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Bewegungsforscher über Montagsdemos„Anfällig für bizarre Deutungsmuster“

Der Forderung nach Frieden auf Montagsdemos fehle es an Inhalten, sagt Forscher Peter Ullrich. Vielen gehe es um den Ausdruck massiven Unbehagens.

Nur ein Schlagwort? Bild: dpa
Erik Peter
Interview von Erik Peter

taz: Herr Ullrich, nach der Veröffentlichung Ihrer Studie über die Teilnehmer der Montagsdemos schrieben einige Medien, die Mahnwachen seien nicht rechts, sondern links. Auch der linke Aktivist Pedram Shahyar, der sich der Bewegung angeschlossen hat, freute sich öffentlich. Fühlen sie sich missverstanden?

Peter Ullrich: Wir wurden insofern richtig zitiert, als dass die Bewegung nicht einfach als rechts zu klassifizieren ist. Das ist ein klares Ergebnis. Dem gegenüber steht aber, dass wir sehr viele Anhaltspunkte für rechts-affine Weltbilder gefunden haben, die genauso dazu gehören. Insofern hat es sich etwa Pedram Shahyar sehr leicht gemacht, indem er uns selektiv zitiert hat.

Wie fassen Sie die Ergebnisse zusammen?

Das eigentliche Kennzeichen der Bewegung ist, dass sie hochgradig widersprüchliche Inhalte und Personen vereint. Viele der Befragten verfügen über keinerlei politische Erfahrung oder ideologische Festigung, das heißt, dass sie in ganz verschiede Richtungen formbar sind und daher auch anfällig für bizarre Deutungsmuster, die man ihnen vorsetzt. In dieser Hinsicht war der Initiator Lars Mährholz mit der Idee, dass die US-amerikanische Zentralbank FED an allem schuld sei, sehr erfolgreich. Ich nehme an, dass die meisten Leute, die dort hingehen, vorher noch nie etwas von der der FED gehört haben.

Nur zwei Prozent der Befragten Mahnwachen-Teilnehmer stufen sich selbst als rechts ein, 38 Prozent sehen sich links der Mitte. Woher kommt dieses Bild?

Ein Teil der Befragten entstammt tatsächlich einem linken Milieu. Interessanter sind diejenigen, die sich in der Mitte des politischen Spektrums sehen oder sich der Verortung entziehen und als unpolitisch bezeichnen. Bei ihnen verbergen sich die rechts-affinen Einstellungsmuster. Sie glauben, sie sind für den Frieden und das Gute. Dass dahinter ganz konkrete Einstellungsmuster stehen können, die man analytisch als rechts bezeichnen kann, ist für sie kein Widerspruch. Hier zeigt sich ihre Naivität und Unerfahrenheit. Dazu kommt, dass eine politisch rechte Einstellung gesellschaftlich zu Recht stigmatisiert ist. Dieses Label will man nicht haben. Die Teilnehmenden wollen nicht, dass der Bewegung, die ja öffentlich hart kritisiert wurde, weiterhin der rechte oder neu-rechte Stempel aufgedrückt wird.

Dass die Distanzierung von rechts zum Teil nur eine rhetorische Übung und keine klare Abgrenzung ist, erkennt man bei Lars Mährholz, der sich in einer langen Rede von allen politischen Richtungen und Organisationen distanziert hat. Doch in diesem Akt der Distanzierung fehlte jede nachvollziehbare Begründung; sie war nur deklaratorisch. Im Endeffekt ist man mit diesem Selbstbild, weder rechts noch links zu sein, bereit, ziemlich viel zu akzeptieren, bis hin zur Teilnahme von organisierten Neonazis auf den Kundgebungen.

Sind die Montagsmahnwachen eine Querfront-Bewegung?

Bild: privat
Im Interview: Peter Ullrich

37, ist Soziologe und Kulturwissenschaftler und leitet den Forschungsbereich „Soziale Bewegungen, Technik, Konflikte“ an der TU Berlin. 2013 veröffentlichte er das Buch „Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt. Politik im Antisemitismus- und Erinnerungsdiskurs“ (Wallstein Verlag).

Wenn sich diese thematische Melange stabilisiert, sich verschwörungsideologische Inhalte mit linken Ansätzen verknüpfen, würde ich den Begriff verwenden. Noch ist das aber nicht klar. Denn sowohl von linker als auch von rechter Seite wird versucht, die Bewegung zu beeinflussen, während die Organisatoren all das abwehren wollen. Außerdem sind die Mahnwachen regional unterschiedlich. Angesichts dieser widersprüchlichen Struktur ist es eher wahrscheinlich, dass die Bewegung nicht von langer Dauer sein wird. Die Teilnehmerzahlen, etwa der Berliner Demo gehen schon wieder deutlich zurück. Von einer Festigung sind wir noch weit entfernt.

Sind die Teilnehmer eher für eine populistische Instrumentalisierung von rechts als von links anfällig?

Nicht unbedingt. Das gilt allerdings für diejenigen, die sich weder als links noch rechts bezeichnen. Darunter sind die, die eher AfD wählen und die auch eine höhere Zustimmung zu den rechten Items haben. Sie bilden das Gefahrenpotential für eine rechts-autoritäre Zuspitzung der Bewegung.

Die Studie attestiert nur 1,5 Prozent der Befragten ein antisemitisches Weltbild, obwohl 47 Prozent die Aussage nicht ablehnen, dass „die Zionisten sich weltweit an die Hebel der Macht gesetzt haben und Politik, Börse und die Medien nach ihrer Pfeife tanzen lassen“. Wie ist diese Diskrepanz zu verstehen?

Klassischer Antisemitismus mit dem Feindbild ‚Jude‘ ist für die Befragten offensichtlich nicht prägend. Auf den Mahnwachen wird häufig betont, dass man sich nicht in Völker, Religionen oder oben und unten spalten lassen will, weil ja alle Menschen sind. Das sollte man bis zu einem gewissen Grad auch ernst nehmen. Aber es gibt verschwörungsideologische Vorstellungen wie die Annahme einer zionistischen Geheimmacht, die zwar klar antisemitisch codiert sind, aber aus Sicht der Teilnehmenden nicht in Verbindung mit einem negativen Judenbild stehen. Sozusagen: Antisemitismus ohne Juden und ohne Antisemiten. An dieser Stelle müsste auch eine genauere, qualitative Forschung über die Spezifik dieses Milieus ansetzen.

Noch so eine Widersprüchlichkeit aus der Studie: Die überwiegende Mehrheit befürwortet Demokratie und lehnt eine Diktatur ab, andererseits stimmt ein Drittel der Aussage zu, dass Deutschland „einen Führer“ haben sollte, der „zum Wohle aller mit starker Hand regiert“. Ist das nicht paradox?

Man kann das verstehen, wenn man sich anschaut, was die Befragten zum Thema Demokratie in unserer offenen Frage geantwortet haben. Konkrete Forderungen nach mehr Partizipation oder Basisdemokratie finden sich da kaum, dagegen wurde viel Politikerschelte betrieben. Dem Symbol Demokratie stimmt man zwar zu, aber viele sind für die unterschiedlichsten Auswege aus der akuten Unzufriedenheit offen. Wir können bei den Montags-Mahnwachen von einer im doppelten Sinne postdemokratischen Bewegung sprechen: Einerseits fühlen sich die Teilnehmer/innen vom politischen System in keiner Weise repräsentiert, zugleich sind sie aber selber auf eine andere Art postdemokratisch, weil sie trotz demokratischem Selbstbild über kein Wissen, keine Erfahrung und keine Praxis demokratischer Beteiligung verfügen. Auf beiden Ebenen zeigt sich aber eine Entleerung der Demokratie.

Ist die Forderung nach Frieden ebenso wenig mit Inhalten unterlegt?

Ganz klar. Fast alle nennen Frieden als ihr Ziel – aber meist eben nur als Schlagwort. Man sieht: Die Bewegung ist massiv von einer Politikferne gekennzeichnet. Es fehlen konkrete Forderungen, es gibt keine politische Strategie, kaum konkret erreichbare Opponenten, nur das ‚System‘ oder die Medien. Von einigen Redner/innen abgesehen, fehlt es beim Gros der Teilnehmenden an Vorstellungen darüber, was man machen will und wo man hin will. Es geht eher um den Ausdruck eines massiven Unbehagens.

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11 Kommentare

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  • Doch, eine Forderung ist ganz massiv von mir zumindest vertreten: Monetary Reform Now! Denn unser Schuldgeldsystem, symbolisiert durch die FED, ist eine der Ursachen für die großen sozialen Verwerfungen weltweit. Aber das versteht ein gstudierter Soziologe mit seiner Markt-orientierten Soziologie halt einfach nicht.

  • "Die Bewegung ist massiv von einer Politikferne gekennzeichnet. Es fehlen konkrete Forderungen, es gibt keine politische Strategie, kaum konkret erreichbare Opponenten, nur das ‚System‘ oder die Medien."

     

    Das ist auch gut so.

    Der Politik wird nicht vertraut. Die Politik ist eine Bühne.

    Entscheidungen werden hinter der Bühne ausgehandelt.

    Als Friedensbewegung kann man nur an Menschen appellieren. Durch Kunst, Lieder, Reden .. und so der Politik zeigen, wo sie hin soll.

    Klar gibt es "konkrete Forderungen. Nämlich kein Krieg. Keine mililtärischen Interventionen. Keine False Flags, also verdeckten Aktionen von Geheimdiensten, mit denen getäuscht wird.

    Mehr Ehrlichkeit. Das sind sehr wohl Forderungen.

     

    Die Hamburger Mahnwache formuliert:

     

    "Wir möchten mit allen Menschen aller Gesellschaftsbereiche in den Dialog treten, um Informationen auszutauschen und Lösungsansätze zu erarbeiten. Jedem Menschen wohnt ein Teil der möglichen Lösung inne. Der Lösungsweg definiert sich mit jedem Schritt neu, ausgehend vom jeweils erreichten Entwicklungsstand.

     

    Wir verstehen die Mahnwachen als Agora der Neuzeit. Wir bieten den Menschen eine lebendige Plattform zum offenen Austausch und Diskurs an.

     

    Fragend schreiten wir voran!

     

    Wir stehen für eine gewaltfreie Evolution!"

  • "Die Bewegung ist massiv von einer Politikferne gekennzeichnet. Es fehlen konkrete Forderungen, es gibt keine politische Strategie, kaum konkret erreichbare Opponenten, nur das ‚System‘ oder die Medien."

     

    All das galt interessanterweise exakt genau so für die Occupy-Bewegung (auch wenn das hier vermutlich niemand hören will).

    Wenn man die gefragt hat "Was wollt Ihr denn nun eigentlich ganz genau?" dann kam ja auch nie etwas Konkrets wie - was bei denen zum Beispiel nahe gelegen hätte - "die Tobinsteuer!"

    sondern da kam Geseier à "Aber das ist doch nicht wichtig,wichtig ist, das swir alle hier sind und dass sich was bewegt und da bewegt sich ganz viel und das passiert jetzt..."

    (wahrscheinlich war die heimliche Dratzieherin in Wahrheit Nena...)

     

    Ach ja, sie waren die 99%.

    Ob sich die Wahnmachenwichtel mit diesre Aussage wohl identifizieren können?

    Wers nicht von alleine weiß:

    Fragt doch mal einen.

  • "Von einigen Redner/innen abgesehen, fehlt es beim Gros der Teilnehmenden an Vorstellungen darüber, was man machen will und wo man hin will. Es geht eher um den Ausdruck eines massiven Unbehagens."

     

    Mehr darüber kann mannfrau hier hören und sehen:

     

    http://globalinformations.wordpress.com/2014/05/14/ken-jebsen-im-gesprach-mit-pedram-shahyar-attac/

  • Zitat: "Fast alle nennen Frieden als ihr Ziel – aber meist eben nur als Schlagwort. Man sieht: Die Bewegung ist massiv von einer Politikferne gekennzeichnet."

     

    Na gut.

    Wenn Politiknähe zu Krieg führt, dann möchte ich doch lieber zu den Politikfernen gehören.

     

    Oder sagen wir es etwas anders, so wie das Grundgesetz:

    Alle Macht geht vom Volk aus.

    Da steht nicht: Von der Politik, oder von transatlanischen Presseclubs.

    Vom Volk.

    Das Volk will Frieden.

    An dem Volk muss sich die Politik ausrichten, nicht wahr ?

  • Ich beobachte sowohl die Montagdemos, als auch die Medien-Berichterstattung schon eine Weile.

    Zwischendurch dachte soviele Fehlmeldungen/Desinformationen können den Zeitungen und Experten doch nicht versehentlich unterlaufen...

    Aber auch der ehemalige Tagesschau-Redakteur Volker Bräutigam bezeichnet die aktuelle Tagesschau jüngst als "agitierende Falschberichterstattung".

    Von einem Scholl-Latour oder einer Prof. Krone-Schmalz bekommt der aktuelle deutsche Journalismus auch die Note "ungenügend

    vlt. um das Wort "Agitation" zu vermeiden?

    Dann denke ich aber doch manchmal wieder, die checkens tatsächlich nicht.

     

    Werde die Sache mal ganz naiv weiter beobachten.

     

    "Nichtsemitenbezogener Antisemitismus"...

    Da muss man sicher sehr lange studiert haben, um so etwas "diagnostizieren"

    zu können...

    Übrigends Herr Ullrich: Schließen Sie bitte nicht voreilig von sich auf andere,

    die angeblich nicht wüssten was die Fed ist, die im Übrigen interreligiös besetzt ist.

    Und wenn sie googeln, dann schauen sie doch einfach mal unter "Geldsystem".

    Wir können alle noch dazu lernen.

    • @Rainer Wrahse:

      Habe ich gemacht, also bei Google "Geldsystem" eingegeben. Die ersten 10 Treffer waren meist ziemlich obskure Seiten.

       

      Eine Frage diesbezüglich an sie Herr Wrahse:

      Warum misstrauen sie den Politiker_innen, Journalist_innen, Wissenschaftler_innen, glauben aber etwas, das irgendeine andere Person, die noch anonymer ist als die o.g. Gruppen, ins Internet gestellt hat? Und warum vertrauen sie Google, einem privaten Unternehmen, welches mit ihren Daten Milliarden Dollar und anderer Geldeinheiten verdient?

  • Das ist witzig. Bei den historischen Montagsdemos konnten die Herrschenden diesen nicht das geringste bischen Verständnis entgegenbringen.

     

    In diesem Artikel zeigt sich ebenfalls eine unglaubliche Distanz. Die Demonstranten werden wie Forschungsobjekte, nicht wie Menschen betrachtet.

     

    Um es klar zu sagen: Ich selbst habe mich bisher noch nicht richtig mit dem Thema beschäftigt. Aber jemand der für seine Überzeugungen Rabatz macht (Nazis natürlich ausgenommen), ist mir grundsätzlich immer tausendmal sympathischer als ein unkritischer Abnicker.

    • @Kain:

      Ein Soziologe, dessen Forschungsgebiet Menschen sind. Und die werden danna uch noch unemotional-kühl betrachtet. Skandal!

       

      Im Übrigen: Nur weil jemand unverstanden ist, heißt das noch lange nicht, dass er kein Depp ist.

      • @Schorsch:

        Schon klar, dass das ein Interview mit einem sog. Bewegungsforscher ist.

         

        Nur finde ich es trotzdem überaus befremdlich, wie sich der Bewegunsgforscher äußert.

         

        Diese Demonstranten demonstrieren ja jeden Montag auch gegen die Medien. Gibt es da irgendein eigenes kritisches Hinterfragen, derer, gegen die sich die Proteste richten?

         

        Fühlt sich nicht so an. Und hey... das ist nun wirklich ein Muster, dass ich von fast allen Demos kenne. Die Adressaten haben kein Einsehen und auch kein Verständnis.

         

        Stattdessen wird diskreditiert. So stelle ich mir Demokratie echt nicht vor. Bischen Solidarität ist da eher angebracht!

      • @Schorsch:

        Nein. Wer sich selbst versteht ist kein Depp.

        Die Polit-Darsteller, die ihr Völkchen nicht verstehen können - oder wollen, das sind die Deppen.