Bewegung Pulse of Europe: Küchentische zu Hausparlamenten
Nachbarschaftsversammlungen sollen Forderungen an Europa formulieren. Pulse of Europe startet eine neue Form der Bürgerbeteiligung.
Die erste Welle der Hausparlamente soll bis Mitte August rollen. Bis zur Wahl des Europa-Parlaments 2019 will Pulse of Europe (PoE) das Verfahren mehrmals wiederholen. Unter blauen Fahnen brachte PoE im vergangenen Jahr zeitweise zehntausende Bürger*innen auf die Straße, um gegen den drohenden Zerfall der EU zu protestieren. Mittlerweile ist es bei den Aktionen eher ruhig geworden.
Wer die Küche oder das Wohnzimmer zum Parlament machen möchte, kann sich auf der Internetseite von PoE registrieren. Dann erhält man eine Gebrauchsanleitung, die Vorschläge für die zu debattierenden Fragen enthält. Thema und Fragen für den ersten Schwung stehen noch nicht fest. Es wird aber wohl in diese Richtung gehen: Wie halten wir es mit den USA, ist Amerika trotz Trump noch unser Freund, soll die EU ein Handelsabkommen abschließen? Es wird empfohlen, drei bis sieben Leute einzuladen, möglichst eine bunte Mischung, auch unterschiedliche Nationalitäten. Vielleicht gibt es Nachbarn, die die AfD wählen.
Nach etwa zwei Stunden Debattenzeit sollen die Moderatoren die Ergebnisse an PoE übermitteln, die sie dann in aggregierter Form ausgewählten „Entscheidungsträgern“ zur Verfügung stellt. Das kann beispielsweise der Staatssekretär eines Bundesministeriums sein. Auch Abgeordnete oder Fraktionen des EU-Parlaments kommen in Betracht. Entscheidend ist, dass sich die Politiker*innen vorher bereit erklärt haben mitzuwirken. Das heißt: Sie nehmen den Prozess ernst und setzen sich mit den Forderungen auseinander.
„Dialog mit Entscheidungsträgern“
Die Europa-Freund*innen betrachten ihre Küchendiskussionen als „Bürgerbeteiligung“. „Weil die Hausparlamente nicht repräsentativ zusammengesetzt sind, kann das keine direkte Demokratie sein“, sagt Alexander von Knigge von PoE Berlin. „Aber wir streben einen Dialog mit Entscheidungsträgern an und erwarten ernsthafte Antworten.“
Claus Leggewie, Politologe
Inspiriert ist die Kampagne unter anderem von En Marche, der französischen Organisation von Präsident Emmanuel Macron. Dessen Unterstützer*innen waren unlängst von Wohnung zu Wohnung gegangen, um mit den Bürger*innen über Europa zu reden. Knigge sagt: „Wir hoffen, dass die Teilnehmer durch die Debatten mehr zu Europäern werden. Heute stehen wir ja meist auf einem nationalen Standpunkt.“
„Die Bundesregierung hat es nicht hinbekommen, die von Macron vorgeschlagenen Bürgerdebatten zu organisieren, jetzt werden europäische Bürgerinnen selbst aktiv“, erklärt Politikwissenschaftler Claus Leggewie. „Dass sich PoE neu aufstellt, ist eine gute Nachricht. Das Politische wird jetzt privat, und es gibt aus meiner Erfahrung eine diskussionsbereite, lebendige Bürgergesellschaft, die bemerkt hat, wie Europa auf der Kippe steht.“
Im Buch „Die Konsultative“ fordert Leggewie zusammen mit seiner Kollegin Patricia Nanz neue Gremien der Bürgerbeteiligung. „Die Initiative von Pulse of Europe deutet auf ein bleibendes Manko hin: Wir haben keine instititutionellen Formen der Zukunftsräte in Deutschland.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!