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Bewegungstermine in BerlinRojava und Regenbogen

Die queeren Bewegungen und die Revolution in Rojava machen es vor: Auch wenn der Weg steinig ist, kann es gesellschaftlichen Fortschritt geben.

Schon gegen den türkischen Angriff 2019 kam es zu Protesten in Berlin Foto: dpa

Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapitalismus“ – angesichts der Nachrichtenlage wirkt das dem marxistischen Kulturwissenschaftler Fredric Jamesons zugeschriebene Zitat schmerzlich aktuell.

Ob Klimakrise, Killerviren oder Atomkrieg – das Weltgeschehen scheint gerade deutlich schnellere Schritte hin zu diversen apokalyptischen Endzeit-Szenarien zu machen als in Richtung einer befreiten Gesellschaft, die nicht auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert.

Ein wenig Hoffnung macht ein Blick auf die Revolution in Rojava. Vor 10 Jahren befreiten sich die Menschen in der im syrischen Nordosten gelegenen Region von der Kontrolle des syrischen Regimes und errichteten eine auf basisdemokratische Rätedemokratie orientierte Selbstverwaltung. Nachhaltigkeit, Feminismus, direkte Demokratie und die Gleichberechtigung aller Ethnien sind die ideologischen Grundpfeiler des Projekts.

Obwohl die reale Situation in Rojava noch weit entfernt von einer anarcho-kommunistischen Utopie sein mag, ist es umso erstaunlicher, was die Revolutionäre angesichts der immensen Widerstände geschaffen haben. So wurde die Stellung der Frau in den traditionell sehr patriarchalisch geprägten Gesellschaften enorm verbessert: Zum Beispiel gibt es eine Frauenquote von 50 Prozent in politischen Institutionen sowie Frauenräte und eine eigene Gerichtsbarkeit für patriarchale Gewalt wie Zwangsehen und Femizide.

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10 Jahre Revolution

Seit der Gründung wird die Existenz Rojavas durch militärische Aggression bedroht. Vor allem der Türkei ist das mehrheitlich kurdische Gebiet an der Grenze ein Dorn im Auge. Aktuell bereitet Erdoğan eine weitere Bodeninvasion vor, mit der weitere Teile der Region unter türkische Kontrolle fallen könnten.

Angesichts dieser Bedrohung bleibt internationale Solidarität unerlässlich, damit Rojava weiter bestehen kann. Deswegen ruft anlässlich des zehnten Jahrestags der Revolution in Rojava das „Widerstandskomittee Berlin“ zu einer Demonstration auf. (Dienstag, 19. Juli, 19:30 Uhr, S-Bahn Humboldthain).

Ebenfalls hoffnungsvoll stimmt der Christopher Street Day, der in Berlin das erste mal seit zwei Jahren wieder ohne Beschränkungen stattfindet. Denn obwohl Vorwürfe der Kommerzialisierung und Entpolitisierung der Parade zutreffend sind, leistet sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur steigenden gesellschaftlichen Akzeptanz gegenüber queeren sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. (Samstag, 23. Juli, 12 Uhr, Start: Leipzigerstraße / Axel-Springer-Straße).

Anti-Israel-CSD?

Deutlich radikaler wird es beim Internationalistischen Queer Pride zugehen. „Queere Befreiung kann nur durch den Abbau der systemischen Unterdrückung erreicht werden, auf der unsere Gesellschaften aufgebaut sind“, heißt es in dem Aufruf der Organisator:innen.

Die Demo hat den Anspruch, verschiedene internationalistische, antikoloniale und antikapitalistische Freiheitskämpfe mit queerer Politik zu verbinden. So wird es Demoblöcke unterschiedlichster queerer Communities geben: unter anderem für Ar­me­nie­r:in­nen und Assyrer:innen, Lateinamerikaner:innen, Refugees und Sexarbeiter:innen.

Für Kontroversen dürfte aber der palästinensische Flinta-Block sorgen, der von den antizionistischen Gruppen Palestine Speaks und BDS-Berlin mitorganisiert wird. Die Gefahr besteht also, dass die Internationalistische Pride eher den Charakter einer Pro-Palästina-Demo haben wird, auf der wie in der Vergangenheit häufig geschehen antisemitische Äußerungen und Übergriffe toleriert werden. (Samstag, 23. Juli, 17 Uhr, Hermannplatz).

Dabei gilt das Motto des Internationalistischen Prides „Keiner ist frei bis wir alle frei sind“ für sämtliche emanzipatorischen Bewegungen. Queere Gleichberechtigung lässt sich nicht in einem Staat feiern, in dem Menschen regelmäßig vor allem aufgrund ihrer Hautfarbe verhaftet werden und dann im Gefängnis umkommen.

Todesursache: Rassistisches System

Vor knapp zwei Jahren starb Ferhat M. durch einen Brand in seiner Zelle in der JVA Tegel. Obwohl Ferhat depressiv war und deshalb mehrmals um ärztliche Hilfe bat, wurde diese ihm versagt. Trotz lauten Klopfens und Klingels brauchte das Personal viel zu lange, um den Brand zu bemerken und die Zelle zu öffnen.

Ferhat, der lediglich wegen eines Diebstahlvorwurfs in Untersuchungshaft saß, könnte noch leben, wenn das Gefängnispersonal richtig gehandelt hätte, sind sich die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen der Gedenkdemo „Kein Vergeben, kein Vergessen!“ sicher. (Samstag, 23. Juli, 15 Uhr, Carl von Ossietzky Park).

Dass vor allem migrantische und marginalisierte Personen in deutschen Gefängnissen zu Tode kommen, ist kein Einzelfall. Die Mit­or­ga­ni­sa­to­r:in­nen von Death in Custody, die Tode in Haftanstalten dokumentieren und recherchieren, zählen 210 Todesfälle seit 1992. Aufgeklärt werden die wenigstens.

Sich eine Welt vorzustellen, in der diese Zahl nicht mehr weiter steigt, in der Queers, Kur­d:in­nen und alle anderen Menschen überall selbstbestimmt, frei und in Frieden leben können – so schwer kann es doch nicht sein?

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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