Besuch bei Schnee: Netanjahu bricht das Eis
Wie rutschfrei Berlin im tiefen Winter sein kann, zeigt der Besuch des Premiers aus Israel. Da werden sogar Gullys freigekratzt. "Das ist wie bei Honecker", sagt ein BSRler.
Es ist vollbracht. Die letzten Flocken sind zusammengekehrt und auf den Laster geladen. In den Straßen, die der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahue am Montag bei seinem Staatsbesuch durch die Stadt nimmt, blendet kein Weiß mehr das Auge, bringt kein Eis die Füße ins Rutschen. Anderswo in der Stadt beklagen sich Berliner über die Schneeberge vor ihrer Haustür und darüber, dass die Winterdienste so schlecht arbeiten würden. Auf Netanjahus Route ist hingegen der Frühling eingekehrt. "Aus Sicherheitsgründen", sagt Bernd Müller, Sprecher der Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR). "Wir haben von der Polizei den Autrag bekommen, den gesamten Schnee abzufahren." Der türmt sich nun auf den Parkplätzen in der Innenstadt.
Der israelische Regierungschef ist seit 10.30 Uhr in der Stadt. In den Straßen rund um das Axel-Springer-Verlagshaus in Kreuzberg, wo er am Nachmittag erwartet wird, leuchtet alles orange. 150 Männer der BSR seien seit Freitag zur Routenbereinigung für Netanjahu im Einsatz, erzählt einer, der mit einer Schaufel das Eis von den Gullies kratzt. Im Minutentakt kommen Lastwagen, werden von einem Bagger mit Schnee beladen und fahren wieder ab. Er sei seit 21 Jahren bei der BSR, sagt der Mann mit der Schaufel. "Aber so einen Irssinn habe ich noch nicht erlebt." Zur Untermalung macht er vor seinem Gesicht mit der Hand eine Bewegung wie ein Scheibenwischer.
Er sei in der DDR aufgewachsen, erzählt ein anderer BSRler, der auf dem Bürgersteig noch ein paar Flocken zusammenkratzt. Mehrere hundert LKW-Ladungen Schnee habe man abtransportiert. "Dat is ja een Uffriss wie bei Honecker". Vor Auftritten des einstigen DDR-Staatsratsvorsitzenden wurden regelmäßig die Straßen poliert. Ein anderer BSR-Kollege findet indes: Ganz so schlimm sei es nun nicht. Bei einem Auftritt von Honecker wäre nicht nur der Schnee weggeräumt worden. "Da wären die braunen Pflanzen auch noch grün angemalt worden."
Vor dem Springer-Hochhaus wird derweil jeder freigelegte Gully von Handwerkern im Beisein von Polizisten hochgehoben und einem Check unterzogen. Anschließend versiegeln die Handwerk ihn und versehen ihn mit einem Farbkringel. "Was sollen wir machen?!", fragt ein Polizeibeamter. "Tun wir wenig und es passiert was, gibt es Prügel. Tun wir viel und es passiert nichts, gibt es auch Prügel." Dann geht er weiter Gullies prüfen.
Der Asphalt in der Axel-Springer-Straße, der Zimmerstraße und der Rudi-Dutschke-Straße ist nach dem Abzug der Putztruppe so sauber, dass man vom Boden essen könnte. Einzig ein paar Wasserpfützen, in denen sich der trübe Winterhimmel spiegelt, zeugen davon, dass hier noch vor kurzem Berge von Schnee lagen. Netanjahu sei außerordentlich gefährdet, verteidigt ein ranghoher Polizist die Anordnung zur Räumung. In einem Schneehaufen ließe sich gut etwas verstecken. "Stellen Sie sich mal vor, da explodiert eine Bombe. Schnee dämmt doch überhaupt nicht." Der Besuch von Netanjahu in Kreuzberg lief bis Redaktionsschluss glatt ab, ohne dass es zu Stürzen kam.
Anderen Berlinern erging es da schlechter - sind fielen hin. Denn vor vielen Häusern ist immer noch nicht geräumt worden. "Mich erstaunt, mit wie wenig Ehrgeiz viele Anlieger dieser Pflicht zeitnah nachkommen", sagte Mittes Stadtrat Ephraim Gothe am Montag. Die Feuerwehr warnt unterdessen vor Dachlawinen und abstürzenden Eiszapfen, die zu schweren Verletzungen führen können.
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