohnen: Hamburg bremst Mieter aus
Die Mieter des Hamburger Karolinenviertels wollen ihre Häuser über eine Genossenschaft von der Stadt kaufen. Der SPD-Senat blockt ab: Das sei eine "Privatisierung". Doch der Saga-Kaufpreis fließt in die Stadtkasse.

HAMBURG taz | Weil sie befürchten, dass ihre Mieten steigen, haben MieterInnen des Hamburger Karolinenviertels eine Genossenschaft gegründet, um ihre Häuser selbst zu übernehmen. „Der Senat verweigert jedoch ernsthafte Verhandlungen mit der Karo-Genossenschaft“, kritisiert Genossenschafts-Sprecherin Antje Kianidoost.
Seit 1988 ist das Karolinenviertel unweit des gentrifizierten Schanzenviertels förmliches Sanierungsgebiet. Seither befinden sich die städtischen Häuser mit 923 Wohnungen und 201 Gewerbeflächen in Treuhandvermögen der städtischen Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) und sind langsam saniert worden. Das Karoviertel ist dadurch aufgewertet worden: Die kleinen Tante Emma-Läden oder der Schlachter um die Ecke sind verschwunden, „die Marktstraße und Umgebung hat sich deutschlandweit als alternative Einkaufmeile einen Namen gemacht“, schreibt der Senat in einer Drucksache. „Hier versammeln sich kleine inhabergeführte Läden für Mode, Musik, Design, Accessoires und Dekoration.“
Obwohl die Instandsetzung der Häuser noch nicht abgeschlossen ist, beabsichtigt der SPD-Senat zum Ende des Jahres, das Sanierungsgebiet „St Pauli-Nord S 3“ – also das „Karoviertel“ – förmlich aufzuheben. Im Frühjahr hatten sich die Stadt und die städtische Saga zudem darauf verständigt, dass die Saga einen Großteil des Karo-Areals offiziell von der Steg übernimmt und dafür rund 80 Millionen Euro an die Stadt abführt. Die Saga wird gern als Melkkuh zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt. 2010 führte sie 133 Millionen Euro an die Stadt ab. Im September soll der Karoviertel-Deal von Senat und Bürgerschaft abgesegnet werden.
Das Hamburger Karolinenviertel wird 1988 vom SPD/FDP-Senat als Sanierungsgebiet festgelegt. Zuvor hatte die Liegenschaft der Stadt und die städtische Wohnungsbaugesellschaft Saga die Gründerzeit-Häuser zwei Jahrzehnte lang vergammeln lassen.
1989 übernimmt die Stadtentwicklungsgesellschaft in Treuhandvermögen das Areal mit 921 Wohnungen und 201 Gewerbeflächen, um das Quartier einer "behutsamen Stadterneuerung" zu unterziehen.
Die Karo-Genossenschaft gründet sich im Oktober 2011, mit dem Ziel - nach Aufhebung des Sanierungsgebietes - die Häuser von der Steg für 50 Millionen Euro zu kaufen. Die Genossenschaft hat zurzeit rund 190 Mitglieder.
Obwohl sich die Saga verpflichtet hat, trotz des notwendigen Refinanzierungs-Zwangs die Mieten „nur“ im „sozialverträglich Umfang“ alle drei Jahre um zehn Prozent zu erhöhen, könnte dies für einige Bewohner schon zu viel sein. „Dann trifft es Leute, die es nicht treffen darf“, sagt Christoph Rauch vom Karo-Genossenschafts-Vorstand. Und bei Mieterwechsel poche die Saga sogar auf den Mittelwert des Mietenspiegels – also 30 bis 40 Prozent mehr. „Darum ist vor einem Jahr die Genossenschaft gegründet worden, weil wir eine Spekulation mit den Wohnungsbestand verhindern wollen“, sagt Rausch. Die Mischung im Viertel solle erhalten bleiben.
Mehrere Modelle wie Kauf, Erbbaurecht oder Pacht seien mit Senatsvertretern in vergangenen Monaten diskutiert worden. Doch der Senat lehnt Alternativen zu seinem Modell ab. „In dem Gespräch Ende Mai wurde endgültig klar, dass der Senat keinen Millimeter von seiner Position abrückt“, sagt Kianidoost. „Es gibt nur eine logische Erklärung: dass der Senat das Geld dringend braucht“, sagt Rausch.
„Wir erwarten nicht, dass uns die Häuser geschenkt werden“, meint Kianidoost. „Wir möchten die Häuser jedoch zu einem vernünftigen Preis kaufen und nicht zu einen künstlich hochgesetzten Betrag.“
So gebe es ein Finanzierungskonzept für ein Alternativangebot der Karo-Genossenschaft, was nicht nach dem Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ funktioniere. Die Genossenschaft könnte für das Karo-Areal 50 Millionen Euro aufbringen, die durch die aktuellen Mieten refinanzierbar seien. „Dies könnten wir genauer berechnen, sobald uns die Stadt die notwendigen Zahlen auf den Tisch legt“, sagt Rausch. „Aber auch das verweigert sie uns.“
Die Häuer sollen an die Saga gehen, „um den städtischen Kontroll-Einfluss zu behalten“, sagt Frank Krippner von der Stadtentwicklungsbehörde. Denn der Verkauf an die Karo-Genossenschaft komme einer Privatisierung gleich. Für den Bürgerschaftsabgeordneten der Linksfraktion, Tim Golke, ein „falsches Totschlagargument“. Der Senat propagiere ja das Genossenschaftsprinzip in der Stadtentwicklung.
Die Karo-Genossenschaft will nicht aufgeben und setzt sich weiter für die „Vergesellschaftung“ der Hauser ein. „Wir sind Leute, die über unsere Wohnungen mitreden wollen“, sagt Kianidoost. „Dass wir missachtet werden, nehmen wir nicht hin.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Nichtwähler*innen
Ohne Stimme