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Bewerfen ohne BeleidigungPolitiker frei zum Abschuss

In Zukunft darf man Bilder von Politikern im Rahmen eines Protests wieder mit Dreck, Müll und Obst bewerfen, sagt der Innensenator. Bei einer Anti-Hartz-IV-Aktion im Juni galt dies noch als Beleidigung

In Zukunft darf man in Berlin Konterfeis von Politikern mit faulen Tomaten, Eiern, Cremetorten, Farben oder Ähnlichem bewerfen, ohne mit einer Beleidigungsklage rechnen zu müssen. Vorausgesetzt allerdings, die abgebildeten Personen sind "primär in ihrer Amtsführung als Verantwortliche für politische Entscheidungen" Gegenstand eines politischen Aktes. So geht es aus einer Antwort des Innensenators Ehrhart Körting (SPD) auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor.

Was im Amtsdeutsch ziemlich kompliziert klingt, hat eine Vorgeschichte. Am 16. Juni sollten während einer Anti-Hartz-IV-Kundgebung am Brandenburger Tor die Porträts der Hartz-IV-Vordenker Peter Hartz, Wolfgang Clement und Olaf Scholz mit Farbe beworfen werden. Allein, es kam nicht dazu: In einem unbeobachteten Moment stürmten Polizisten den Platz und nahmen die Konterfeis mit.

Die Polizisten behaupteten damals, dass der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt sei, wenn Abbildungen von Politikern mit Farbe beworfen werden. So habe es das Rechtsreferat der Polizei entschieden. Die Einsatztruppe verhinderte durch ihren Überraschungscoup, bei dem sie die Bilder einkassierte, demnach eine Straftat.

Im Anschluss an die Polizeiaktion kam es zu Tumulten. "Eins, zwei, drei - lasst die Bilder frei", skandierten die Demonstranten und brachten die Absurdität der Situation damit auf den Punkt. Peter Grottian, emeritierter Professor und Mitglied des Sozialforums, das die Kundgebung mitorganisiert hatte, erklärte lautstark: "Das ist ein grober Verstoß gegen das Demonstrationsrecht!"

Ein wenig ist der Innensenator nun auf die Grottiansche Linie geschwenkt. Das geplante Bewerfen der Politikerporträts mit Farbbeuteln könne rechtlich durchaus als Beleidigung nach Paragraf 185 Strafgesetzbuch gewertet werden, die weder durch die im Grundgesetz verankerten Rechte auf Meinungsfreiheit und auf Versammlungsfreiheit gedeckt seien, argumentiert Körting. Allerdings - und das ist entscheidend - sei diese Auffassung eben nicht zwingend, solange bei der Aktion nicht die dargestellten Politiker als Personen, sondern als Repräsentanten für die von ihnen zu verantwortende Politik stünden. Und genau deshalb wolle, sagt Körting, die Berliner Polizei in Zukunft solche Aktionen dulden.

Damit ergeben sich für die Berliner in Zukunft ungeahnte Möglichkeiten, ihrer Wut über ungerechtes Politikerhandeln freien Lauf zu lassen. Wenn Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) den Arbeitslosen mal wieder empfiehlt, sich warm anzuziehen, dann kann man sein Bild mit Eis bewerfen. Wenn Körting wieder Menschen in Länder abschiebt, in denen sie noch nie waren, könnte sein Bild Blutschwämme abbekommen. Wenn die Senatoren allesamt ein Bürgerbegehren für eine bessere Kitaversorgung ablehnen, bieten sich volle Windeln als Wurfgeschosse an. "Man darf nicht unterschätzen, welche kathartische Wirkung selbst diese symbolischen Aktionen haben", meint Grottian. Herrschaftsbeleidigung müsse erlaubt sein. "Und die Politiker sollen sich nicht wundern, wenn der echte Tomatenwurf angesichts der Sozialpolitik, die sie betreiben, wieder in Mode kommt."

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