Betrug mit Kassensystemen: Kasse machen mit Storno
In Oldenburg soll eine Restaurant-Inhaberin mit manipulierten Kassen über 1,3 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, als Betreiberin eines Asia-Restaurants in Ganderkesee im Landkreis Oldenburg mit Hilfe manipulierter Kassen zwischen 2016 und 2019 mehr als 1,3 Millionen Euro an Steuern hinterzogen zu haben. Neben der Staatsanwältin sitzt eine Vertreterin der Steuerfahndung auf der Anklageseite. Die Blicke der 37-jährigen Restaurantinhaberin verharren die meiste Zeit auf dem Tisch vor ihr, ab und zu wandern sie durch den kleinen Verhandlungssaal. Sie ist zurückhaltend, äußert sich am ersten Verhandlungstag nicht. Eine Dolmetscherin übersetzt für die gebürtige Chinesin die Verlesung der Anklageschrift.
Darin führt die Staatsanwältin aus, wie der Betrug funktioniert haben soll. Zunächst soll die Restaurantbetreiberin Kassen mit eingebauter Manipulationsfunktion der Firma „Multiway“ verwendet haben. Jeden Abend soll sie bis zu 85 Prozent der Rechnungen einfach storniert haben, um so ihre Umsätze und damit die Steuerlast kleinzurechnen.
Ab 2018 soll sie auf ein Kassensystem der Firma „JGastro“ umgestiegen sein. Diese Kassen sind mit einer App verbunden. Dort spart man sich die Handarbeit und kann bequem per Regler auf dem iPhone einstellen, welcher Teil der Umsätze storniert werden soll. Die Angeklagte soll mit den „JStore“-Kassen sogar 96 Prozent der Rechnungen storniert haben.
Betrug im großen Stil
Schon 2021 hatte das Landgericht Osnabrück die beiden Erfinder der „Multiway“-Kassen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Im selben Jahr zerschlugen Ermittler:innen mit Durchsuchungen in knapp 500 Restaurants das „JGastro“-Imperium.
Der aktuelle Fall ist Teil einer ganzen Serie von Kassenbetrug im großen Stil, die in den vergangenen Jahren im Nordwesten aufgeflogen ist. Regelmäßig geht es in Oldenburg um Kassenbetrug über hunderttausende Euros. Ob „Multiway“, „JStore“ oder die gute alte geheime Zweitkasse – die Methoden sind unterschiedlich. Immer ist aber das Ziel, Bargeld-Einnahmen zu verheimlichen und so die Steuerlast zu senken.
Dass sich die Fälle gerade hier häufen, hat nichts damit zu tun, dass der Nordwesten besonders steuerkriminell ist. Die niedersächsischen Behörden ermitteln einfach besonders sorgfältig. Länderübergreifend prüfen die Behörden viel zu wenige Kassen, weshalb der Betrug fast nie erkannt wird.
Jährlich 70 Milliarden Euro Schaden
Dabei sprach der Bundesrechnungshof schon vor zehn Jahren von einem „Massenphänomen“, das natürlich nicht nur Asia-Restaurants betrifft. Er geht in allen bargeldintensiven Branchen von Betrugsquoten bis zu 80 Prozent aus.
Um den Kassenbetrug effektiv einzudämmen, müssen die Finanzbehörden laut Bundesrechnungshof jedes Jahr mindestens 2,4 Prozent aller Betriebe untersuchen. In der Praxis prüfen die Behörden im Durchschnitt aber nur weniger als 0,2 Prozent der Betriebe. Selbst das vorbildliche Niedersachsen liegt weit unter der Vorgabe. Rechnerisch können sich Steuerbetrüger:innen damit fast sicher sein, dass die Behörden ihren Betrieb zu Lebzeiten nie prüfen werden.
Insgesamt entsteht in Deutschland durch Kassenbetrug jährlich ein Schaden von 70 Milliarden Euro, schätzt die Deutsche Steuer-Gewerkschaft. Auch der Bundesrechnungshof hält diese gewaltige Summe für möglich. Demgegenüber ist der Steuerschaden durch den bekannten Cum-Ex- und Cum-Cum-Betrug fast zu vernachlässigen. Zum Vergleich: Mit dem Geld aus dem Kassenbetrug könnte die Regierung, ohne Schulden aufzunehmen, ihr auf zwölf Jahre ausgelegtes Infrastruktur-Sondervermögen finanzieren und hätte jedes Jahr noch 30 Milliarden Euro für andere Projekte übrig.
Angeklagter droht Gefängnis
Es sieht aber nicht danach aus, dass die Behörden in Zukunft einen größeren Teil dieses enormen Einnahmen-Potenzials ausschöpfen werden. Die Bemühungen, bundeseinheitliche Ziele für Kassen-Prüfungen zu vereinbaren, hat das Finanzministerium laut Bundesrechnungshof auf unbestimmte Zeit verschoben. Zusätzlich plant die neue Regierungskoalition jetzt, die 2020 eingeführte Bon-Pflicht wieder abzuschaffen. Sie ist ein wichtiges Mittel zur Eindämmung von Kassenbetrug. Die Deutsche Steuer-Gewerkschaft kritisiert den Schritt.
In Oldenburg ziehen sich Richter, Staatsanwältin und Verteidigung nach Verlesung der Anklage zur Beratung zurück. Die Verhandlung wird erst mal vertagt. Bei ähnlichen Fällen sind die Angeklagten in Oldenburg in den vergangenen Jahren meist mit Bewährungsstrafen davongekommen. Da die Angeklagte die Millionenmarke geknackt haben soll, droht ihr bei Verurteilung jedoch höchstwahrscheinlich Gefängnis.
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