Besuch beim Comic-Verleger Johann Ulrich: Selber machen, was er lesen wollte
Johann Ulrichs Avant-Verlag widmet sich deutschen und internationalen Graphic Novels, Klassikern und Newcomern. Nicht ohne Risiko, aber mit Erfolg.
Ein Blick auf das Bücherregal im Büro des Neuköllner Avant-Verlags lässt schon erkennen, dass dieser etwas Besonderes geschafft hat. Hier stapelt der Verlag seine fremdsprachigen Lizenzausgaben, und die zeigen, dass es ihm gelungen ist, auch in anderen Ländern ein Interesse an deutschsprachiger Comickunst zu wecken.
Es gibt in Deutschland ein paar Namen, die auch anderswo geläufig sind, vorneweg Reinhard Kleist und Ralf König. Aber dass Comics wie die des Berliner Avant-Verlag-Künstlers Mikael Ross überhaupt zum Beispiel ins Französische übersetzt werden, ist immer noch eher die Ausnahme denn die Regel.
Das Programm ist zu studieren unter www.avant-verlag.de
Denn im traditionell comicbegeisterten Frankreich hat man eigentlich viel zu viele eigene Zeichnerstars, um sich auch noch um Übertragungen aus dem Deutschen zu kümmern. Doch in besagtem Bücherregal mit den fremdsprachigen Lizenzausgaben stehen sogar gleich mehrere Werke von Ross.
Offene Augen für eine unbekannte Autorin
Und natürlich Ulli Lusts „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“, aus dem Jahr 2009, das ein Meilenstein nicht nur für den Avant-Verlag, sondern auch für den deutschsprachigen, um nicht zu sagen für den modernen feministischen Comic überhaupt geworden ist. Die in Berlin lebende Lust hat das Werk über Jahre hinweg vor sich hingezeichnet, bot es dann überall an, aber niemand wollte es veröffentlichen. Bis auf Johann Ulrich, den Betreiber des damals noch vergleichsweise unbekannten Avant-Verlags.
„Es war ein Erstlingswerk, 464 Seiten dick“ und damit durchaus ein unternehmerisches Risiko für einen kleinen Independentverlag. „Aber ich wollte halt das Buch sehen“, sagt Ulrich.
Und zum Glück für ihn letztlich nicht nur er. Die autobiografische Coming-of-Age-Geschichte wurde in zwölf Sprachen übersetzt, räumte Preise ohne Ende ab und ist inzwischen regelrecht ein Comic-Klassiker, dessen Erfolg mit dazu beigetragen hat, dass der Avant-Verlag längst einer der führenden deutschsprachigen Independentverlage für Graphic Novels ist. Ende letzten Jahres wurde er gar als erster Comicverlag überhaupt mit dem mit 35.000 Euro dotierten Berliner Verlagspreis ausgezeichnet.
Ein Vortrag auf der Buchmesse
Den Verlag gibt es mittlerweile seit mehr als 20 Jahren. 2001 wurde er gegründet, und wenn man sich mit Ulrich an den Küchentisch in seinem Office setzt, erzählt er gern nochmals die ganze Geschichte, wie es überhaupt zu dessen Gründung kam.
Ein Jahr vor dieser war er, Comicfan schon seit seiner Jugend und zu der Zeit Mitbetreiber eines Ladens für englischsprachige Comics in Prenzlauer Berg, den es immer noch gibt, als ganz normaler Besucher auf der Frankfurter Buchmesse. Dort hörte er sich einen Vortrag über „neue Tendenzen im französischen Autorencomic“ an. 20 Künstler wurden dabei vorgestellt, darunter keine einzige Frau, wie sich Ulrich erinnert. Die meisten davon klangen interessant.
„Wollte ich alles lesen, musste dann aber feststellen, dass die deutschen Verlage nichts davon herausbrachten.“ Außer Lewis Trondheim, der inzwischen auch in Deutschland ein Star ist und, nebenbei bemerkt, eben gemeinsam mit dem Zeichner Hubert Chevillard den Comic „Ich bleibe“ beim Avant-Verlag veröffentlicht hat.
Eines der in dem Vortrag auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellten Werke war auch „Berlin 1931“ des Spaniers Raúl, das von Berlin während der Weimarer Republik erzählte. Mit dem Comicautor, der in Frankfurt zugegen war, kam Ulrich ins Gespräch, um zu erfahren, der Züricher Verlag Edition Moderne würde dieses vielleicht veröffentlichen.
Start als Einmannprojekt
Also stapfte er zum Stand des Comicverlags, um zu fragen, wann das Buch denn erhältlich sein würde. „Daraufhin sagten die: Nein, wir bringen das jetzt doch nicht raus. Und da dachte ich mir: Das ist aber schade. Aber gut, dann mach ich das eben.“ Und damit war der Avant-Verlag als Einmannprojekt gegründet.
Inzwischen hat dieser insgesamt über 250 Comics herausgebracht, im Durchschnitt veröffentlicht er inzwischen zwei im Monat. Zwei feste Mitarbeiter hat Ulrich seit einer Weile und daneben noch jemanden, der sich um die Pressearbeit kümmert.
Welche Art von Büchern genau Ulrich herausbringt, lässt sich einerseits klar benennen: anspruchsvolle Erwachsenencomics. Also nichts mit Galliern oder Superhelden und auch keine Mangas. „Wir veröffentlichen das, was uns interessiert. Und unser Interesse sind Graphic Novels. Das ist die Nische, die wir für uns entdeckt haben“, so Ulrich.
Warum er lieber von Graphic Novels spricht, dem Begriff, mit dem Comics längst den Weg raus aus den reinen Comicläden und rein in die klassischen Buchhandlungen gefunden haben, erklärt er so: „Im Grunde sind alles Comics. Aber als Abgrenzung zu diesen Serien und wiederkehrenden Figuren ist man so näher an der Literatur. Deswegen macht der Begriff Sinn.“
Andererseits zeichnet den Avant-Verlag aus, sich nicht auf ein bestimmtes Genre oder eine spezielle Szene innerhalb des Comic- oder Graphic-Novel-Kosmos festzulegen. Vergleichsweise wenig aus dem frankobelgischen Raum und wenig aus den USA veröffentliche er bei sich, meint Ulrich, diese klassischen Comicregionen sollen andere beackern. Dafür mehr aus Italien, Argentinien und Skandinavien, wo der Comic aber auch eine große Bedeutung hat.
Gipi, Héctor G. Oesterheld, Alberto Breccia, das sind neben den vielen Comicautoren aus Deutschland vielleicht die typischen Avant-Verlag-Künstler. Wobei die beiden Letztgenannten längst schon nicht mehr leben. Doch auch für Gesamtwerke kanonisierter Comickünstler fühlt sich Ulrich eben zuständig.
Feministische Comics als Renner im Programm
Wie damals bei dem schicksalhaften Vortrag auf der Frankfurter Buchmesse wurden eben nur Männer aufgezählt. Ulrich betont jedoch, inzwischen mehr Comics von Frauen als von Männern im Programm zu haben. Und zieht dann auch einen Comic von Liv Strömquist aus Schweden hervor, die er für den deutschsprachigen Raum verlegt. Deren explizit feministische Comics seien gar der absolute Renner und die mit Abstand erfolgreichsten Bücher in seinem Programm.
Auch dank dieser steht sein Verlag ziemlich blendend da. Der andere große Berliner Comic- und Graphic-Novel-Independentverlag Reprodukt hatte im letzten Jahr Probleme, konnte die steigenden Papierkosten nicht auffangen und musste eine Crowdfundingaktion starten. Ulrich sagt, auch seine Comics seien eigentlich zu billig, um die Auswirkungen der Energiekrise auf sein Geschäft auszugleichen.
Aber dank der guten Umsätze und auch dank Liv Strömquest gebe es für ihn keinen Grund zum Jammern. „Der Buchmarkt an sich schrumpft. Nur der Comicmarkt nicht, der geht sogar leicht nach oben“, fügt er dann noch hinzu. Und sieht dabei wirklich ziemlich entspannt aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!