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Bewerbungsprozess für die BerlinaleUnbequemes Kino für unbequeme Zeiten

Was passiert, bis ein Film wie „Hysteria“ (Panorama) von Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay auf der Berlinale zu sehen ist? Protokoll einer Prozedur.

Eliv (Devrim Lingnau) in einer Szene von „Hysteria“ Foto: Filmfaust

Mehmet Akif Büyükatalays neuer Film „Hysteria“ feierte am Samstag auf der Berlinale in der Sektion Panorama Premiere. Der politische Thriller untersucht den gesellschaftlichen Umgang mit dem Fremden und dreht sich um eine anonyme Figur, die plötzlich in einem sozialen Mikrokosmos auftaucht und dort eine Welle von Hysterie auslöst.

Der Film stellt eine treffende Metapher für die Mechanismen von Angst und Gruppendynamik in unserer heutigen Gesellschaft dar und regt zur Auseinandersetzung mit Fragen über Identität, Zugehörigkeit und die psychologischen Mechanismen an, die die Wahrnehmung von Fremdheit in der modernen Welt prägen.

In diesem Spannungsfeld zwischen Angst und Kontrolle entfaltet sich eine Geschichte, die die Zuschauer dazu auffordert, über zugrundeliegende gesellschaftliche Strukturen nachzudenken, die solche Reaktionen hervorbringen. In „Hysteria“ untersucht Büyükatalay, wie Bilder von Fremdheit gesellschaftliche Strukturen prägen. Ähnlich wie in seinem Debütfilm „Oray“ (2019) zeigt er, dass die Art und Weise, wie „der Andere“ in den Medien dargestellt wird, entscheidend dafür ist, wie er wahrgenommen wird.

Bloße Existenz als Eskalation

„Es geht nicht darum, wer dieser Fremde ist, sondern was er mit uns macht“, erklärt der Regisseur der taz. Durch die Darstellung einer Figur, deren bloße Existenz eine Eskalation auslöst, verdeutlicht der Film, dass gesellschaftliche Debatten häufig emotional und nicht rational geführt werden.

„Hysteria“ bei der Berlinale

18. 2. 2025, 14 Uhr, Odeon

18. 2., 2025 21.45 Uhr, FaF

21. 2., 2025 21.30 Uhr, Zoo Palast 1

Die Sektion Panorama bietet mutigen, gesellschaftlich relevanten Filmen eine Bühne. Hier finden Werke Platz, die sich jenseits des Mainstreams bewegen, aber dennoch große Relevanz haben. Dass der Film „Hysteria“ hier gezeigt wird, verdeutlicht seinen Status als anspruchsvolle und zugleich provokante Auseinandersetzung mit aktuellen politischen und sozialen Themen. Gleichzeitig zeigt es auch, dass Festivals wie die Berlinale sich der Verantwortung bewusst sind, kontroverse Werke zu fördern, die gesellschaftliche Debatten anstoßen.

Doch wie kommt nun solch ein Film wie „Hysteria“ überhaupt auf ein bedeutendes Filmfestival wie die Berlinale? Oft ist der Weg dorthin lang und von zahlreichen Herausforderungen gesäumt, die den Zu­schaue­r:in­nen vor der Leinwand verborgen bleiben.

Mehrere Hürden

Während große Filmstudios mit etablierten Verleihern und großen Budgets arbeiten, stehen unabhängige Filmemacher wie Büyükatalay häufig vor ganz anderen Hürden: Finanzierung, Produktionsdauer und die Anerkennung durch Festivals. Das Festival ist für viele Filmschaffende ein Sprungbrett, doch die Hürde, aufgenommen zu werden, ist hoch.

Ein Film kann auf die Berlinale gelangen, indem er von den Veranstaltern ausgewählt wird. Der Weg dorthin kann auf verschiedene Weisen erfolgen. Einerseits können Filmemacher oder Produktionsfirmen ihre Filme offiziell einreichen, wobei diese eine Deutschland- oder Weltpremiere sein und bestimmte formale Anforderungen erfüllen müssen.

Andererseits werden manche Filme direkt von der Berlinale eingeladen, oft durch Scouts oder Kuratoren, die auf anderen Festivals aktiv sind. Auch Koproduktionen und Programme wie „Berlinale Co-Production Market“ oder „Berlinale Talents“ erhöhen die Chancen einer Auswahl. Filmförderungen und starke Verleiher können ebenfalls dazu beitragen, dass ein Film für das Festival in Betracht gezogen wird.

Mehrfach eingereicht

Doch selbst wenn alle Bedingungen erfüllt sind, bedeutet das nicht, dass ein Film sofort angenommen wird. Viele Werke werden zunächst abgelehnt oder müssen mehrfach eingereicht werden. Auch „Hysteria“ wurde nicht sofort ins Festivalprogramm aufgenommen. Der Regisseur selbst sagt dazu: „Es war ein langer Weg, diesen Film auf die Berlinale zu bringen.

Letztes Jahr wurde er noch abgelehnt, und wir haben nicht erfahren, warum.“ Dass er es in diesem Jahr ins Panorama-Programm geschafft hat, zeigt, wie unberechenbar der Auswahlprozess sein kann, selbst wenn man bereits Erfolge auf der Berlinale vorweisen kann.

Büyükatalay kennt diesen Prozess gut, denn bereits mit seinem Film „Oray“ konnte er 2019 einen Erfolg auf der Berlinale feiern. Der Film wurde in der Sektion „Generation 14plus“ gezeigt und stieß auf große Resonanz. Ungeachtet dieses Erfolgs erhielt er bei „Hysteria“ nicht gleich beim ersten Versuch auf der Berlinale eine Chance. Dies verdeutlicht einmal mehr, wie hart umkämpft der Wettbewerb um Festivalplätze ist und wie wichtig es ist, trotz Rückschlägen an der eigenen Vision festzuhalten.

Unzählige Entwürfe fürs Drehbuch

Der Entstehungsprozess von „Hysteria“ war außergewöhnlich lang und aufwendig. „Ich habe sieben Jahre an diesem Film gearbeitet“, berichtet Büyükatalay. „Vom ersten Entwurf des Drehbuchs bis zur finalen Fassung sind unzählige Revisionen und Anpassungen eingeflossen.“ Die Entwicklung eines Films erfordert nicht nur künstlerische Ideen, sondern auch strategische Planung, um die nötige Finanzierung zu sichern. In diesem Fall konnte „Hysteria“ nur durch die Unterstützung von ZDF Das kleine Fernsehspiel, der Film- und Medienstiftung NRW sowie HessenFilm realisiert werden.

Doch auch mit der Finanzierung war der Prozess keineswegs einfach. „Fördergeld zu bekommen, ist immer schwierig, besonders wenn man eine Geschichte erzählt, die sich nicht in klare Kategorien einordnen lässt“, so Büyükatalay. Die Angst davor, bestimmte Themen aufzugreifen, zeigt sich nicht nur in der Filmproduktion, sondern auch in der gesellschaftlichen Debatte insgesamt. „Hysteria“ fordert das Publikum heraus, sich mit der eigenen Wahrnehmung des „Anderen“ auseinanderzusetzen und dadurch zu einer gesellschaftlichen Resozialisierung beizutragen.

Filme mit einer so langen Entstehungszeit bedeuten für die Filmemacher oft eine enorme psychische und finanzielle Belastung. Büyükatalay spricht davon, dass er oft an der Umsetzung gezweifelt habe: „Wenn man jahrelang an einem Projekt arbeitet, verliert man irgendwann die objektive Sicht darauf. Man fragt sich, ob es wirklich noch relevant ist oder ob man es nicht einfach aufgeben sollte.“ Doch die Dringlichkeit der Thematik und die Leidenschaft für das Erzählen ließen ihn weitermachen.

Unbequeme Themen brauchen Zeit

Dass der Film schließlich auf die Berlinale eingeladen wurde, könnte auch als Zeichen dafür gedeutet werden, dass das Festival seine Verantwortung für kontroverse, aber notwendige Themen erkannt hat. Büyükatalay sagt dazu: „Ein Film wie dieser ist unbequem, aber genau das ist es, was wir in der aktuellen Zeit brauchen. Wenn wir nicht bereit sind, uns mit schwierigen Themen auseinanderzusetzen, verlieren wir die Fähigkeit zur echten Kommunikation.“

Solche Filme erfordern Mut und Geduld, sowohl in der Produktion als auch bei der Festivalbewerbung. Gerade in der heutigen Zeit, in der sich politische Debatten immer mehr zuspitzen, sind Filme wie dieser essenziell, um neue Perspektiven aufzuzeigen und den gesellschaftlichen Diskurs anzuregen.

„Hysteria“ ist somit nicht nur ein Film, sondern ein Kommentar zur gegenwärtigen gesellschaftlichen Debatte über Fremdheit, Angst und soziale Wahrnehmung. Es ist ein Werk, das zeigt, wie viel Ausdauer, Durchhaltevermögen und Überzeugung es braucht, um ein gesellschaftlich relevantes Thema in der Filmwelt sichtbar zu machen. Dass es am Ende doch geklappt hat, ist ein Beweis für die Kraft des unabhängigen Kinos und den Mut, wichtige Geschichten zu erzählen, auch wenn der Weg dorthin nicht immer einfach ist.

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